Brainfreeze

Diese Woche spottet wahrlich jeder Beschreibung. Ein Drittel des Kollegiums erkrankt, kein Hausmeister, erneut keine Heizung, keine Putzfrau. Ständig zwei Klassen parallel unterrichtet. Die Anspannung im Lehrerzimmer… unsagbar. Dazu Ärger über fehlende elterliche Sorge, seelische Grausamkeiten und die ewig mahnende innere Stimme, Abstand zu wahren. Heute dann die explosionsartige Entladung  – Inobhutnahme eines meiner Schüler durch das Jugendamt.

Es gibt Dinge, die müssen schnell gehen. Manchmal so schnell, dass Körper, Seele und Gehirn mit der Kaskade verschiedener Emotionen, die einen durchlaufen, gar nicht mehr klarkommen. Ein einziges Wechselbad aus unfassbar großem (Er-)Schrecken, Wut, Angst, (Mit-)Leid und der stetigen Frage, ob die Entscheidung, die man innerhalb kürzester Zeit zu treffen gezwungen wurde, die richtige ist. Details wären hier nun fehl am Platz. Unfassbar aber die Tatsache, dass es so viele Kinder gibt, denen Leid geschieht. So großes Leid, dass im schlimmsten Falle ein Leben zu so einem frühen Zeitpunkt bereits völlig verkorkst scheint.

Gut tut dann, wenn sich ein solcher Tag, eine solche Woche nach gefühlter Unendlichkeit neigt.

Gut tut eine Nachricht des Dankes, dort gehandelt zu haben, wo Wegschauen der einfachere Weg gewesen wäre.

Gut tut auch die Fahrt nach Hause, das Umarmtwerden der Familie, ja sogar eine kotzende Katze hat erleichternde Wirkung. (In jeder Hinsicht.)

Und die Aussicht auf einen gigantischen Erdbeerdaiquiri!

(fast) eine Heldin

Es gibt Dinge, die müssen nicht sein. Regenpausen zum Beispiel. Zwei Konferenzen pro Woche. Und Arachnida im Musikraum.

6.Stunde, viertes Schuljahr, Musik. Ich habe bereits vier Stunden Musikunterricht hinter mir, außerdem eine verkorkste Stunde Mathematik bei den Drittklässlern. Meine Laune könnte besser sein, die der Viertklässler auch. Dennoch machen wir das Beste aus der Situation. Ich spiele das unsägliche Nossa, nossa auf dem Klavier und die Viertklässler tun das, was sie am besten können: sie sind laut. Nachdem wir uns noch durch Call My Name (der Zweck heiligt die Mittel!) und Hollywood Hills gesungen haben, ertönt ein markgefrierender Schrei:

„Eine Spinne! Frau Weh! Da, hinter dem Klavier!“

Ich schaue auf und erstarre. Schwarz. Behaart. Groß! Ein Monster von einer Spinne starrt zurück. Ich lasse langsam etwas Atemluft entweichen, während die Klasse in panisches Gebrüll verfällt. (Nur die ganz Coolen lassen ein „oh, süß!“ fallen wie ein Sprayer eine leere Dose.) Eine solche Kreatur sollte von Steven Spielberg gecastet werden. Sie sollte in Hollywood Karriere machen, aber sie sollte ganz sicher nicht auf meiner Wand hinter meinem Klavier in meinem Musikraum lauern. Denn das tut sie eindeutig. Sie lauert und wartet darauf, dass ich einen Fehler mache.

Die Viertklässler sind mittlerweile in Schockstarre gefallen (eine ganz ungewohnte akustische Erfahrung). Lediglich die Kinder, die sich bis eben noch nahe am Klavier drängten, sind aufgesprungen und haben das Weite gesucht. Das würde ich jetzt ebenfalls gerne. Aber dummerweise hockt plötzlich die pädagogische Vorbildfunktion auf meiner Schulter und schüttelt milde den Kopf: Immer dran denken, Spinnen sind Nutztiere! Die Angst vor Spinnen ist völlig unbegründet. Zeige deinen Schülern, dass man auch eine solche Situation gelassen lösen kann! Blöde Kuh, die meldet sich auch immer nur, wenn es ihr passt!

