Ein einsames Sams steht in der verlassenen Lehrerküche, den Kopf ermattet auf den Kafeevollautomaten gestützt. Ich schaffe es nicht einmal meine Schweinenase abzunehmen, so müde bin ich in diesem Moment. Hinter mir liegen eine Nacht mit wenig Schlaf und zwei kranken Wehwehchen, außerdem drei Stunden Karnevalsgedöns in der Schule. Spielmannszug, singendes Dreigestirn und die völlig überdreht- und überzuckerten Drittklässler. Volles Programm also. Mein Kopf pocht und ich will nur noch einen kurzen Moment Ruhe tanken, bevor ich nach Hause fahre um die Brutpflege zu übernehmen. Da betritt die Kollegin, die ich gerade am wenigsten von allen sehen möchte, die Bühne, pardon, die Kaffeeküche.
„Ah! Wie gut, dass ich dich noch erwische! Ich denke, wir sollten uns noch einmal unterhalten!“ Gewaltig und wichtig schiebt sie sich zu mir.
Mein Kopf scheint ins Magnetfeld der Wärmeplatte geraten zu sein, jedenfalls kostet es mich unendliche Mühe ihn zu heben und Frau Schmitz-Hahnenkamp ins Gesicht zu blicken.
„Ooooh“, säuselt sie dann auch prompt, „wie siehst du denn aus? Geht es dir nicht gut? Das habe ich mir gleich gedacht heute morgen. ‚Die Frau Weh sieht aber gar nicht gut aus‘.“ Ihre Stimme nimmt einen zuckrigen Klang an, der mir in der Situation prompt Übelkeit bereitet. „Es ist ja auch gar nicht so einfach für dich! Das habe ich der Chefin gestern auch gesagt. ‚Wie Frau Weh das immer alles schafft, mit der schwierigen Klasse und dann die Familie zu Hause und das alles!‘ Ehrlich, du hast meine Hochachtung und meine Bewunderung! Aber nun sag mir doch, was hast du denn?“
Sie schaut mich an wie ein Maulwurf.
Ich greife zur Schaufel.
„Du!“, würge ich hervor, „gehst mir gerade sowas von auf den Senkel!“ Ich blitze sie an, Horden von kranken Wehwehchen und marodierenden Drittklässlern stehen hinter mir, schwenken Transparente und gröhlen Schlachtrufe. Meine Schweinenase zittert und ich stemme die Arme in meine pummelig ausgestopften Samsseiten. „Vielleicht könnten wir jetzt mal das Theaterspielen sein lassen. Was ist eigentlich DEIN Problem? Ach, ich weiß es: Dass eine Klasse es nicht nur wagt, geschlossen deine fragwürdigen Methoden zu kritisieren, sondern dass sie sich damit nicht an dich wendet, sondern an jemanden, dem sie vertraut. Weißt du was? Mach mit deiner Klasse, was immer du für richtig hältst, aber in meiner Klasse gilt ab jetzt: Keine rausgerissenen Seiten, kein weiteres Einschüchtern und keinerlei Machtmissbrauch mehr in Form von rigiden, sinnlosen Strafen! Ich bin es LEID“, ich spucke das Wort hervor wie etwas, das mir schon zu lange im Halse steckt, „ich bin es SO leid!“
Frau Schmitz-Hahnenkamp steht wie vom Donner gerührt vor mir. Man merkt ihr deutlich an, dass sie nicht mit einem solchen Ausbruch gerechnet hat. „Ähh, muss ich das jetzt verstehen? Na, egal! Ich wollte nur nett zu dir sein!“
„Ah“, falle ich ihr ins Wort, „danke für das Stichwort! Nett wäre, wenn du Dinge direkt mit mir besprechen würdest statt sie künstlich aufzublasen und damit zur Chefin zu laufen.“ Ich schiebe mir den Schweinerüssel auf die Stirn, der besseren Atmung wegen. „Und ebenfalls nett wäre es auch, wenn wir uns dabei auf einer sachlichen Ebene begegnen könnten. Was ist das hier? Ein Showlaufen der pädagogischen Eitelkeiten?“
Einen Moment sehe ich hinter die Kulissen. Ich sehe eine ältere, einsame Kollegin vor mir, die all ihre Versagensängste, ihre Selbstzweifel und ihren beinahe pathologischen Wunsch nach Anerkennung hinter einer soliden Mauer aus Selbstgerechtigkeit, Missgunst und Antipathie verbirgt. Ich muss schlucken. Dann ist es auch schon wieder vorbei. Frau Schmitz-Hahnenkamp schnauft beleidigt auf und blitzt mich böse an: „Das muss ich mir nicht sagen lassen!“ Sie rauscht aus der Küche.
„Doch“, rufe ich ihr hinterher, „genau DAS musstest du dir mal sagen lassen!“
Ich atme aus, überrascht von mir selber. Meine Hände zittern ein bisschen. Erstaunlicherweise fühle ich mich jetzt besser. Ist bestimmt was mit den Hormonen, denke ich. Als ich meine Jacke hole und in den Spiegel an der Garderobe blicke, starrt mich ein Sams an. Blaue Punkte im Gesicht. Auf seiner Stirn wächst eine schrumpelige Schweinenase. Seine Wangen sind gerötet und die Augen blitzen. Während mir langsam bewusst wird, dass ich den gesamten Schwall im vollen Kostüm von mir gegeben habe, bahnt sich ein leises Kichern den Weg nach draußen. Beim genaueren Hinsehen wirkt das Sams im Spiegel etwas irre. Aber im Großen und Ganzen doch recht zufrieden.