Und hier so?

Guten Abend zusammen!

Ja, ich weiß, zu lange war es hier wieder zu ruhig. Und die Schuld hierfür lässt sich nicht einmal den Viertklässlern in die Schuhe schieben. Nein, nicht im Geringsten. Meine Klasse ist – ich beklagte es ja bereits – ein wenig transusig unterwegs, so dass ich von dieser Seite aus keine größeren Dramen mehr in den nächsten Wochen erwarte. (Selbstredend blicke ich grundschulmütterlichstolz, während ich das schreibe! Nun mag die Klasse ein wenig langweilig wirken, der Weg dorthin war es bekanntlich ganz und gar nicht.)

Sogar ihr Flashmob war genaugenommen gar keiner, denn er wurde einfach nicht zur Kenntnis genommen. Möglicherweise hätten sie sich auch etwas mehr Mühe geben können. Aber wo der durchschnittliche  Viertklässler vor dem Schulwechsel noch einmal richtig Rabatz machen will, mag meine Klasse es lieber beschaulich und so wurde die Idee geboren, mittwochs nach der großen Pause einfach im Treppenhaus stehen zu bleiben, statt der Fachlehrerin ins oberste Stockwerk zu folgen. Ob es deren bewundernswerte Nonchalance oder doch eher ein Fall für den Amtsarzt war, dass die Kollegin dies nicht bemerkte, wird wohl ein Rätsel bleiben. Jedenfalls hat sie die Klasse nicht abgeholt und so standen sie da, die flashmobbenden Viertklässler. Alleine im Treppenhaus und ganz ohne staunendes Publikum. Nach einer Weile ratloser Warterei schlichen sie dann nach oben und setzten sich an ihre Plätze. Auf meine ehrlich erstaunte Frage, was dann passiert sei, meinten sie achselzuckend „Na, Englischunterricht halt“. Nein, dieser Klasse ist doch wirklich nicht mehr zu helfen!

Was mich stattdessen beschäftigt, ist natürlich die DSGVO und ihre Auswirkungen. Klar ist, dass ich weiterschreiben werde. Denn – sind wir mal ehrlich! – wenn ich nach den Sommerferien wieder ein erstes Schuljahr führen werde, ist das mit der wohlverdienten Langeweile auch schon wieder vorbei. Und wenn ich eins in den vergangenen Bloggerjahren gelernt habe, dann, dass entweder ich oder der bedauernswerte Herr Weh platzen würden, wenn ich mir nichts mehr von Herz und Seele schreiben könnte. (Und an der stilistisch wirklich unschönen dreimaligen Verwendung des Wortes „wenn“ in den letzten Sätzen, merke ich auch, wie dringend ich wieder Schreibpraxis benötige …)

Also werkele ich im Hintergrund und probiere mich an verschiedenen Möglichkeiten. Folgendes wird wohl passieren: Ende Mai werde ich den blog zunächst auf Eis legen auf privat setzen. Das heißt, keiner kommt raus, keiner kommt rein. Parallel werde ich mit den Inhalten umziehen und die neue Adresse hier posten. Das bekommt aber nur der mit, der den blog als E-Mail abonniert hat (-> Hinweis rechts in der Seitenleiste) oder bereits im Feedreader hat (danke an bibibike für den freundlichen Hinweis). Wenn du also beim Neustart (und danach) dabei sein möchtest und noch nicht über neue Artikel informiert wirst, dann darfst du in den nächsten Tagen gerne auf das blaue Kästchen klicken! So alles glatt geht, erhältst du dann per E-Mail die Einladung zur nagelneuen Seite.

Soweit zumindest die Theorie. Was allerdings auch passieren könnte, ist, dass ich statt mich ausreichend um alles zu kümmern, lieber mit den Wehwehchen Eis essen gehe, weil das Wetter so schön ist. Oder mit Herrn Weh ins Kino, um mal wieder ungestört so richtig zu knutschen. Vielleicht brauche ich auch ganz dringend ein neues Kleid! Ja, ich will nicht lügen, all das könnte passieren. Aber dann werde ich auch davon berichten. Denn das ist ja, was ich hier so gerne mache …

Vandale und Liebe

Großer Unmut bei den Viertklässlern. Es geht um die Ehre. Da wird nicht gespaßt.

„So geht das einfach nicht weiter, Frau Weh!“

„Nein, das halten wir nicht länger aus!“

Natürlich verbieten ihnen Alter und Würde den der Situation eigentlich angemessenen Gefühlsausbruch, aber sich ein bisschen echauffieren, das darf wohl drin sein. Es geht um die OGS. Genauer um die Gruppe der OGS-Kinder, die in diesem – unserem! – Klassenraum die Hausaufgaben erledigt. Und, ach, wenn es doch nur die Hausaufgaben wären, die sie erledigen! Aber nein, sie stiften Chaos und hinterlassen apokalyptische Verwüstung, so man den aufgebrachten Viertklässlern Glauben schenken darf. Da liegen Schnipsel auf dem Boden, unter den Tischen finden sich angebissene Dinge und überall, ja, Frau Weh, da können Sie mal gucken, überall bleiben Stifte, Radiergummis und Flaschen liegen! Pfui aber auch!

