Pausenaufsicht, große Pause.
Ich hocke neben dem Klettergerüst und versuche einen unergründbaren Streit auf Augenhöhe zweier Erstklässler zu schlichten als sich plötzlich ein beträchtlicher Schwall Sand in meine Stiefel ergießt. Entrüstet drehe ich mich um und begegne dem entsetzten Blick von Zweitklässler Justus, der mir kopfunter durch seine Beine entgegenstarrt, den Po hoch in die Luft gereckt, die Hände noch zum Scharren erhoben. Erst in diesem Moment scheint ihm aufzugehen, wen er da eigentlich angebaggert hat. (Nicht, dass ihn die Tat selber peinlich berühren würde. Nein, Justus gehört zu dem Kaliber Kind, das sich jeglicher Materie mit vollem Körpereinsatz nähert. Das Kollegium schwankt zwischen Staunen und Entsetzen, wenn im Lehrerzimmer von den jeweiligen Fachlehrerinnen eine neue Justusanekdote zum Besten gegeben wird. Hat er doch schon Arbeitsblätter aufgegessen, Pinselwasser getrunken, sich nach Regentagen zuerst durch Schlammpfützen und anschließend über den Klassenboden gewälzt und uns auf so mannigfaltige Art seine Verhaltensoriginalität präsentiert.)
„Justus, mein Freund“, ich schaue ihn unter hochgezogener Augenbraue an, „wir setzen uns jetzt mal einen Moment hier auf die Bank!“
Er nickt betroffen, folgt mir aber umgehend und lässt sich neben mich plumpsen.
„Justus? Ich bin deine Lieblingslehrerin*, nicht wahr?“
Justus schaut mich weiterhin aus kullergroßen Augen an und nickt wieder. Ein wenig sieht er aus wie das Kaninchen vor der Schlange. Wir schweigen eine Weile vor uns hin.
„Ich habe dich auch ziemlich gern.“ (Das stimmt sogar. Seltsamerweise habe ich einen guten Draht zu kleinen Aufmüpfern.)
„Meine Schuhe mag ich allerdings auch sehr…“, ich blicke betrübt auf meine Wildlederstiefel hinunter.
„Die sind auch echt schön“, haucht Justus.
„Jaaaa, das sind sie wirklich!“ Ich seufze einmal. Dann sitzen wir wieder eine Zeit still nebeneinander auf der Bank und machen gar nichts.
„Und jetzt?“, nehme ich das Gespräch wieder auf.
Sofort antwortet Justus pflichtschuldig: „Jetzt mache ich das nicht wieder…“
Schon möchte ich diese Standardantwort befriedigt abnicken, da fährt er fort: „…wenn Sie da sind.“
…
* Es ist nicht so schwer, eine Lieblingslehrerin zu sein, wenn man Musik unterrichtet und den Schlüssel zum Wunderland des Instrumentenraums besitzt.