kleine Horrorstunde

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass mein Körper ein undankbarer Sack ist!

Da presse ich frischen Saft, schütte statt herrlich krümeliger Zimt-Zucker-Mischung einen Schwapps Agavendicksaft über mein Müsli, springe motiviert aus dem Bett, um meinen Körper mit Sauerstoff und Serotoninen zu fluten und statt, dass er mich im Gefühl des wahren Glücks schwelgen lässt, zickt er nur rum. Gestern zog es in der linken Wade, vorgestern zwickte die rechte Schulter, heute schmerzt der Kopf. Mein Körper benimmt sich wie ein mäkeliges Kleinkind, dem man nichts recht machen kann. Ständig mault er: Lass mich liegen! Gib mir Schokolade! Ich will keinen Tee, ich will… Cocktails! Und Schirmchen! Kirschen!

Wenn er sich ja wenigstens etwas minimalistischer aufführen und überflüssigen Ballast abwerfen würde. Aber nein. Während ich mich innerlich schon richtig sportlich fühle (und morgens überhaupt kein bisschen mehr laut jammere), gerät mein Körper in Panik und legt erstmal ein Kilo zu. Ob das wohl schon Muskeln sind? Möglicherweise lagert sich aber auch nur das Kokosöl ab, das mir gelegentlich noch den Schlund runterrutscht während ich tapfer damit schmurgele. Immerhin ist das ja reinstes Fett! Und wenn ich davon jeden Morgen so – sagen wir mal – einen üppigen Löffel zu mir nehme, dann ist die Gewichtszunahme doch schon vorprogrammiert. Da nützt es auch nichts, dass ich mir abends dann den ganzen Schnodder aus dem Gehirn rausspüle, Schnodder wiegt ja nichts. Weiß doch jeder.

Zu allem Überfluss wächst mir seit drei Tagen auch noch ein zweiter Kopf. Nein, das KANN kein Pickel mehr sein! Das hat schon richtig Persönlichkeit und wirft einen Schatten, an dem der Kundige die Uhrzeit ablesen könnte. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so ein Monstrum ausgebrütet. Bestimmt ist das Ding randvoll mit Giftstoffen und Schlacken und schlechter Laune. Vielleicht habe ich es aber auch endlich geschafft und es handelt sich dabei um ein zweites Gehirn, so wie es die zamonischen Eydeeten serienmäßig besitzen. Das wäre praktisch, eine Art körpereigenes Backup, in das ich Informationen zur Zwischenablage einspeisen könnte. Ich beobachte das Wachstum weiterhin gespannt.

Das tun die Viertklässler übrigens auch, haben wir doch gerade die Pubertät mit all ihren unerfreulichen Nebenwirkungen als Thema abgehakt.

„Frau Wehee? Was ist das da in ihrem Gesicht?“

„Das“, und ich blitze Nino böse an, „ist die zweite Frau Weh. Diejenige, die nicht mehr lächelt, wenn du deine Hausaufgaben zum dritten Mal hintereinander vergessen hast. Die“, und ich nehme den nächsten kichernden Schüler ins Visier, „die Frau Weh, die nicht mehr in den Raum schaut, bevor sie die Türe abschließt und nach Hause fährt.“ Meine Stimme hebt sich gleichzeitig mit meinen Händen und ich blicke theatralisch an die Decke. „Die Frau Weh, die euch nicht mehr vor Frau Schmitz-Hahnenkamp in Schutz nimmt, sondern sich mit Popcorn in die erste Reihe setzt und zuschaut!“ Ich komme so langsam in Fahrt. Die Viertklässler glucksen vor Vergnügen und machen ihrerseits nun eifrig Vorschläge:

„Vielleicht die Frau Weh, die beim Fahrradtraining nicht die Klötzchen aufhebt, sondern den Kindern hinterherschmeißt?“

„Oder die Frau Weh, die beim Waffelmachen den Kindern die Hand im Waffeleisen einquetscht, um die Temperatur zu testen?“

„Nein, nein, die Frau Weh, die kein halbes Hähnchen isst, sondern lieber einen halben Erstklässler!“

„Die Frau Weh, die beim Hausmeister die Kettensäge holt…!“

Sprachlos höre ich mir die Horrorvorstellungen an, die die mir anvertrauen Kinder mühelos mit einer zweiten Version meiner selbst zu verknüpfen im Stande sind.

„Danke!“, sage ich pikiert, „Das Prinzip habt ihr offensichtlich verstanden… weiterarbeiten!“

 

Die Sache mit der Demokratie

…ist wahrlich keine leichte.

Klassensprecherwahl bei den Drittklässlern.

Was wurden doch im Vorfeld für redliche Charaktereigenschaften benannt, über die ein guter Klassensprecher – natürlich auch in weiblicher Form – verfügen müsse! Nett und freundlich solle er sein, unparteiisch und gerecht, selbstbewusst und redesicher. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

All dies ist nun nichtig angesichts der kribbelnden Aufregung, die die Klasse ergreift. Es gilt den eigenen Namen an die Tafel zu bringen. Das ist, was zählt! Oh, diese Ameisen im Bauch, diese Vorfreude! Namen über Namen konkurrieren um Glanz und Glorie des Amtes und bilden einen basisdemokratischen Flickenteppich. Die Stimmung ist gelöst, der Kongress tanzt. Mein eindringliches Zureden trifft auf taube Ohren. Alle fühlen sich wie gemacht für den Posten.

Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße: Abgeschlagen mit je einer Stimme* dümpeln all die Willigen auf der Wandtafel. Doch – Überraschung! – ein Kandidat hat die große Pause erfolgreich genutzt, um sich seines Gefolges zu versichern. „Wenn du mich wählst, dann…!“ verspricht er mit großer Geste. Mit acht Stimmen strahlt Sinan, der bisher eher durch ungemachte Hausaufgaben und tägliche Raufereien auffiel, nun siegesbewusst in die Runde: „Ich nehme die Wahl an und morgen bringe ich Kuchen für alle mit!“

Dann wäre er immerhin ein Politiker, der seine Wahlversprechen hält.
*(früher hieß es immer „Selbstwahl stinkt!“, aber das kam vermutlich erst in der Mittelstufe.)