(Den meisten geschätzten Leserinnen wird es bewusst sein, aber Nichteingeweihten möchte ich kurz erläutern, dass ein Klassenraum in der Grundschule nicht nur irgendeinen Raum darstellt. Nein, er ist so viel mehr! Das eigene Klassenzimmer ist Keimzelle und Mutterschoß der Bildung gleichermaßen, nicht das Zuhause, aber doch heimeliger Ort des Geborgenseins. Kinder identifizieren sich mit ihrem Klassenraum und teilen geheimes Wissen um sein Wesen. Flecken an den Wänden sind nicht einfach nur irgendwelche Makel, sie erzählen Geschichten vom Ausbruch plötzlichen Unwohlseins oder explodierten Kakaoflaschen. Fensterbretter oder Tafelecken sind keine unbelebten Gegenstände, markieren sie doch gleichermaßen Platzwunden wie historische Ereignisse. Bis hin zum mumifizierten Popelbällchen unter dem Regalbrett ganz untenhintenlinks weiß eine Klasse um ihren Raum. Und der Raum weiß um seine Klasse. So ist das nun einmal.)

Und jetzt das!

Gesittet, wie sie nun einmal meistens nach bald vier Grundschuljahren sind, einigen sich die Viertklässler auf gestrenge Worte und persönliche Ansprache auf mehreren Ebenen. Sie wollen es ohne Körpereinsatz versuchen, was ich mit hochgezogener Augenbraue und ironischem Unterton sehr begrüße, und fast können wir uns wieder dem Unterricht zuwenden, da meldet sich Shirin.

„Da ist noch was, Frau Weh. Jeden Tag ist was auf meinen Tisch gekritzelt.“

Auf ihrem Platz, so berichtet sie mir, sitzt nachmittags Enes. Und Enes macht das jeden Tag! Während der Rest der Klasse in den Arbeitsmodus wechselt, schaue mir das Werk des jungen Vandalen an und erkenne ein mittelgroßes, krakeliges Herz, das mit Bleistift quer über die Tischplatte gezeichnet wurde. Hmm.

„Shirin, kann es sein, dass Enes Gefühle für dich besitzt?“

Shirin nickt, ja, so ist das wohl, aber sie kann diese Gefühle nicht erwidern. Ich nicke. Ja die Liebe … das ist alles nicht immer so einfach. Wir überlegen gemeinsam, wie wir Enes davon abhalten können, Shirin weiterhin unerwünschte Bekundungen zukommen zu lassen ohne ihn bloßzustellen. Gleichzeitig kommen wir auf die Lösung und zwinkern uns verschwörerisch zu.

Als wir nach der sechsten Stunde den wieder aufgeräumten Klassenraum verlassen, steht auf Shirins Tisch eine Botschaft. Natürlich mit Bleistift.

Lieber Enes,

ich möchte deine Gefühle nicht verletzen. Aber hör jetzt SOFORT damit auf, was auf meinen Tisch zu krakeln! Das ist voll uncool!

Deine Shirin

 

 

Hummelflug

Noch zwei Wochen bis zu den Herbstferien und die Stimmung ist schon so tief gesunken, dass ich mich beim Betreten des Lehrerzimmers in einem dumpfgrundigen Unkenpfuhl wiederzufinden scheine. Es trieft von herbstlicher Melancholie und beginnendem Missmut. Vereinzelt tropft Verzweiflung von den Wänden wie der unvermeidliche Rotz aus der Nase eines Erstklässlers. Grund ist eine Terminimplosion mittelschweren Grades: Schulanmeldung trifft auf Schulzahnarzt trifft auf Erneuerung der Schalldämmung trifft auf politischbed.. krankheitsbedingten Personalmangel. Ehrlich, wir sind so knapp besetzt, dass ich mich zusammenreißen muss, den freundlichen Dackelbesitzer, dessen frühmorgendliche Hunderunde ihn auch am Lehrerparkplatz vorbeiführt, nicht einfach an der Funktionsjacke zu packen und stante pede ins Lehramt zu rekrutieren. Wer Teckel kann, kann doch wohl auch Kinder, ne?

Da heute mein kurzer Tag ist, den ich mir unter keinen – ich betone unter keinen Umständen! – vermiesen lasse, entscheide ich mich gegen ein Bad inmitten negativer Schwingungen und drehe ab. Achtsamkeit ist ja seit einiger Zeit so ein wichtiges Thema, das einem – recht unachtsam, wie ich finde – ständig um die Ohren gehauen wird; also bin ich achtsam, nehme meine Gefühlslage wahr und erkenne an, dass unter besonderen Umständen auch die fröhlichste Hummel besser in Einsamkeit als im Unkengrund aufgehoben ist.