Im Geiste suche ich verzweifelt nach einem Gefäß, welches geeignet ist, dieses Prachtexemplar einer Großen Winkelspinne an die Luft zu befördern. Denn auch wenn alles in mir KLATSCH EIN BUCH DRAUF!!! schreit, den Fleck kriegt man ja nie wieder von der Wand. Und den Ärger mit dem Hausmeister erspare ich mir lieber. Dummerweise gibt es nichts, was ich nehmen könnte. Die Handtrommeln sind zu groß, aus einer Guiro kriege ich das Vieh nie wieder raus und die Donnertrommel habe ich an eine Kollegin aus dem ersten Schuljahr verliehen. Ich verfalle in leichte Panik, bleibe aber äußerlich gelassen: „Ach, so groß ist die doch gar nicht!“ Doch, ist sie wohl! „Die setzen wir mal schnell an die Luft. Wer möchte denn?“

Mit einer Mischung aus Herausforderung und stummer Bitte schaue ich zu den Coolen hinüber. Aber erwartungsgemäß ist plötzlich niemand mehr sonderlich gelassen und eine Mutprobe dieser Größenordnung möchte schon mal gar keiner antreten. Verdammt! Was tun? Ignorieren geht nicht. Laufen lassen… oh nein! Draufhauen – siehe oben. Verdammtverdammtverdammt!  Ich atme tief durch. Schlucke. Bitte einen Schüler das nächstgelegene Fenster zu öffnen..

… und umfasse die Spinne mit beiden Händen.

Die Kinder schreien wieder auf und öffnen augenblicklich den Sitzkreis, damit ich mit meiner Last zum Fenster komme. Noch drei Meter. Meine Gesichtszüge sind erstarrt. Durchhalten! Zwei Meter. Das Dinge krabbelt wie wild in meinen Händen herum. Hiiiiiilfeeeeee! Fiiiiieeeees! Ein Meter. Schweiß rinnt mir den Rücken herunter. Mein ganzer Körper ist fluchtbereit. Ich hasse Spinnen! 30 Zentimeter, schon reichen meine Hände aus dem Fenster heraus. Gleich geschafft!!! Die Kinder halten den Atem an. Frau Weh, superhart! Da…

AARRRGGGHHWÖÖÖÄÄÄÄÄÄHHH!!!

Mit einem Schrei werfe ich das Biest nach draußen, schmeiße das Fenster zu und verfalle in unkontrollierte Zuckungen.

Fast eine Heldin.

Chaos, blankes

Für heute bin ich fertig. Völlig alle, erledigt, entnervt.

Die Drittklässler in Kunst (KUNST, fast mein Lieblingsfach! Wie konnten sie nur!) – ein einziger Sauhaufen. Als hätten sie noch niemals auch nur einen Pinsel aus der Nähe gesehen. Farbe? An Händen, Wänden und Kleidung. (Geschrei.)

Zwei Stunden, die so dermaßen aus dem Ruder liefen, dass mich die blanke Verzweiflung packte. (Für die Nichtlehrer: Das fühlt sich dann so an, als würden die Eingeweide von einer zähen Pickelschicht überzogen werden. Der einzige Gedanke, der einen dann heimsucht, ist: Flucht, Flucht! Kein schönes Gefühl.) Ja, ich wäre tatsächlich am liebsten weggerannt. Die Lautstärke, das ständige „FrauWehFrauWehFrauWeh“, Platzgerangel, der hat aber den Ellbogen auf meinen Tisch gelegt! (Geschrei), Überschwemmungen (noch mehr Geschrei).

Du liebe Güte!

Nun mit ein wenig Abstand, einer ordentlichen Portion künstlich zugeführtem Serotonin und einer geringen Menge Selbstmitleid ausgestattet muss ich erkennen, dass die Stunde gleich mehreren groben Planungsfehlern zum Opfer fiel. Es war ein blöder Fehler anzunehmen, dass die Drittklässler Magenta als Rot akeptieren, nur weil ich das so sage. (Geschrei.) Es war ein noch blöderer Fehler den Kindern Zeitschriften für eine Collage zur Verfügung zu stellen, die doch tatsächlich Werbung für Duschgel oder Bodylotion enthielten. Hormonalarm bei den Kerlchen. Als hätte ich den Playboy verteilt und nicht die Brigitte. Heiße Öhrchen und Hitzewellen. (GeschreiGeschreiGeschrei.)

