„Nein, du musst nicht weinen. Wir rufen gleich die Mama an!“
Schniefend steht Angelina auf dem Schulhof neben mir und hält Ausschau nach ihrer Mutter, die bereits zum zweiten Mal vergessen hat, ihre Tochter wie versprochen abzuholen. Nun ist es zwar eigentlich erstrebenswert, dass die Kinder ihren Schulweg eigenständig bewerkstelligen, allerdings sollten sie dazu den Weg auch kennen. Dies ist bei Angelina, obgleich sie drei Querstraßen weiter wohnt, nicht der Fall. Und überhaupt hat Mama ja auch gesagt, dass sie pünktlich auf dem Hof warten würde.
25 Minuten nach dem Telefonat erscheint die Mutter, um ihre Tochter aus meiner Obhut entgegen zu nehmen. Ich nutze die Gelegenheit, um kurz nachzuhören, wie es so läuft mit dem Start. Nebenbei erwähne ich, dass Angelina morgens sehr müde ist und kaum den Stift heben kann ohne zu gähnen. Insgesamt wirkt das Kind recht behäbig. Die Mutter – auf den ersten Blick ebenfalls kein besonderes Temperamentbündel – ist bass erstaunt, ist ihre Tochter doch schon sofort
nach der Geburt fröhlich herumgehüpft und seitdem nur schwer wieder zu beruhigen gewesen.
„Ja“, lenke ich ein, „der Schulanfang hat es in sich, da kann das munterste Mädchen schon mal müde werden.“ Ich denke an mein aktuelles Schlafbedürfnis und bin schon bereit, das Thema fallenzulassen. Nicht so die Mutter.
„Nee! Die und müde? Niemals!“, entgegnet sie ganz beflissen mich vom Gegenteil zu überzeugen. „Ich sach Ihnen mal was. Sie kennen doch bestimmt dieses Badezeug? Lavendeltraumschaum? Das, das die Kinder müde machen soll, wenn man sie abends reinsteckt.“ (Kenne ich. Was für ein Schwachsinn.)
„Man soll da ja immer nur eine Kappe von nehmen. Ich hab der als kleines Kind immer zweimal so viel da rein gemacht, damit die endlich mal die Knöppe zumacht.“
„Und“, frage ich, um einen neutralen Ton bemüht (immerhin hat sie nicht das Nuckeltuch in den Rotwein getunkt), „hat es geholfen?“
„Nee. Die hat da immer nur alles voll von so roten Pickelchen gekriegt.“