Doch Fröhlichkeit hin oder her, leider bin ich auch eine Hummel ohne Heimat. Denn alle Räume, in die ich mich zum Frühstück zurückziehen könnte, sind besetzt (Zahnarzt, Schulanmeldung, Schallschutz …). Nicht einmal in meinen Klassenraum kann ich gehen, denn der muss stoßgelüftet werden. Die Viertklässler beginnen präpubertätsbedingt zu müffeln. (Das merkt man ja nie, wenn man mittenmang sitzt, aber wehe, man verlässt den Raum und kommt dann zurück. Pfüüüüühh! )

Etwas planlos brumme ich von Raum zu Raum (man stelle sich bitte das dazu passende Werk von Rimsky-Korsakov vor), von Tür zu Tür, um schlussendlich im Abstellraum zu landen. Der Abstellraum – ein Ort voller Möglichkeiten. Und voller Kram. Kram der Sorte, die in Grundschulen allüberall exponentiell wachsend anfällt: liegengebliebene Jacken und Turnbeutel, kaputte Bälle, Wandkarten (Europa politisch), unvollständige Palettischeiben, eine traurigbeige Decke auf brauner Santätsliege. In diesem Fall jedoch der Ort meiner Wünsche! Äußerst zufrieden mit meiner Wahl lasse ich mich auf der Liege nieder und beiße in ein belegtes Brötchen, als plötzlich die Tür aufgerissen wird und der Hausmeister mit einem Schwung alter Lappen auftaucht.

„Was machst du denn hier?“, will er irritiert wissen.

„Na, Pausenyoga!“, ich zucke mit den Schultern, „sieht man doch wohl!“

„Du und Yoga, is klar!“, lacht er dröhnend. „Welches Tier?“

Ich überlege kurz, flattere ein bisschen mit Brötchen und Armen und erkläre befriedigt: „Die nach Ruhe suchende Hummel!“

 

Jammer, jammer, jammer

Es ist Montag und ich überlege, ob nun der Moment gekommen ist, an dem mich das Schulleben so kleinkriegt, dass ich hinschmeißen möchte, um – beispielsweise – Museumspädagogin, Vollzeitmutter oder Straßenmusikerin zu werden.

Glücklicherweise frage ich mich das in einer so zuverlässigen Regelmäßigkeit, dass ich aufgrund überstandener, vergangener Zweifel mit Fug und Recht behaupten kann, dass dem nicht so ist. Stattdessen handelt es sich meist um eine Art zyklisch wiederkehrender Unausgeglichenheit zwischen Ansprüchen (extrinsisch) und Idealvorstellungen (intrinsisch). Meist werden diese bedingt durch Schwankungen in der weiteren Lehrumgebung: Dies kann z.B. ein Wasserschaden im Klassenraum, ein krankheitsbedingt fehlender Hausmeister, aber auch eine arg fordernde Schulleitung oder helikopterisierende Elternteile sein.

Dieses Mal sind es einige Kolleginnen.

Das so unverblümt zu schreiben, kostet mich bereits Überwindung und fühlt sich ein bisschen an wie Nestbeschmutzen. Aber sollte ein Kollegium nicht eine Niederlassung des Miteinanders sein? Das Lehrerzimmer ein Ort der offenen Tür und des offenen Ohrs? So ist es zumindest in meiner (zugegeben) idealisierten Vorstellung. Sehr gerne dürfen dort politisch inkorrekte Witze erzählt oder gelegentlich mit Kopf und Faust auf den Tisch gehauen werden. Wünschenswerterweise liegt Schokolade auf dem Tisch. Oder wenigstens etwas angeditschtes Obst. Es darf über überzogene Ansprüche und realitätsferne Schulpolitik hergezogen werden. Über fehlende Ausstattung, mangelnde Unterstützung oder marode Klassenräume. Was aber gar nicht geht, ist das ständige Gejammer über Schüler und Eltern. Nee, echt jetzt!

Man möge mich bitte nicht falsch verstehen, auch ich habe in dieser Semi-Öffentlichkeit Jason Jayden aus der 4b schon einen kleinen Seuchenvogel und MamaHelene aus der 1a ein elterliches Breitbanddesaster genannt. Meist verbunden mit theatralischem Augenaufschlag und raumgreifender Geste. Aber doch nicht immer! Täglich! In jeder Pause! Und doch ist es das Thema in unserem Lehrerzimmer. Der hat, die hat und dann wollen die Eltern auch noch einen Gesprächstermin! Einen GESPRÄCHSTERMIN! Mittendrin im Schuljahr! Hat man sowas schon gehört?

Ich möchte den Kolleginnen zurufen, sie mögen auf der Stelle das Jammern sein lassen und ihr Augenmerk auf all die schönen Momente und die Privilegien dieses Berufs werfen. Auf die vielfältigen Möglichkeiten zu gestalten und Einfluss zu nehmen. Auf die Sicherheit unserer Arbeit und die Freiräume, die wir vielfach so füllen können, wie wir es selber für richtig halten. Aber ich lasse es sein, denn ich kenne ja auch die Gegenseite: die Einschränkungen, den schier unendlichen Papierkram, die Anspannung, die Überforderung. Manchmal werden diese eben zu groß, um noch objektiv argumentieren zu können. Stattdessen erwische ich mich dabei, dass ich freiwillig zusätzliche Aufsichten für angeschlagene Kolleginnen übernehme. Nicht, dass der Schulhof eine konfliktärmere Zone wäre, nein …

… aber da kann ich so flauschige Ohrenschützer tragen.