Es ließe sich noch mehr hinzufügen, aber ich kann nicht mehr. Also hake ich den Tag ab. Kommt doch morgen schon die nächste Chance auf pädagogische Glanzleistungen.

Und Punkt.

Endlich Ruhe.

Erste Panikattacke

Halbzeit. Sogar schon drüber. Fühlt sich nicht gut an. Und obwohl eigentlich Ferien sind, ich eigentlich wunderschöne Ferientage mit Herrn Weh und den Wehwehchen verbringe, nagt da ein mittleres Unwohlsein in mir drin. Zwar habe ich in den ersten beiden Ferienwochen ein beachtliches Pensum bewältigt, den Fach- und Klassenunterricht bis zu den Herbstferien hieb- und stichfest gemacht, dennoch…

Es stehen ein paar Projekte an, in die ich einerseits bereit bin, viel Herzblut zu stecken, die mich andererseits aber auch fordern. Ich bin als Solistin für ein Adventskonzert angefragt worden. Das mache ich von Zeit zu Zeit. Einmal, weil ich viel zu selten dazu komme, auf dem Level zu musizieren, auf dem ich mich gerne bewege und zum Zweiten, weil ich auch nach mittlerweile über 20 Jahren* mit Instrument(en) in der Hand immer noch gerne Bühnenadrenalin tanke. Dummerweise ist es gerade der Advent, der vor Projekten, Veranstaltungen und – ja, leider – Stress nur so strotzt. Ein Konzert dieser Größenordnung verlangt mir spätestens ab September konsequente tägliche Übezeit ab. Und ja, natürlich will ich gute Arbeit abliefern.

Ein, zwei schulische Veränderungen stehen an, über die ich hier leider nichts verlauten lassen kann, die mich aber ebenfalls sowohl mit (Vor-)Freude, als auch mit Selbstzweifeln erfüllen. Kann ich das alles? Packe ich das?

Ferner zwinge ich mich gerade in die neuen Medien. Das Notensatzprogramm Musescore bewältige ich immer noch nicht (ich gebe zu, ich habe auch wenig Lust mich damit zu beschäftigen) und ich MUSS bis in zwei Wochen das Problem gelöst haben, Audiodateien vom Aufnahmegerät auf den Computer auf eine CD zu bekommen. Derzeit stürzt mir dabei ständig mein kleiner Dell ab, das hebt nicht gerade die Stimmung.

Totales Motivationsloch.

Böh!

 

* Nachtrag: Habe ich da wirklich 20 Jahre geschrieben? Haha, es sind schon über 30…!

Parkplatznot gleichbistetot

Es ist so: Manchen Kindern kann man einfach nicht zumuten, den weiten und gefährlichen Weg nach Hause zu Fuß zu bestreiten. 250m ruhige Nebenstraßen? Unmöglich!

Nein.

Falsch.

Nochmal: Manchen Müttern kann man einfach nicht zumuten, ihre Kinder den weiten und gefährlichen Weg nach Hause laufen zu lassen. Diese besondere Mutterspezies fährt ein großes (und ich meine ein richtig großes) Auto und hat in der Regel irgendwie präparierte Fingernägel.

Es sind diese Fingernägel, vor denen ich mich fürchte, wenn ich auf den überfüllten Lehrerparkplatz trete und die Mütter mit ihren großen Autos nicht nur meinen Abfahrtsweg (manchmal hat sogar Frau Weh es eilig aus der Schule zu kommen…), sondern auch die Feuerwehrzufahrt blockieren. „Ist ja nur ganz kurz!“ funkeln sie mich an und zeigen ihre beeindruckend langen Krallen. Da täuscht auch kein in freundlichem Pink gehaltenes Glitzerblümchen auf der acrylisierten Nagelplatte darüber hinweg, dass sie ihren asozialen illegalen Parkplatz notfalls mit eben jenen Nägeln bis aufs Blut verteidigen würden.

Da es sich um mein Blut handelt, bin ich oft feige.

Nicht aber heute!

„Sie wissen, dass Sie im absoluten Halteverbot stehen?“ frage ich die Erstklässlermutter, die ihren SUV gerade quer über Gehweg und Straße gewuchtet hat und nun über den Lehrerparkplatz hetzt.

