Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen

„Mein Papa, der ist ja Anwalt, Frau Weh. Der muss immer ganz viel arbeiten. Und weg ist der auch oft. Und meine Mama, die ist auch Anwalt. Und wenn die im Gerücht ist, dann kommt der Opa und passt auf uns auf oder die Frau Lisbeth. Aber dafür kriegen meine Eltern immer viel Geld, weil die müssen ja auch immer viel arbeiten!“

Die große Pause hat begonnen und ich sitze irgendwo im Klassenraum herum und mache Dinge, die eben so gemacht werden: Sachen nachgucken, rote Kringel malen oder auch ein Herz um einen Buchstaben, der Ebru besonders gut gelungen ist. (In diesem Schuljahr sitze ich erstaunlich viel herum. Da sackt einem der Boden nicht so unter den Füßen weg, wenn es mal wieder stressig wird. Und stressig wird es seit September oft. Einmal habe ich mich sogar testweise unter mein Pult gelegt. Ich verspürte das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Frieden. Wer kennt es nicht? Aber bereits nach wenigen Sekunden haben sich zwei Erstklässler begeistert zu mir gequetscht und meinen Pulloverärmel gestreichelt. Soviel dazu.)

Es ist 9.45 Uhr und die meisten Erstklässler haben mittlerweile die Klasse verlassen, doch ein kleines Grüppchen tauscht sich noch kauend über die beruflichen Hintergründe der Eltern aus. So wie Pascal, der mich wortreich in Kenntnis darüber setzt, dass seine Eltern eigentlich immer arbeiten, aber wenigstens viel dabei verdienen.

„Frau Weh, was machst du denn eigentlich beruflich?“

„Ich bin eure Lehrerin, Pascal.“

„Nee, ich meine, womit verdienst du denn Geld?“

Ich blicke bedeutungsschwanger im Klassenraum herum, bis mein Blick wieder auf Pascal trifft. „Hiermit.“

„Du bekommst GELD dafür, dass du bei uns bist!?“ Die Ungeheuerlichkeit hinter dieser Aussage verschlägt dem Erstklässler die Sprache. Auch der neben ihm stehende Ben Bo starrt mich entsetzt an und lässt vor Schreck sein angebissenes Pingui fallen.

„Tja, nun“, sage ich salbungsvoll, „jeden Morgen, mein Brot zu verdienen, geh ich zur Schule, wo Bildung verkauft wird. Und jetzt raus an die Luft mit euch!“

Kopfschüttelnd wenden sich die Kinder zur Klassentür. Da dreht sich der sichtlich ergriffene Ben Bo noch einmal um und wedelt mit seinem Süßwarenprodukt.

„Möchtest du mal beißen, Frau Weh? Weil, wenn du doch kein Brot hast …?“

 

 

15 Kommentare zu „Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen

  1. Frau Weh! Da bist du ja endlich wieder! Ich hab dich vermisst! …und befürchtete schon Schlimmes – nach dem letzten Beitrag vom Schuljahresanfang. Und ich mag mir auch gar nicht vorstellen, was der Grund für das Erdungsbedürfnis unter dem Pult war…

    1. Liebe Snoopy,
      danke für die netten Worte, es tut so gut wieder zu schreiben. Aber ich war in den letzten Monaten so derbe k.o., da ging nicht mal das. Aber der Sommer naht! 😉

  2. O schön, Frau Weh: 1. Mal wieder was von dir zu hören/lesen, 2.zu erfahren, womit du dein Brot respective deine Riegel verdienst; also wir in Bayern arbeiten da doch eher für Ehre und Ansehen – äh … . Ist schon süß, solche Gedanken zu hören und auch so nette Angebote zu bekommen! Allerdings zeigt das auch ein wenig die Wertschätzung, die unserem Beruf entgegen gebracht wird. Und das trotz des Stresses, dem du Arme seit September (und davor doch auch, das vergisst man nur so schnell) ausgesetzt bist! Unters Pult legen, vielleicht keine schlechte Idee, aber bei mir, denke ich, würde ich nicht am Pullover gestreichelt, sondern gezupft werden, damit wichtige Sätze angebracht werden können; außerdem pass ich gar nicht drunter (bist du wirklich sooo zierlich?). Doch das Schuljahr nähert sich bereits jetzt mit Riesenschritten seinem Ende (ohne dass der zu vermittelnde Stoff dies täte), das lässt sich gut aushalten. Dir wünsche ich weiterhin schmackhafte Offerten, die dich diese Zeit bei guter Gesundheit überstehen lassen! Liebe Grüße, Sissi