 

 

Mouches volantes

Es ist mitten im Matheunterricht, als mich der so dramatisch wie schreckliche Verdacht ereilt, mit meinen Augen könnte etwas nicht stimmen. Kleine schwarze wandernde Minipünktchen sehe ich schon seit einiger Zeit – vor allem beim Lesen oder am Bildschirm – , aber laut Augenarzt stellen sie keinen Grund zur Besorgnis dar. Diese als kleine Fliegen oder Mücken bezeichneten Glaskörperflocken seien oft eine Frage des Alters. Jetzt allerdings ist der schwarze Punkt, der sich plötzlich auf der Seite des Mathebuchs zu tummeln scheint, nahezu riesig und bewegt sich flüssig von links nach rechts. Mit dem linken Auge kann ich keine Aufgabe mehr entziffern. Leichte Panik überkommt mich, die ich eindeutig schon zu viele Arztserien gesehen habe, in denen Sehstörungen grundsätzlich ein Alarmsignal für rasant aufkommenden Verfall darstellen. Meist stirbt der oder die Betroffene dann im Laufe der Folge, wenigstens aber fällt er in den nächsten Sekunden um und wacht im OP-Hemdchen wieder auf. Ok, manchmal gibt es auch eine dramatische Rettung in letzter Sekunde, aber die heutigen Arztserien haben mit der kitteligen Wohlfühlatmosphäre vergangener Zeiten einfach nichts mehr gemein. Buchte man früher die Genesungsgarantie bei der Wahl der Fernsehserie gleich mit, so fällt der Verdacht heute fast immer auf Lupus oder Sarkoidose. Das erledigt sich nicht mal eben in 45 Minuten.

Jetzt mal ganz ruhig bleiben, Frau Weh, denke ich und schließe das betroffene Auge für einen Moment. Als ich es wieder öffne, ist der schwarze Fleck verschwunden und ich atme erleichtert auf. Ein kurzer – nun wieder scharfer – Blick zeigt mir, wie weit die Hausaufgabenkontrolle bereits gediehen ist und ich konzentriere mich wieder auf das Einmaleins der 6, dessen Blitzaufgaben gerade von Dilara vorgetragen werden.

„Oh nein!“, entfährt es mir da plötzlich. Der schwarze Fleck ist wieder da, größer noch als eben und auf einmal vor dem rechten Auge. Jetzt kriege ich tatsächlich Panik. So schlimm war der Elternsprechtag doch gar nicht, dass ich jetzt mit ernsthaften Schwierigkeiten rechnen müsste!? Was, wenn …?

Die Zweitklässler, vom Schrei alarmiert, blicken von ihren Mathebüchern auf und zu mir hin.

„Frau We-he?“, sagt da die vor mir sitzende Michelle mit schief gelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen, „da geht eine kleine Fliege auf deiner Brille spazieren!“

Was? Wie?

Ich nehme die Brille ab und sehe tatsächlich eine kleine Fruchtfliege, die offenbar leicht nervös über das Glas huscht. Hmmja. Peinlich berührt puste ich das Tierchen herunter und räuspere mich ins Kichern der Kinder hinein.

„Dann machen wir mal weiter, ja?“

Richtige Zeit, richtiger Ort

Ich klebe ein weiteres Foto in die Kladde, in der ich chronologisch die Bilder verwahre, die der Schulfotograf Jahr um Jahr erstellt. Dieses Jahr bin ich rundum zufrieden: Zwar werden meine Augen irgendwie immer kleiner und die Anzahl der Fältchen drumherum immer mehr, aber jede Sommersprosse sprüht gute Laune. Das Lachen ist ein echtes, wenn auch mit ein wenig Spott in den Mundwinkeln. Aber wie soll man auch schauen, wenn der Fotograf einem zuruft, man möge doch bitte kurz den Schalk aus dem Bild schubsen? Mein Kopf sitzt ein bisschen schief, meine Haare sind wild und meine Nase …, ach nein, meine Nase ist prima! Vielleicht hätte ich auf den Wangen ein bisschen mit dekorativer Kosmetik nachhelfen sollen, aber nenn mir bitte jemand das Produkt, das auch nach sechs Stunden Unterricht noch den Teint zart beglimmert! Vermutlich hilft da nur Spachtel. Wie gesagt, ich bin dieses Jahr total zufrieden und freue mich darüber, dass es gelungen ist, diese Freude, diesen Spaß am puren Sein auf Papier zu bannen. Gute Zeit gerade.

Auch das Klassenfoto gefällt mir. Waren die Blicke einiger Kinder vor einem Jahr noch ein wenig skeptisch, so grinsen mir nun zahnlückende Zweitklässler ungehemmt entgegen. Alle strahlen und sehen so quietschfidel aus, dass man sie vom Schulhof weg für Vitaminwerbung casten könnte. Finn macht Mätzchen, aber was wäre ein Klassenfoto ohne wenigstens eine schiefe Grimasse aus der hintersten Reihe? Schön, dass ich gerade diese Klasse erwischt habe.

Ich schreibe die Namen der Kinder unter das Bild, notiere ein paar Sätze zur Klassensituation und freue mich am Moment. Richtige Zeit, richtiger Ort.

