Ende der zweiten Pause. Es liegt Schnee im Ruhrgebiet.
Ich steige gut gelaunt die Treppe hinunter, um die Viertklässler zum Musikunterricht abzuholen, da bemerke ich es: Die gesamte Klasse befindet sich bereits im Gebäude und ist hörbar aufgebracht. Seltsam. Noch seltsamer mutet allerdings an, dass sich ihre Klassenlehrerin und Frau Schmitz-Hahnenkamp Nase an Nase gegenüber stehen, in lautstarkes Gekeife vertieft. Ich runzle die Stirn und versuche diese Flut an Informationen mit der Tatsache abzugleichen, dass ich eigentlich eine friedliche Musikstunde zu halten gedachte.
Was es nun genau mit dem Zorn der Kolleginnen auf sich hat, wird mir umgehend erläutert: Kollegin Schmitz-H. hatte Aufsicht. Es gab eine Schneeballschlacht. Die GANZE Klasse war darin verwickelt*. Schneeballschlachten sind verboten. Alle müssen einen Aufsatz schreiben. Auf der Stelle! In meiner Musikstunde!
Na toll.
Ich hake die phänomenale Einstiegsstunde zum „Karneval der Tiere“ ab und schließe den Klassenraum der 4a auf. Die Schüler trotten murrend hinein, kleine Wasserpfützchen hinterlassend. Platschplatsch macht es. Später sitze ich am Pult der Kollegin und langweile mich. Hätte ich das geahnt, ich hätte mir doch ein Buch mitgenommen! Oder wenigstens was zu arbeiten. Immerhin sind sich die Viertklässler ihrer misslichen Lage bewusst; auch sie hätten lieber Musikunterricht. „Wagt es bloß nicht, euch bei MIR zu beschweren!“, grummle ich den ersten Schüler an, der sich in nörglerischer Absicht an mich heranpirscht. „Ich hätte allen Grund, mich bei euch zu beschweren! Ihr hattet euren Spaß ja bereits in der Pause. Ich hingegen muss mich jetzt 45 Minuten langweilen. Toll!“
Da beeilen sie sich natürlich und keine 20 Minuten später liegen die ersten Aufsätze vor mir. Prallvoll mit Beteuerungen, besten Absichten und guten Vorsätzen. Ich will es nie wieder tun! und zuerst hat es ja noch Spaß gemacht – ich habe ein deja vu und denke an letztes Jahr. Und an das davor. Und überhaupt. Gibt es eigentlich eine Lösung für dieses vom Himmel fallende, alljährliche Problem?
Ja, es gibt sie. Sie steht im Aufsatz von Vlad und lautet:
„Ich bin der Meinung, man kann das Problem lösen. Alle Lehrerinnen sollen den Schnee einfach vom Schulhof nach draußen schieben. Dann kann man keine Schneebälle mehr machen und alle sind glücklich!“
Ich stelle mir vor, wie ich beim gemeinsamen Schneeschippen Frau Schmitz-Hahnenkamp von hinten einen fetten Schneeball auf den Hintern donnere und muss grinsen. Das Glück hat eben viele Gesichter.
* so viel Gemeinschaftssinn würde ich mir für die Drittklässler ja wünschen…