Vorfreude

Morgen ist Freitag und dann noch ein besonderer. Ich treffe mich nach der Schule mit meinem guten Freund Marten. Marten ist ein richtig toller Grundschullehrer und wir kennen uns aus den Anfangstagen meines Musikstudiums. Von ihm habe ich den Tipp, brülllaute Pausenaufsichten durch den Einsatz von Ohrstöpseln erträglicher zu gestalten. Unbezahlbar!

Rückblick:

Ein hässlicher Flur, ein schäbiger Stuhl und darauf die noch sehr junge Frau Weh mit Herzklopfen. Ich wusste nicht, was mich erwartete und war nervös. Da ging die Tür auf und ein gut aussehender, braun gelockter junger Mann trat auf den Flur. Er sah mich interessiert an, fragte, ob ich die neue Schülerin von Frau König sei und auf mein erwartungsvolles Nicken schüttelte er bedauernd den Kopf und meinte „mein Beileid!“. Hmm.

45 Minuten später war mir alles klar.

Frau König – russischer Albdruck. Wöchentlich wiederkehrender Schmerz, Elend und Tränen.

„Guttten Tack“ und „Auff Wiederrrsehen!“ und „Übben Sie!“waren die einzigen Worte, die sie mit mir im ersten Semester wechselte. Die restliche Kommunikation erfolgte ausschließlich über das Heben und Senken ihrer dunklen unheilverkündenden Augenbrauen. An die Uni kam ich mit Gershwin und Prokofiev. Sie ließ mich Clementi und Bartoks Mikrokosmos spielen. (Für die Nichtmusiker unter uns: das ist wie wenn man Jets fliegt und dann einen Heliumballon am Schnürchen halten darf. Also nichts gegen Bartok. Aber…naja…)

Außerdem schlug sie mir mit dem Bleistift auf die Fingerknöchel. Meine Handhaltung war offensichtlich eine so große Katastrophe, dass sie zu besonderen Methoden greifen musste.

Dienstagsabends bekam ich regelmäßig Bauchschmerzen, die sich bis Mittwochsmittags um 14.00 Uhr extrem steigerten. Ich hatte furchtbare Angst vor ihr. Dabei war sie ungefähr nur 1,50m groß. Aber ich schwöre, sie sah viel größer aus!

So etwas schweißt zusammen. Seit dieser Zeit sind Marten und ich befreundet in guten wie in schlechten Zeiten. Wir treffen uns regelmäßig und erzählen wie schlimm es uns gerade geht. Das ist ok. Andere zeigen stolz Operationsnarben oder Schwangerschaftsstreifen. Bei uns geht es mehr um seelische Katscher.

Manchmal tauschen wir auch gelungene Unterrichtsvorschläge aus. Und morgen ist es wieder soweit. Klasse Sache!

Diese Vorfreude stimmt mich heute milde, wenn Cengiz  im Musikunterricht neben dem Klavier sitzt und wieder hingebungsvoll die ganze Zeit Popel rollt und verspeist. (Seine Füße haben auch irgendwie komisch gerochen.) Der Gedanke an morgen trägt mich durch die Dienstbesprechung und eine weitere E-Mail von Supermom („Bitte um Bekanntgabe der Punkteverteilung im letzten Sachunterrichtstest. Mia-Sophie scheint mir eine bessere Benotung verdient zu haben!“).

Es ist wichtig, Freunde zu haben! Gerade als Lehrer. Lehrer haben irgendwann sowieso nur noch Lehrer als Freunde. Oder gar keine mehr. Dann muss man ständig alleine ins Museum gehen oder Bildungsreisen mitmachen und alles besser wissen als die arme Dame mit dem Schirm.

Warum nicht also schon die besten im Studium heraussuchen, ehe man sich dann den übriggebliebenen Rest aus dem Kollegium zusammenkratzen muss? Mit Marten jedenfalls habe ich da alles richtig gemacht. Und was ich ja noch gar nicht erwähnt habe: Er ist auch noch kultiviert! Und gebildet! Und kann kochen! Hammer!

Frau König wechselte übrigens ein Semester vor meinem Abschluss auf eine andere Uni und Ivan aus Ungarn wurde mein Lehrer. Von da an wurde mein Leben entspannter. Ich spielte wieder Gershwin und Ivan rauchte derweil verträumt eine Zigarette am offenen Fenster. Die Prüfung war dann übrigens ein Klacks.