Neues aus dem Lehrerzimmer

„Da, lies dir das mal durch!“

Mit einem schwungvollen Wurf aus dem Handgelenk befördert der Chef ein Magazin auf den Lehrerzimmertisch. Ich erkenne den Titel: Schule heute, die Verbandszeitschrift des VBE. Mich überkommt eine Ahnung. 

„Ich habe ein Post-It reingemacht. Seite sechs. Inklusion. Der Artikel ist genau für dich geschrieben worden!“

Nicht ganz, denke ich, der Artikel ist von mir geschrieben worden, insofern bräuchte ich ihn nicht unbedingt lesen. Das weiß hier aber keiner. Daher bemühe mich um einen nonchalanten und halbwegs interessierten Gesichtsausdruck.

„Worum geht es denn?“

„Da schreibt eine Grundschullehrerin über den Alltag mit einem schwierigen Schüler und darüber, dass es keine Hilfe gibt. Dein Thema!“

„Pfff, schwierige Schüler gibt es doch gar nicht. Alles unfähige Lehrer!“, erbost sich die Kollegin linkerseits, was sie kein bisschen ernst meint, hat doch auch sie gerade mit einem schwebenden AO-SF-Verfahren und seinen Kollateralschäden zu kämpfen. Trotzig taucht sie den Löffel zurück in ihr Müsli. Ein wenig Milch spritzt auf die Zeitschrift. Sie wischt sie ab und schlägt den Artikel auf. Der Chef hat sogar mit Markierer gearbeitet und zwei Ausrufezeichen an den Rand gemalt. Ich bin einigermaßen bewegt, landen Publikationen doch sonst eher jungfräulich auf unserem Tisch. Die Kollegin beginnt zu lesen, den Löffel noch in der Luft. Eine Rosine schaut mich zerfurcht an. Ich nicke ihr mitfühlend zu. Die Situation ist gerade aber auch wirklich nicht einfach.

„Hmmm …“, murmelt die Kollegin. „Hmm ja … naja … mh!“ Zwischendurch nickt sie. Einmal schüttelt sie resolut Kopf und Oberkörper, worauf ein weiterer Tropfen milchweißen Niederschlags erzeugt wird und auf dem Lehrerzimmertisch landet. „Erinnert wirklich ein bisschen an dich und deinen Günther. Die beauftragt ihren Hansel auch mit Kaffeedienst! Offenbar habt ihr den gleichen Humor.“

„Von wegen Humor“, sage ich und denke krampfhaft nach, „das mit dem Kaffeedienst hab ich aus einer Fortbildung. Umgang mit schwierigen Schülern und so. Scheint inzwischen recht populär zu sein.“ Ich zucke die Schultern und angle nach der Zeitschrift.

„Das mit dem Codewort, das könntest du mit Günther doch auch mal probieren!“, meint der Chef und deutet auf eine der markierten Stellen.

„Hmhmm, ja, prima Idee. Mach ich gleich nachher.“, antworte ich und überfliege die markierten Stellen. „Liest sich ganz … ok?“ Ich kann nicht vermeiden, dass meine Stimme wie von einem nervösen Gummiband nach oben gezogen wird und räuspere mich. Jetzt nur keine roten Flecken kriegen!

„Liest sich ganz gut!“, bestätigt die Kollegin. „Könntest du bestimmt auch schreiben. Mach das doch mal, so als Bewältigungsstrategie!“

„Ha ha“, lache ich etwas gezwungen, „wo soll ich das denn noch in meinem Tag unterbringen?“

Die Kollegin zuckt mit den Schultern. Es klingelt. Ich hüpfe auf und will mich zügig zur Türe begeben, doch der Chef drückt mir die Zeitschrift in die Hand.

„Kannst du mitnehmen. Und denk dran, Codewort!“

„Codewort, alles klar, mach ich.“, murmele ich und verlasse das Lehrerzimmer keine Sekunde zu früh.

„Du bist aber rot im Gesicht.“, bemerkt die Kollegin, die mir aus der Aufsicht entgegenkommt.

„Och“, antworte ich unbestimmt, „war ein bisschen warm oben.“

zu viel

Ich möchte mich verkriechen, mir einen Tunnel graben und mich einkugeln.

Dass dieser Moment der Erschöpfung eintreten würde, war abzusehen. Zu viele Belastungen folgten in den letzten Schulwochen aufeinander. Das Gefühl gegen bürokratische und menschliche Mauern zu rennen, der stärker werdende Eindruck des Alleinseins, die daraus resultierende Wut und das Aufbegehren – irgendwo musste es hingesteckt werden. Nur bietet der Alltag wenig Möglichkeiten des Ausbruchs, also packte ich es nach innen, wohlwissend, dass es dort weiterrumort und von tief drinnen an die Oberfläche strebt. Dort, wo die Dünnhäutigkeit sitzt. Seit ich in diesem Beruf arbeite, werkele ich an einer Verschalung der eigenen Verletzlichkeit. Versuche dort, wo es am sprichwörtlichen dicken Fell fehlt, durch Professionalität und Kompetenz einen Dämmung aufzubauen, die Angriffe und Vorwürfe abperlen lässt wie der Lotus die Regentropfen. Allein es will nicht immer so gelingen.

