„Und wenn ich noch einmal neu anfangen würde?“
Dieser Satz, laut ausgesprochen, schwebt über allem. Über dem auf dem Boden ausgebreiteten Material, über den Ordnerrücken, die herablassend aus den Regalreihen blicken, und über meiner immer größer werdenden Verzweiflung. Jetzt gerade ist es mir zu viel. Zu viel Zeug, zu viel abgeheftete Ideen, zu viel papiergewordene Möglichkeiten der Wissensvermittlung. Ich will ja unterrichten, natürlich, aber ich will auch locker sein und frei sein von Themensammlungen, die mich schon jahrelang begleiten und immer fetter und feister werden von all den zusätzlich hineingeschobenen Blättern und kopierten Artikeln, den zwischendurch angeschafften Themenheften und dem das kannst du bestimmt einmal verwenden.
Neu anfangen. Die Papiertonne bis zum Anschlag füllen und nur noch das abheften – oder besser noch in digitalisierter Form speichern – was wirklich zielführend ist. Dinge einfach loslassen und sich wieder mehr auf Intuition und Spontaneität verlassen statt auf immer größer werdende Stapel von Fachliteratur, die ich irgendwann einmal in Ruhe lesen möchte. Denn, wenn ich ehrlich bin, dieses irgendwann wird es wohl nie geben. Und wenn es doch einmal so weit sein wird, dass die Nachmittage wieder ruhiger und die Abende frei von Vokabelabfragen oder Abholterminen der Wehwehchen sind, werden die ganzen vermeintlich wichtigen Dinge möglicherweise nicht nur äußerlich, sondern auch inhaltlich Staub angesetzt haben. Aktuelle didaktische Diskussionen verfolge ich im Internet sowie durch Lehrerzimmerlektüre. Und beileibe nicht alles, was Trend ist, muss mein sein.
Ein Spaziergang durch unseren Schulkeller bestätigt mein Unbehagen. Dort befindet sich tonnenweise Material, eingetütet, abgeheftet, in Kisten verpackt. Möglich, dass dort wahre Schätze lagern! Doch welche Kollegin hat die Zeit und das Interesse daran, sich durch die langsam vor sich hingilbenden Hinterlassenschaften längst in Ruhestand versetzter Lehrerinnen und Lehrer zu arbeiten? Es spukt der jeweilige Zeitgeist durch zugige Flure. Und so stapelt sich die Wissensvermittlung der letzten Jahrzehnte und modert vor sich hin. Wieviel Arbeitszeit darin stecken mag? Wie viel Hektar Wald, wie viel Liter Erdöl?
Ich wünsche mir nicht die Zeit der Schiefertafel zurück (obgleich ich gegen dieselbe keinerlei Einwände habe, ist sie doch so ungleich ressourcenschonender als jeder gedruckte Schreiblehrgang), aber ich wünsche mir eine Wissensvermittlung, die mit ein bisschen weniger buntem Schnickschnack auskommt. Natürlich bin ich an dem Dilemma, in dem ich gerade stecke, gänzlich selber schuld! Schließlich bin ich diejenige, die in den letzten Jahren gekauft, gewerkelt, kopiert und für die Ewigkeit laminiert hat. Weil es schön ist, auch ein Eichhörnchenpuzzle zu haben, oder 30 Somawürfel. Weil es auf Eventualitäten vorbereitet und Differenzierung leichter scheinen lässt. Aber bin ich dadurch in meinem Unterrichten besser geworden? Wenigstens ein leichter Zweifel scheint mir angebracht.
Wie praktisch, dass gerade Januar ist. Da verkündet sowieso alle Welt, was man in diesem Jahr aber wirklich einmal richtig anpacken will. Sparen und verzichten befinden sich bekanntermaßen immer in der Top Five der guten Vorsätze. Da betrete ich zumindest kein Neuland, wenn ich mich aufmache an Material zu sparen und auf Neuanschaffungen weitmöglichst zu verzichten, Dinge aus meinem Fundus zu gebrauchen oder weiterzugeben, wenn sie sich als nicht (mehr) zweckmäßig entpuppen. Weniger Zeug in der Klasse – ist ja sowieso schon voll genug dort. Je mehr ich darüber nachdenke, desto fröhlicher werde ich. Aufräumen und entrümpeln kann ich wirklich gut und mache ich extrem gerne (Familie Weh kann ein Lied davon singen …). Also verschlanke ich dieses Jahr mein Arbeitszimmer, unterziehe mein Material einer didaktischen Detoxkur und specke künstlich aufgeblasene Unterrichtsreihen ab. Oooh, es wird so wunderbar! Und ich weiß auch schon, wie ich es nenne:
Clean Teaching statt Clean Eating!
YES! 🙂