Organspende

Der Himmel über dem Ruhrgebiet zeigt sich an diesem Morgen grau und wolkenverhangen. Auch Benedikts Ferienbericht klingt betrüblich:

„Und dann hat der Mann uns doch tatsächlich“, der kleine Sternsinger macht eine aufgebrachte Pause, untermalt von heftigem Schniefen, „mit türkischen Nieren bezahlt!“

Pfui, denke ich, das geht aber wirklich zu weit! Auch meine anderen Schützlinge zeigen sich empört. Wir sind uns alle einig, dass türkische Nieren als Zahlungsmittel umgehend verboten werden sollten, Baklava hingegen als Sternsingergabe durchaus akzeptiert werden könne. Vorausgesetzt, man fände eine Verpackung, schließlich klebt das Zeug ja wie Hulle!

„Und, was haben Sie in den Ferien gemacht, Frau Weh?“ Der Erzählstein ist mittlerweile bei mir angekommen. Wahrheitsgemäß antworte ich, dass ich sehr erfolgreich enorme Mengen Nachtisch zu mir genommen und mich überhaupt gnadenlos gut erholt hätte. Ich denke an Cocktailschirmchen, bunte Getränke, noch mehr bunte Getränke, warmes Öl auf meinem Rücken und seufze einmal wohlig. Schmitti zu meiner Linken interpretiert diesen Ausdruck meiner Freude jedoch völlig fehl, tätschelt mir beruhigend das bestrumpfhoste Knie und meint beruhigend: „Alles gut, Frau Weh, jetzt bist du ja wieder da, du brauchst nicht anfangen zu weinen!“

Was habe ich sie vermisst! 🙂

 

Weltuntergang

6. Stunde, Freiarbeit bei den Drittklässlern. Marc und Benedikt puzzlen gemeinsam am 1000er Puzzle.

„Nächste Woche geht ja die Welt unter!“

„Echt? Warum das denn?“

„Keine Ahnung, ich hab das im Fernsehen gehört.“

„Hmm… vor oder nach Weihnachten?“

„Noch vor Weihnachten.“

„Boah, Kacke!“

„Ja, voll, ne?“

Möge die Macht…

3.Schuljahr, Sachunterricht.

Ich liege ohnmächtig auf dem Boden, 25 Kinder starren auf mich herunter, eins hockt auf mir drauf.

„Du musst gucken, ob sie noch atmet, Nino!“

Nino wirkt leicht gestresst. Eben noch hat er sehr großspurig mitgeteilt, dass die stabile Seitenlage ja wohl voll langweilig sei und er das sowieso alles könne, nun findet er sich umringt von seinen Klassenkameraden auf dem Bauch seiner Klassenlehrerin wieder. So hatte er sich das nicht vorgestellt.

„Hallo, Frau Weh, hören Sie mich?“, Nino rüttelt kläglich an meinen Schultern. „Atmen Sie noch?“

„Das kann sie dir doch nicht sagen, du Trottel. Sie ist OHN-MÄCH-TIG!!!“, Friederike ärgert sich, wäre sie doch tausendmal lieber an seiner Stelle. „Außerdem musst du runter von ihr, wenn du ihr jetzt den Bauch brichst, müssen wir zu Frau Schmitz-Hahnenkamp!“ Ich möchte auch keinen gebrochenen Bauch haben und grummle zustimmend.

Nino steigt ab und legt vorsichtig eine Hand auf meinen Bauch. Ich merke, dass sich ein kleines Ohr über meine Nase schiebt. Aus kleiner Gemeinheit halte ich die Luft an. In Nino wächst das Unbehagen: „Sie atmet aber gar nicht! Frau Weh!?“

„Geil, musst du so machen!“ PONK PONK Ich blinzle ein bisschen und sehe, wie Schmitti rhythmisch mit den Fäusten auf den Tisch donnert. Bevor ich ernstlich intervenieren muss, kommt mir Friederike zu Hilfe:

„Boah, lass mich mal, du Doof!“ Friederike schiebt Nino resolut zur Seite, überstreckt routiniert meinen Kopf, kontrolliert die Atmung, mit der ich mittlerweile wieder begonnen habe, legt den einen Arm zum rechten Winkel, führt die andere Hand an mein Gesicht, hebt mein Bein an und – zack! – liege ich in der stabilen Seitenlage. Noch ein paar Schönheitskorrekturen und fertig. Überhaupt kein Problem, alles easy peasy lemon squeeze. Die Klasse applaudiert.

Ich erwache aus meiner Ohnmacht: „Oh, wo bin ich?“ Alle sind entzückt über meine offensichtliche Desorientierung. „Keine Sorge, Frau Weh“, meldet sich liebevoll der kleine Grabowski zu Wort, „du bist in Klasse, nur eine ohne Macht war da, jetzt wieder alles gut!“

 

Die Sache mit der Demokratie

…ist wahrlich keine leichte.

Klassensprecherwahl bei den Drittklässlern.

Was wurden doch im Vorfeld für redliche Charaktereigenschaften benannt, über die ein guter Klassensprecher – natürlich auch in weiblicher Form – verfügen müsse! Nett und freundlich solle er sein, unparteiisch und gerecht, selbstbewusst und redesicher. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

All dies ist nun nichtig angesichts der kribbelnden Aufregung, die die Klasse ergreift. Es gilt den eigenen Namen an die Tafel zu bringen. Das ist, was zählt! Oh, diese Ameisen im Bauch, diese Vorfreude! Namen über Namen konkurrieren um Glanz und Glorie des Amtes und bilden einen basisdemokratischen Flickenteppich. Die Stimmung ist gelöst, der Kongress tanzt. Mein eindringliches Zureden trifft auf taube Ohren. Alle fühlen sich wie gemacht für den Posten.

Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße: Abgeschlagen mit je einer Stimme* dümpeln all die Willigen auf der Wandtafel. Doch – Überraschung! – ein Kandidat hat die große Pause erfolgreich genutzt, um sich seines Gefolges zu versichern. „Wenn du mich wählst, dann…!“ verspricht er mit großer Geste. Mit acht Stimmen strahlt Sinan, der bisher eher durch ungemachte Hausaufgaben und tägliche Raufereien auffiel, nun siegesbewusst in die Runde: „Ich nehme die Wahl an und morgen bringe ich Kuchen für alle mit!“

Dann wäre er immerhin ein Politiker, der seine Wahlversprechen hält.
*(früher hieß es immer „Selbstwahl stinkt!“, aber das kam vermutlich erst in der Mittelstufe.)