Und dann ist es tatsächlich nur der eine Tropfen, der zu viel ist. Die eine Kollegin, die ein harmloses, klärendes Gespräch mit mir scheut und lieber den Weg über den Chef geht, der – selber hochbelastet – Hintergründe nicht erfragt, sondern explodiert und klein macht, was eigentlich des Aufbaus bedarf. Und ich stehe fassungslos und höre das eigene Blut in den Ohren rauschen. Atme tief ein, um die überbordende eruptive Gewalt des Angestauten nicht Überhand gewinnen zu lassen und mich nicht wegfließen zu lassen von den Tränen der Wut, der Enttäuschung und Erschöpfung, die heraus wollen. Ich veratme sie wie den Schmerz, der sie eigentlich sind. Das Verlassen der Situation und der Hinweis auf ein späteres Gespräch sind die einzige angemessene Handlung, zu der ich mich befähigt sehe.

Dann, nach etwas Ruhe, überrollt mich der Ärger. Auch der über mich selbst. So unfassbar und falsch finde ich es, dass neben all den guten Dingen, die – natürlich! – auch an einem solchen Tag geschehen, es die eine Sache ist, die sich tief drinnen festbohrt. Wie ein Parasit, der sich durch einen winzigen Spalt hineinzwängt, sich einnistet und geschützt in seiner ganzen Erbärmlichkeit alles mit Bosheit ausfüllen will. Warum kann sich das Gehirn zur Gänze einer solchen Nichtigkeit widmen? Unfähig, andere Gefühle zuzulassen? Wieso schafft es ein unbedachter Ausbruch zur falschen Zeit, mich emotional derart zu treffen? Anders gefragt: Warum leisten die vielen guten Momente des Tages dies nicht?

Ich erinnere mich an die vor ein paar Tagen gelesenen Zeilen der Schriftstellerin Ildikó von Kürthy, die genau diese Verletzlichkeit beschreibt als das Gefühl einen zu niedrigen Schutzfaktor gegen Kränkungen aufgetragen zu haben. Als Taktik dagegen nennt sie das Aufrechterhalten der eigenen Werte. Und die Freundlichkeit. Ich stehe vor dem Spiegel der Lehrertoilette und versuche das harte Gesicht, das mich ansieht, anzulächeln. Der Versuch scheitert kläglich. Mir ist zum Heulen. „Lach endlich!“, herrsche ich mich stumm an. „So bist du überhaupt nicht und so willst du auch nicht sein. Also lach!“ Es gelingt nicht. Also lasse ich kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen und atme tief durch. Morgen arbeite ich wieder an meiner Freundlichkeit. Heute akzeptiere ich einfach, dass mir nicht nach Lachen zumute ist.

Wider die Langeweile!

„Und wann gibt es mal richtigen Unterricht?“, fragt die Schülerpraktikantin mit nur mühsam unterdrückter Schwunglosigkeit.

Ich blicke von dem Stapel Mathehefte auf, den ich gerade durchsehe, und schaue mich in der Klasse um. Die Erstklässler ergießen sich über Stühle, Bänke und den Boden. Einige sitzen im Flur oder im Treppenhaus und schaffen ordentlich was weg. Wir sind bei Countdown 6 vor den Ferien angelangt und die Tatsache, dass ich zu meinen eigenen drölfzilliarden Schülern noch eine gelangweilte Sechzehnjährige auf’s Auge gedrückt bekommen habe, um die ich mich kümmern muss, erfüllt mich nicht unbedingt mit innerlichem Halleluja. Allerdings komme ich nicht umhin, dem benachbarten Gymnasium für die hervorragende Zeitplanung Respekt zu zollen. Was für eine geschickte Idee, die gesamte Stufe 11 in den letzten zwei Schuljahreswochen ins Praktikum zu schicken. Da läuft ja eh nix mehr, oder wie war die landläufige Meinung dazu?

Hier läuft allerdings noch eine ganze Menge. Allein, man sieht es nicht auf den ersten Blick. Die Erstklässler (zumindest die meisten) arbeiten nämlich selbstständig so vor sich hin. Mit unserem Stoff sind wir durch, jetzt wird nur noch vertieft und – ja, ich gebe es zu – weggearbeitet, was ich im Überschwang zu viel kopiert habe, derweil ich akribisch jedes Arbeitsheft noch einmal auf eventuelle Lücken durchgehe. Hier kommt nichts weg!

Aber Madämchen würde gerne richtigen Unterricht sehen. Dass ich es überhaupt zulasse, mich darüber zu ärgern, zeigt, dass auch ich ganz langsam ferienreif werde. (Schon seit Tagen läuft in meinem Kopf übrigens I’m Going Slightly Mad in Endlosschleife. Muss ich mehr dazu sagen?) Dabei ist das nicht nur unreif von mir, sondern auch ungerecht. Man überlege kurz einmal, wie man selber so war mit 16 … ähm, genau. Das war das Alter, in welchem man bei morgendlichen Schwindel nicht dachte Uh, ist mir schwindlig!, sondern Hui, alles dreht sich um mich! Das muss so, das soll so sein, Beschwerden bitte ans Kleinhirn, Abteilung Entwicklung, danke. Also jetzt Unterricht. Na gut.