„Was? Ja!“

„Prima“, sag ich, „und warum stehen Sie da noch?“

Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. „Weil ich den Jasper-Jannick abholen muss!“

„Prima“, sag ich wieder „und ich fahre in der Zwischenzeit einen anderen Erstklässler versehentlich tot, den ich hinter Ihrem Auto leider übersehen habe.“

Wir fixieren uns, die Nasen nur noch Zentimeter auseinander, MamaJasper-Jannick hebt die krallenbewehrten Hände, da…

„SCHÖNEN FEIERABEND, FRAU WEH“

…schiebt sich eine bis eben nicht annähernd genug geschätzte Mutter zwischen uns durch. MamaJasper-Jannick lässt die Hände sinken, schnaubt noch einmal durch die Nüstern und dreht abrupt um.

Boah, da hab ich aber Glück gehabt! Vielen Dank, Frau Feierabend!

Manchmal

Manchmal ist so viel Leben um mich rum, dass ich es kaum fassen kann.

Die Montagskonferenz endet wie meistens mit einem Korb voll Arbeit. Pläne müssen geschrieben, Konzepte eingereicht, Leistungsüberprüfungen abgegeben werden. Tausend kurze Absprachen mit Kolleginnen mal eben über den Flur oder den Tisch rüber. Förderst du mittwochs, dann mache ich Aufsicht am Freitag, können wir Sport tauschen?, bist du morgen im Computerraum?, wie geht das nochmal mit der Homepage? Alles wuselt, Geschäftigkeit wie im Bienenstock. Viele Arbeitsbienen, keine Drohnen, aber eine Königinmutter, die über allem thront und Tribute in Form von Papier (viel Papier!) und guten Ergebnissen fordert.

Nach der Konferenz schnell noch kopieren für morgen, wieder ein Flurgespräch. Frau Weh, das Schulamt erwartet einen Rückruf von dir. Irgendwas mit Inklusion und Förderplänen. Hast du die? Die hast du doch, oder? Klar habe ich die. Zumindest füge ich der Liste in meinem Kopf den gleichnamigen Punkt hinzu. Diese Liste wächst und gedeiht an einem Montag immer prächtig. Genau wie der Stapel auf meinem Schreibtisch. Freitags abgetragen, montags wieder da. Trotzdem wird viel gelacht an einem Montag. Manche Dinge sind aber auch einfach zum Lachen. Sonst müsste man ja weinen.

Auf dem Rückweg schnell tanken und ein paar Dinge zum Abendessen besorgen. Zu Hause über die Kinder staunen. Das Miniweh präsentiert einen neuen Backenzahn; das mittelgroße Wehwehchen hat in der großen Pause einen Tritt in den Unterleib bekommen und zieht zur Begrüßung blank. Mama, guck, kann man am Penis einen blauen Fleck kriegen? Offenbar kann man. Ein Gastkind zum Abendessen. Das mag keinen Jogurt. Nur Milch. Die Katze kotzt. Großes Hallo. Das Telefon klingelt. MamaMia-Sophie spricht auf den Anrufbeantworter. Alle Kinder im Chor: Wir essen jetzt!

Die Kinder ins Bett, die Schultasche ins Arbeitszimmer, durchatmen. Herr Weh drückt mir das Babyphon in die Hand. Orga-Treffen vom Männersport, du weißt doch…? Nein, vergessen. Genau wie den längst fälligen Anruf bei der Oma. Stichwort: Das Telefon klingelt, MamaMia-Sophie. Schade, wieder nur der Anrufbeantworter. 7 E-Mails, (fast) alle wichtig. Oder doch nicht? Das mittelgroße Wehwehchen hat einen Splitter im Finger. Vom Bett! Ah ja. Splitter raus, wir gehn nach Haus. Das Miniweh kräht durchs Babyphon. (Miniweh is nis müde! Hörst du, Mama? Mamaaaa? Papi! BIN NIS MÜDE!!!). Abwarten.

Endlich Ruhe.

Endlich Durchatmen.

Tasche auspacken, sortieren, orientieren, neu packen.

