„Fuck die Henne!“
Ein herzhafter Fluch zerreißt die kontemplative Stille meines Arbeitszimmers. Ich übe Gitarre. Doch eigentlich übt die Gitarre mich: In Demut und Durchhaltevermögen. Meine Geduld ist ähnlich gering ausgeprägt wie die Spanne meiner linken Hand, deren Fingerkuppen mittlerweile rissig und rauh, aber noch viel zu nah beieinander liegen. Seit 15 Minuten übe ich nichts weiter als den Wechsel zwischen a-Moll und d-Moll. Ein Klacks, wenn man über ausreichend große Hände verfügt. Eine Tortur für mich. Ich puzzle mir einen äußerst ungalanten Hilfsgriff zurecht, der den Einsatz des kleinen Fingers beinhaltet, und denke dabei, dass ein echter Gitarrist so etwas bestimmt nie tun würde. Aber da meine Ambitionen gerade ähnlich weit reichen wie meine Finger, kratzt mich dieser Gedanke nicht weiter. Verstandesmäßig weiß ich, es ist alles eine Frage der Übung. Gefühlsmäßig möchte ich eine Riesenportion Handcreme und ein Stück Schokolade.
Musik ist ganz wunderbar, aber wer annimmt, sie sei ein Quell ständiger Freude, der irrt. Disziplin, Übung, Frustration und kontinuierlichen Flirt mit den eigenen Grenzen gibt es gratis dazu. Irgendwie sportlich, wenn man es mal genauer betrachtet. Apropos sportlich: Ich trage jetzt Hornhaut an den Fingerkuppen. Allerdings nur links, rechts trage ich Nägel. In Türkis, ist ja Karneval.
Herr Weh trägt derweil eine neue Klobrille zur Tür hinein. Klobrillen und Wasserkocher stehen bei uns seit Geburt der Kinder auf der Abschussliste. Sie sind dem Dauereinsatz nicht gewachsen, das haben sie mit meinen Fingerkuppen gemeinsam. Bevor ich aber gänzlich an den Akkorden verzweifeln kann, stürmt das Miniweh mein Zimmer. „Mir ist so richtig gar nicht gut.“, ruft es kläglich. Der samstägliche Besuch des Baumarktes ist ihm anscheinend nicht gut bekommen. Ich nutze die Gunst des Augenblicks und packe die Gitarre weg. Das ist ja wohl höhere Gewalt, das steht fest. Nach weiterführenden Informationen von Herrn Weh stellt sich heraus, dass nicht der Kauf des Badaccessoires, vielmehr ein exzessiver Spielplatzbesuch Ursache der Übelkeit ist. „Das geht vorbei“, tröste ich das Miniweh und suche nach der Pflasterdose, die – für alle Fälle! – auf einem Regal neben meinem Schreibtisch steht. „Ich blute nicht, ich fühle mich schle-hecht!“, kräht das Miniweh empört. „Das ist gar nicht für dich, mein Schatz, sondern für mich.“, kläre ich es auf und klebe mir einen kleinen Fuchs um die Spitze des linken Ringfingers, den es bei der Überei am schlimmsten getroffen hat. „Möchtest du einen Tee?“ „Nein, mein Gefühl möchte Schokolade!“, antwortet das Miniweh bestimmt. Ich küsse meinen kleinen Ehesegen auf den Scheitel. Ganz die Mama!