„So, ihr Lieben, alle mal in den Kreis kommen!“

Je nach Verfassung und Gemütszustand schlurfen oder stürzen sich die Erstklässler in die Raummitte, balgen sich kurz um die besten Plätze (direkt neben mir oder aber ganz weit weg) und harren erwartungsvoll der Dinge. Lediglich Ramon fällt fröhlich hintenüber von der Bank, was niemand weiter kommentiert und mit einem Kühlpack schnell behoben wird. Ich frage in die Runde, wer sich womit beschäftigt hat und ob jemand seine Arbeit an der Tafel vorstellen möchte. Dilara, Filiz und Merve melden sich als erste und dürfen nach vorne. Kurz bilden sie ein aufgeregt flüsterndes Grüppchen, nicken dann und schauen erwartungsvoll zu uns herüber.

„Wir haben was mit ganz schwierigen Wörtern gemacht“, erzählt Merve, „und das machen wir jetzt auch mit euch.“

Filiz hüpft ein wenig auf der Stelle – es ist so aufregend an der Tafel! – und zeichnet dann hochkonzentriert sechs Striche.

„Galgenmännchen!“

jubeln die Erstklässler und freuen sich des Lebens. Noch einmal so begeisterungsfähig sein wie mit sieben Jahren! Es wird gerätselt und geraten, ausprobiert und buchstabiert bis das korrekte Lösungswort endlich an der Tafel erscheint. (Es war übrigens Ananas. Ich wünsche mir auch bald mal wieder eine. Am liebsten in weißem Rum badend und mit Schirmchen.) Tosender Applaus kommt auf, verbunden mit dem unweigerlichen Geschrei, das immer dann ertönt, wenn es um die Auswahl einer Nachfolge geht. Doch Filiz lässt sich nicht erweichen und spricht mit unerschütterlicher Miene die einzig wahren Worte:

„Ich nehme das allerleiseste Kind dran!“

Wen wundert es da, dass die Wahl auf die phlegmatische Schülerpraktikantin fällt? Überrascht, aber erfreut, tritt diese auch sogleich zur Tafel, überlegt kurz und zieht ihre Striche. Es sind 20. Die Erstklässer staunen und ich bemerke, wie manch kleiner Kosmos ins Wanken gerät.

„Gibt es so lange Wörter?“, haucht Finja beeindruckt und ich sehe, wie die Praktikantin ein Stückchen größer wird.

„Oh ja!“, sagt sie, „Und noch viel längere. Aber die müsst ihr erst noch alle lernen.“

In den kommenden Minuten haben alle Spaß. Die Praktikantin, weil sie merkt, wie toll Nicht-Unterricht sein kann, die Erstklässler, weil sie sich für Kniffligkeiten begeistern können und ich, weil ich mich darüber freue, dass die Buchstabenkombination E-R-N-S-T-L auch 13 Jahre nach dem letzten Dreh des Glücksrads noch funktioniert.

S _ _ _ E R _ E R _ E N    S _ N _    T _ L L

Obwohl die Praktikantin am Ende gleich von mehreren Schülern dafür gerügt wird, dass das ja gar nicht ein Wort, sondern drei sind, strahlt sie noch am Ende des Vormittages und bedankt sich artig für den schönen Tag. Allerdings kann ich ihr gar nicht richtig antworten.

In mir singt es so laut.

I think I’m a banana tree
Oh dear, I’m going slightly mad
I’m going slightly mad
It finally happened, happened
It finally happened uh huh
It finally happened I’m slightly mad – oh dear!

Hallo, ihr Kellerkinder!

Dass meinen Lippen statt des in dieser Situation deutlich angemesseneren Fluchs lediglich ein sanftes Seufzen entweicht, als die Türe des Schulkellers mit einem satten Flopp! hinter mir ins Schloss fällt, mag dem vorausgegangenen Vormittag geschuldet sein. Dieser war imperativ-mies. Zweifelhaftem Lehrerverhalten ging zweifelhaftes Schülerverhalten voraus und umgekehrt. Ein Schultag voller in Befehlsform geäußerter Hoffnungslosigkeit meinerseits, die auf völlige Ignoranz bei den Erstklässlern stieß. Mittelschwere Unfälle zwischen Milchflasche und Mensch inbegriffen. Die kleinen Dramen des Grundschulalltags in voller Blüte. Würde man diesen Morgen in Reimform bringen, man müsste sich des Trochäus bedienen. Denn den mochte ich schon früher nicht.

Nun also noch die geschlossene Kellertür.

Man sollte meinen, dass das Vorkommen von Türen, die sich nur von einer Seite (seltsamerweise immer der anderen) öffnen lassen, dem Horrorfilmgenre vorbehalten sei. Aber nein, Überraschung, auch unsere Schule verfügt über eine solche. Deswegen liegt neben der Türe auch ein Keil. Vielleicht kann ich es den vergangenen Stunden in die Schuhe schieben, vielleicht auch dem nahenden Schuljahresende, jedenfalls habe ich mich selber eingesperrt und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Weit nach der 6. Stunde ist nämlich niemand mehr im Haus und die Reinigungskraft kommt erst am Abend. Freude, schöner Götterfunken! Da ist es ein Segen, dass ich zumindest mein Handy dabeihabe, um Hilfe kommen zu lassen. Es ehrt unseren Hausmeister, dass er nur kurz auflacht, als ich ihm meine Misere schildere. Unglücklicherweise befindet er sich auf dem städtischen Betriebshof und braucht wenigstens noch 40 Minuten, bevor er mich aus dem Keller herausholen kann.

