10 Dinge

…die eine Orchesterprobe wenn schon nicht zum Scheitern, dann aber wenigstens an den Rand des gerade noch Möglichen bringen:

  1. Eine kapitale Libelle, die wie ein brummender Hubschrauber durchs geöffnete Fenster fliegt und ganz offensichtlich ein Problem mit blockflötenden Mädchen hat, auf die sie sich alsbald mit abnormem Tempo stürzt.
  2. Ein abgerissener Knopf, egal wo.
  3. Ein offenstehender Reißverschluss, ebenfalls egal wo. (Aber dort besonders.)
  4. Ein Erstklässler, der seinen Kopf zur Tür hereinsteckt und erschreckt „Huh!“ ruft.
  5. Frau Schmitz-Hahnenkamp, die zur Tür hereinstürmt, mit einer Metallplatte herumwedelt und nach dem dazugehörigen Metallophon fragt. (Es steht in ihrer Klasse.)
  6. Fehlendes Ventilöl, das kurzerhand durch beherztes Hineinspucken ins Instrument ersetzt wird. (Wuäh!)
  7. Ein Beamer, der plötzlich laut surrend anspringt und merkwürdige Dinge auf die Wand projiziert, weil jemand vergessen hat, das Laptop auszustöpseln.
  8. Ein Kind, das dringend auf seiner Geige vorspielen möchte und schon seit zwei Wochen Unterricht hat.
  9. Die Kombination aus einer B-Trompete, einer Es-Klarinette und 7 Kindern, die Klavier spielen. An einem Klavier.
  10. Eltern von immerhin 9 Kindern, die ihren Nachwuchs zum Schulorchester anmelden, obwohl dieser noch nie in seinem Leben ein Instrument in der Hand hatte.

Hurra, die neue CrazyFunkyChicken-Saison hat begonnen! :mrgreen:

Nuppelalarm

„Der Nuppel ist weg!“

Panisch blickt sich die kleine Cellistin um. Synchron springen alle CrazyFunkyChicken auf und helfen bei der Suche. Ich seufze und pule mir die Ohrenstöpsel heraus während ich der Hilfsbereitschaft in ihrer perfekt aufeinander abgestimmten Choreographie zusehe. Während das Saxophon tröstet, rutscht die Percussiongruppe kniend den dreckigen Boden ab. Zentimeter um Zentimeter. Die Blockflöten suchen im Nebenraum. Typisch, da waren wir gar nicht drin. Die Trompete bietet als Ersatz ein Ventil an („mit dem spiele ich ja noch nicht.“) und der allseits praktisch veranlagte Frank (ein bestimmtes Instrument kann ich noch nicht zuordnen, wir probieren noch durch, wo der musikalische Kollateralschaden am geringsten ausfällt) überlegt, ob man vielleicht eins aus Kaugummi…? Die ganze Truppe brummt wie ein gut geölter Hummelschwarm. Ob Rimsky-Korsakov auch ein Schulorchester hatte?

„Da ist er ja!“

Triumphierend hält eine der atemlosen Querflötistinnen den wiedergefundenen Gumminuppel in die Höhe. Szenenapplaus. Glücklich lassen sich alle wieder auf ihre Hocker plumpsen.

„Hach“, meint einer der Klavier-Cajon-malsehenwasnoch-Spieler, „wir sind schon ein richtig gutes Team!“ Allgemeine fröhliche Zustimmung brandet auf.

Wie, frage ich mich später – wieder wohltuend verstöpselt – , wie kriege ich diese Harmonie nur ins Spiel?

Besucher

Bei der CrazyFunkyChicken Probe drängeln sich die Zuhörer. Das benachbarte Gymnasium hat Zeugniskonferenz und ein ganzer Schwall ehemaliger Schüler ergießt sich in den Musikraum. Die meisten erkenne ich, bei manchen muss ich passen. Groß sind sie geworden. Und ruhiger. Und irgendwie erwachsen. Vor gar nicht langer Zeit haben sie hier im Chor gesungen, Inselmusik vorgestellt oder beim Warm Up abgerockt. Ich fühle mich innendrin ein bisschen sentimental angerührt.

„Ooooh, Frau Weh, Sie haben sich ja gar nicht verändert!“ strahlt mich Max-der-Fünftklässler an, der letztes Jahr noch selbst Mitglied im Schulorchester war und mich manche Schweißperle gekostet hat.

„Doch, Sie sind noch hübscher geworden!“ beteuert Marco, mittlerweile zwei Köpfe größer und reichlich verpickelt. Begehrlich schielt er auf das neue Keyboard, das einsatzbereit neben dem Cello wartet. Alte Schleimbacke.

Ich freue mich über den Besuch und will wissen, wie der Musikunterricht so sei. Schließlich habe ich jeden Einzelnen mit gutem Gewissen ziehen lassen können. Betretenes Schweigen.

„Naja, nicht so der Knaller. Die meisten haben den Dombrowski. Der schreit meistens rum. Wir müssen eigentlich nur schreiben und lernen und so.“ „Ja, der ist total doof.“ „Das ist eigentlich überhaupt kein Musikunterricht. Also wir machen jedenfalls keine.“

Ich interveniere – Kollegenschelte kommt bei mir nicht gut an – werde aber umgehend darüber informiert, dass von der 5 bis zur 9 eigentlich gar nicht musiziert wird. Stattdessen – so man ihnen denn glauben darf – schreiben sie einen Test nach dem anderen in Musiktheorie und dergleichen. Wenigstens ein bisschen singen zwischendurch? Nö.

„Ich habe jetzt Musik abgewählt“, gibt Sandra zu. Ich bin nicht nur überrascht, ich bin tatsächlich sprachlos. Sandra ist jetzt 16, hochmusikalisch, zwei Instrumente, die sie bereits im zweiten Schuljahr äußerst passabel spielen konnte, dazu eine Stimme, dass sich Herr Bohlen an der eigenen Spucke verschlucken würde, so sie denn diesen Weg wählen würde. Und jetzt das. Ich habe den Lehrplan der weiterführenden Schulen natürlich nicht im Kopf, würde aber jeden Eid schwören, dass Musik machen auch dort verankert ist.

Aber sie würde gerne nächstes Jahr zum Praktikum kommen, eigentlich interessiere sie sich fürs Theater, aber dass es ziemlich unrealistisch sei, dort unterzukommen, wisse sie natürlich. Und Lehrerin werden, das wäre auch so ein Traum. Musik natürlich, das wäre das Größte!

Ich genehmige mir im Stillen den Kollegen Dombrowski für den Moment auch doof zu finden und platziere die Besucher zur Jamsession zwischen die neugierigen Orchesterkinder, die mit großen Augen und noch größeren Ohren den Schilderungen der Großen folgen. Wir unterlegen „Puck, die Stubenfliege“ mit halsbrecherischen Sambarhythmen, lernen schnell etwas über Offbeat, den alten Schlingel, lachen viel und beschließen einen Gegenbesuch der CrazyFunkyChicken im Musikunterricht der Großen. Zum Marsch blasen*.

 

*(Marco schwört, dass er „zum in den Arsch blasen gehört habe“. Dies entbehrt natürlich jeder Grundlage!)