    1. Liebe Sissi, wie schön, dass du auch noch hier bist! 🙂
      Nein, ich würde mich weniger als zierlich eher als bodennah bezeichnen. Sprich, ich bin recht klein, habe aber ein recht großes Pult. Einmal hat sich ein Kind im Schrankmodul versteckt und mir eine mittelgroße Herzattacke beschert. Seitdem ist der Schreibtisch (wie es sich gehört) pickepackevoll, jetzt passiert das nicht mehr.
      Bis jetzt war es ein krasses Schuljahr, aber du hast recht, bald ist es rum! 🙂
      Dir auch alles Liebe!

  3. Liebe Frau Weh!
    So schön, auch hier mal wieder von dir zu lesen!
    Du siehst aber auch, dass deine Schüler volles Verständnis für dich haben 😉
    Und so eine arme Frau Weh… so kann man sein Brot doch wirklich nicht verdienen 😉
    Was sie wohl in 40 Jahren über ihr erstes Schuljahr denken?
    Bei mir sind „Belohnungskleberchen“ und das erste Vorlesebuch (Fridolin) im Gedächtnis geblieben.
    Ich wünsche dir für den Rest des Schuljahres (ja, es geht schon fast wieder aufs Ende zu, wenn auch nicht für mich), viel Kraft und auch immer wieder schöne Momente (die Kraft geben)!

    Ganz liebe Grüsse

    Annette

    1. Danke, Annette 🙂
      Glücklicherweise klopft der Sommer und damit die Aussicht auf das zweite Schuljahr schon leise an. Aber der Weg bis jetzt war hart, puh.

  4. Schön von dir zu lesen, liebe Frau Weh. Ich wünsch dir weiterhin viel Kraft für Lohn und Brot und Klasse und allem anderen, das so ansteht.

  5. Oh, Frau Weh, wie schön, mal wieder von Ihnen zu lesen. Ich hatte Sie schon vermisst!
    Und wirklich nett von dem Kleinen, seine Pausensüßigkeit mit Ihnen teilen zu wollen, wenn Sie schon so eine brotlose Kunst ausüben. 😉

    1. Liebe Barbara,
      besser brotlos als sinnlos, oder? Obwohl ich beim Sinn auch mittlerweile ins Zweifeln gerate … 😉

  6. Hurra! Fau Weh ist wieder da! 😀

    Dass Erstklässler verwundert darüber sind, dass ihre Lehrerin nicht in der Schule wohnt und auch noch Geld dafür bekommt, ihre Zeit mit so netten Kindern zu verbringen, ist schon sehr witzig.
    Wenn ich aber von den Müttern in meinen Eltern-Kind-Kursen (die ich neben meiner Arbeit in der Grundschulbetreuung gebe) mit großen Augen angeschaut werden, wenn sie hören, dass ich tatsächlich Geld mit meiner Arbeit verdiene, dann frage ich mich schon, was für Vorstellungen sie haben.

    Dir wünsche ich nun ein entspannteres letztes Schuljahrsquartal und uns allen einen sonnigen Sommer!

    1. Hallo Rosinante,
      das mit den Müttern finde ich bedenklich, da kann man wirklich den Kopf schütteln.
      Liebe Grüße 🙂

  7. Liebe Frau Weh,
    danke für…
    Sorge und Ruhe für die Kinder,
    mitklingende Sorge um das System Schule in unserem Land,
    Energie und Zeit,
    einer Einstellung zur Heterogenität, die ich als Förderschullehrkraft nur begrüßen und unterstützen kann!!!!

    Ich wünsche viel Kraft und Liebe bis zur wohlverdienten unterrichtsfreien Zeit!!!!

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