Da tönt das mittelgroße Wehwehchen: Ich denke gerade darüber nach, was für Brillengläser wohl Professoren haben. Dünne oder dicke? Du bist so schlau, Mama, wie dick sind deine Brillengläser?

Ich muss den Kopf schütteln, lachen und gleichzeitig ein paar Tränchen wegblinzeln. Manchmal ist so viel Leben Liebe um mich rum, dass ich es kaum fassen kann.

Und der Dienstag kommt…

Es gibt da diese neue Zigarettenwerbung Don’t be a Maybe. Ich fahre auf dem Schulweg mehrmals dran vorbei. Trotzdem hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich sie verstanden und für blöd befunden habe. Sei mutig, wage dich ins Leben, don’t be a maybe. Rauchen ist blöd, weiß ja jeder und ein MAYBE will ja auch keiner sein. Oder vielleicht doch?

Ich bin kein Maybe. Ich bin ein Gefahrensucher. Oder – prägnant und kurz – eine dumme Nuss. Zumindest was den Musikunterricht bei den Drittklässlern derzeit anbelangt. Ich habe mir nämlich was für ihr Sommerfest überlegt. Vielmehr bin ich bei youtube drüber gestolpert:

Intellektuell und vom Bewegungsdrang her kommt das den Drittklässlern sehr entgegen. Viel falsch machen können sie dabei auch nicht. Man nimmt eine Pumpe, spannt einen Gummihandschuhfinger drüber und macht halt so ffftt-phhhhh-ffftt-phhhh. Das Ganze im der Musik angemessenen Tempo. Wird wohl nicht so schwer sein.

Hahaha, ganz doofe Idee, Frau Weh!

Tatsächlich war die erste Probe heute so fatal, dass ich den heutigen Abend am liebsten in einem dunklen, schallisolierten Raum verbringen würde. Und den morgigen auch.

Weiß hier eigentlich jemand, wie viel Lärm Luftpumpen machen können?

Und wie weh flitschende Gummihandschuhe tun?

Und auf was für un-sag-ba-ren Internetseiten man landet, wenn man Luftpumpe, Gummihandschuhe und Instrument bei google eingibt?

Also das alles zusammen genommen war jetzt WIRKLICH zu viel für mich. Cheerio, Miss Sophie!

Es bleibt spannend

Nun ist es amtlich, die Zweitklässler und ich gehen nach den Sommerferien getrennte Wege.

Die Gefühle sind durchwachsen. Seit ziemlich genau einem Jahr bin ich nun für die Seuchenvögelschar verantwortlich und stelle doch fest: so richtig meine sind sie nicht. Ein Jahr ist eine sehr kurze Zeitspanne. Klar, die Stimmung und Lernatmosphäre sind geprägt durch meinen Unterrichtsstil, wir lachen viel miteinander und die meisten Kinder sind aus dem Gröbsten raus. Verhaltenstechnisch wie leistungsmäßig. Aber es gibt noch so viele Baustellen, die ich gerne angegangen wäre, bevor sich die Klasse wieder erneut umstellen muss.

Die Argumente, die mir die Chefin im Vieraugengespräch nannte, sind schlüssig und von Schulleitungsseite aus allesamt durchdacht. Mir fehlt der pädagogische Blick aufs Ganze. Wie Herr Weh bereits des Öfteren glasklar beobachtet hat, ist die Chefin ein Organisations- und Managementtyp. Aber vielleicht ist das die Zukunft von Schule? Wo doch ein Großteil unserer Arbeit immer bürokratischer, formaler und papierlastender wird. Ein Leitungsteam, das das Gesamtschiff Schule steuert und Pädagogik irgendwo zwischen O und Qu im Regal ablegt. Ist das das System, in dem ich noch über 30 Jahre arbeiten kann? Will? Möchte? Muss?

Was ich mit Lennox mache, weiß ich noch nicht. Klar ist bereits, die Chemie zwischen ihm und der zukünftigen Klassenlehrerin stimmt nicht. Sie sähe ihn lieber das zweite Schuljahr wiederholen. Er kann sie nicht leiden. Da gehe ich gar nicht mehr in die Schule, Frau Weh! Das mach ich! Ich schwanke noch. Leistungsmäßig ist er ein satter Viererkandidat, in Deutsch hat er große Probleme. Nein, falsch wäre es nicht, ihn noch ein weiteres Jahr in der Schuleingangsphase zu belassen. Alldieweil ihm dieses Jahr nicht auf die Schulbesuchsdauer angerechnet würde. Und Lennox ist ein Schüler, bei dem dies eventuell einmal zu tragen kommen könnte.