Einigermaßen beruhigt schiebe ich das Handy in die Hosentasche und schaue zur Gewölbedecke, an der doch tatsächlich eine einsame Glühbirne hängt. Immerhin flackert sie nicht, doch die Spinnweben, die überall um mich herum hängen, lassen die Szene schon wieder so klischeehaft wirken, dass es in einem Film eindeutig schlechte Kritiken hageln würde. Ein kaltes Lüftchen zieht über meine Oberarme, was mir prompt eine Gänsehaut beschert. Ganz schön frisch hier! Ich wandere ein wenig zwischen großen Kartons voller Sanitärutensilien herum und staune darüber, dass sich im Regal 37 Klobürsten stapeln. Gibt es da Sammelbestellungen für? Im dahinter liegenden Raum befindet sich die Lehrmittelsammlung, wegen der ich mich überhaupt hier unten aufhalte. Ich suche nämlich die Box mit den Magneten. Selbstredend ist diese nicht vorhanden. Dafür finde ich eine ganze Schachtel Klebeband (eingesackt!), vier leere Holzkästchen in perfekter Größe (eingesackt!) und eine Hasenmaske aus Pappmaché (vorgemerkt für Ostern!). Außerdem tonnenweise Weihnachtsdekoration, Bierdeckel, leere Marmeladengläser, hoppla, noch mehr Bierdeckel und ausgeblichene Krepppapierblumen. Da liegen Feierlaune und Festtagsstimmung gleich neben Muff, Gilb und Grabbel. Und der Geruch erst! So eine Mischung aus klassischer Bildung und Moder. Ich nehme einen tiefen Atemzug. Hier kann man die Historie unseres Bildungswesens noch mit allen Sinnen erfahren.

Nach 20 Minuten des Herumstreunens wird es mir etwas langweilig.

Und hungrig.

Und kalt.

Ist aber auch blöd, das Ganze!

Da erscheint mir plötzlich die Schulpsychologin aus der Fortbildung: „Entspannen Sie sich im Alltag, wann immer sie können!“

Gut, denke ich, dann mach ich das jetzt mal. Ich lasse mich auf einen in die Jahre gekommenen Thron neben der Türe plumpsen, der offenbar einmal als Requisite in einer Märchenaufführung gedient haben muss, und lasse ganz entspannt den Blick schweifen, der unerwartet von einem Pferdekopf an der Wand gegenüber erwidert wird.

HUUUU!

Jetzt habe ich mich aber doch erschreckt! Leicht peinlich berührt hüpfe ich von meinem Sitz herunter, um mir den Kopf einmal genauer zu betrachten. Auch dieser ist aus Pappmaché hergestellt und innendrin hohl. Mir ist nicht ganz klar, warum die Maske grün angestrichen ist, aber die Herstellungsart zeugt von Qualität. Ich setze mir den Pferdekopf testweise auf und probe ein dumpfes Wiehern. Gar nicht mal schlecht, denke ich, als ich den Schlüssel im Schloss der Kellertüre höre. Noch mit dem grashüpfergrünen Pferdekopf angetan drehe ich mich um, höre einen Schrei und dann – Mistmistmist! – das altbekannte Flopp!

Ich ziehe mir die Maske ab und bin mindestens genau so überrascht wie die Kollegin, die mir gegenübersteht. (Allerdings bin ich nicht so blass und fasse mir auch nicht aufs Herz.) Ich entschuldige mich ganz zerknirscht vieltausendmal für den Schrecken, den ich ihr eingejagt habe und es ist sicher nicht sehr nett, dass ich sie dafür rüge, den Keil nicht unter die nun erneut zugefallene Kellertüre geschoben zu haben. Aber ich habe jetzt wirklich Hunger und es ist empfindlich kalt hier unten! Kälte und Hunger, das lässt das wahre Ich zum Vorschein kommen und meines ist – ich muss es zu meiner Schande gestehen – in diesem Falle nicht besonders leidlich. Die nächsten 30 Minuten vertreiben wir uns mit dem Austausch kollegialer Informationen („Die Magnete befinden sich im Lehrerzimmer.“ „Ja, Klebeband habe ich hier irgendwo gesehen.“ „Guck mal, wie viele Klobürsten!“) und dem Bau eines Bierdeckelhauses. Ihres wird größer, wahrscheinlich ist die Kälte Schuld. Um nicht völlig zu erstarren, greifen wir uns eine Klobürste und geben eine Version von We are the champions zum Besten, die ihresgleichen sucht. Trotzdem sind wir beide sehr froh, als endlich der Hausmeister seinen Kopf durch den Türspalt schiebt und ein fröhliches „Hallo, ihr Kellerkinder!“ herunterschickt.

Ich bedanke mich bei ihm mit einem herzlichen Niesen und einer frisch eingesungenen Klobürste.

Gegen Ende des Schuljahres werden wir eben alle ein bisschen gaga.