Auch für mich ist noch nicht klar, an welcher Stelle ich nach den Sommerferien eingesetzt werde. Wie ich gestern erfahren durfte, bin ich die große Variable im Personalzirkus. Der Joker. Das Schnäppchen. Entweder viertes Schuljahr. Oder drittes. Oder gar keins und Fachstelle. Alles ist möglich, nichts wird entschieden. Ich kann das nicht leiden. Ich bin ein Planer, ein Vorbereiter. Ich möchte mich auf eine Klasse einstellen können und nicht drei Tage vor Schulbeginn einen Anruf bekommen, wo es hin geht. Bei mir sind spätestens Mitte der Ferien die Tische gestellt, die Materialien ordentlich aufgebaut und die Tafel beschriftet. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits die Unterrichtsplanung bis zu den Herbstferien in der Tasche.

Allein, was nützt es?

Vielleicht ist das ja jetzt meine große Chance mich in universaler Gelassenheit zu üben? Ach, übrigens, wo wir gerade dabei sind, die Fische sind gewollt. Man kann sie sogar füttern 🙂

Brot und Spiele

„Das ist total unfair!“

Tom1 ist empört. Letzte Woche hat Lennox zweimal einen Vollkornzwieback von mir bekommen und gestern ein Hustenbonbon. Außerdem darf der Lennox immer länger dableiben und dann spielen. SPIELEN!!! Und er? Nie kriegt er was und überhaupt bevorzuge ich Lennox dauernd. Ach was, andauernd! Und das, wo der sich so benimmt!

Lennox motzt derweil laustark rum und ergeht sich in zahnlosen, aber durchaus kraftvollen Drohgebärden. In der 2.Stunde hat er seine Sachen vom Tisch gefegt und die restlichen 40 Minuten vor Wut zitternd an seinem Platz verbracht. Seine Sitznachbarn hatten ihn gefragt, ob denn endlich mal Zähne kämen. Nun sitzt er am Tisch, den bösen Blick auf mich geheftet, die Finger in den Ohren is mir doch alles egal! Frustrationstoleranz? Aggressionskontrolle? Mir doch egal! Scheißschule! Ich geh jetz nach Hause, Playsi spielen!

Manchmal könnte ich die Zweitklässler auf den Mond schießen. Und einige noch ein bisschen weiter weg…

Fakt ist, Lennox braucht Hilfe. Auf die eine, die andere und noch manch andere Weise. Ein bisschen fruchtet es ja schon, er lächelt häufiger, seine Wutausbrüche sind weniger geworden, manchmal macht er seine Hausaufgaben (oder wenigstens Teile davon). Er geht mittlerweile fast willig mit in die verschiedenen Förderstunden, die ich ihm verpasst habe (von wegen länger bleiben und spielen) und zu Weihnachten gab es tatsächlich neue Schuhe. Trotzdem fehlt es an so vielen Dingen. An Frühstück beispielsweise oder an Arztbesuchen bei hartnäckigem Husten. Aber das sehen die anderen Kinder nicht. Die sehen keine Zahn- und Wissenslücken, die sehen Zwieback und Bonbons und Spiele.

So wie ich – wider besseren Wissens, aber verdammt, ich bin auch nur ein Mensch! –  so häufig das ätzende kleine Wutpaket sehe, das sich in meinen Arm krallt, Scheißschule! brüllt und das ich gelegentlich am liebsten per Express in eine Förderschule abschieben würde*.

Wenigstens aber auf den Mond.

 

* (Tu ich aber nicht, mir doch (fast) egal!)

 

 

Ärger, du kannst mich nicht anschmiern…

Der heutige Tag spottet jeder Beschreibung des achsobeschaulichen Grundschulalltags. Würde ich mich nicht selber als relativ kultiviert bezeichnen, ehrlich, ich würde das böse f-Wort benutzen. Es lief schief, was schieflaufen konnte. Einschließlich Jens, der sich beim Aufprall am Zaun nicht nur eine blutige Nase holte, sondern auch noch ein Stück Schneidezahn als Wegezoll hinterließ. Nein, kein Milchzahn. Dass dieses Stück Zahn in meiner Kaffeetasse landete, da ich mich bereits genau dort mitten in einem Haufen durchgedrehter Drittklässler befand, klingt jetzt vielleicht lustig, war es in dem Moment allerdings wirklich nicht. Immerhin konnte ich der Mutter glaubhaft versichern, dass ich unmittelbar zur Stelle war und auch das fehlende Stück Zahn bereits geborgen hätte. Das ist immer wichtig, Aufsichtspflicht und so. Dennoch fühle ich mich (es lesen ja auch nicht wenige Studenten und Lehramtsanwärter mit) bemüßigt mitzuteilen, dass Kaffee die falsche Nährflüssigkeit für ausgeschlagene Zähne darstellt. Milch ist besser.

Milch und Apfelsaft waren übrigens die beiden Flüssigkeiten, die sich in der Stunde vor der großen Pause bei den Zweitklässlern über Tische, Hefte, Ranzen und Boden ergossen. Und das natürlich in den einzigen beiden Momenten, in denen es heute einigermaßen leise war. Der Rest war grande catastrophe, um es gesitteter auszudrücken als es tatsächlich war. Ich konnte die Klasse nicht einmal dafür loben, dass sie in der Pause bemerkenswert wenig aufgefallen waren, da sich diese Tatsache darin begründete, dass ein Großteil der Zweitklässler erst gar nicht auf dem Pausenhof erschienen war. Durch die Milch-und-Apfelsaft-Überschwemmung im Zeitplan etwas in Verzug geraten, verließ ich den Klassenraum nämlich gerade noch pünktlich mit dem Pausenklingeln, aber ohne die fröstelnde Mehrheit der mir anvertrauten Seuchenvögel. Dieser Umstand blieb von mir – involviert in verschiedenste Pausenhof-Querelen – unbemerkt, nicht aber von der Chefin, die unglücklicherweise auf dem Weg zum Klo an meiner Klasse vorbeikam und so Zeuge wurde wie Amelie (et tu, Brute!?), Victoria, Justin, Nick, Mia-Sophie, Lotte, Benjamin und noch ein paar mehr sich vergnüglich im muckelwarmen Klassenraum tummelten. Die einen sittsam bei der Anfertigung verschiedener HimmelundHölles, die anderen bei einer gepflegten Rauferei in den Resten der klebrigen Pfütze.

HimmelundHölle wird im Englischen übrigens als Fortune Teller, also Wahrsager bezeichnet. Die gleiche Bezeichnung hätte auch Kollegin Abendroth verdient, die mir am Ende der Pause sowie am Fuße der Treppe süffisant mitteilte, die Chefin wolle mich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch rundmachen sprechen. Da hätten wohl ein paar Zweitklässler über die Stränge geschlagen.

Das taten an diesem verf…eudelten Tag dann auch die eben noch in gallischer Manier verwobenen Kampfsäue aus der 3a, die ich zu unterrichten nun die Freude hatte. Da konnte dann auch der Besuch der Hauptschüler (aha, dort also heute Zeugniskonferenz) nichts mehr rausreißen. Kurz, am Ende der Stunde flossen Tränen und beinahe hätte ich jemandem einen Boomwhacker über die Rübe gezogen. Verdient hätte er es, bei meinem Seelenheil! Glücklicherweise hatte ich mich noch gerade so unter Kontrolle.

Diese grandiose Selbstkontrolle ist allerdings nicht Sache der Chefin. Dennoch erfolgte die Rüge ob meiner nachlässigen Aufsichtspflicht (welch ein Hohn, wo ich doch nur um pünktlich die Hofaufsicht zu beginnen, die Klasse vor den Kindern verließ, argh), die mich nach der 6. Stunde traf, sachlich und – oh Wunder – im freundlichen Tonfalle. Weniger freundlich war der Fall, den ich hinlegte als ich auf der immer noch vorhandenen Pfütze ausrutschte. Keine Sorge, ich lebe. Aber frei nach dem großen Stefan Stoppok: So viel Pech am Dienstagmorgen, da mach ich mir echt Sorgen!