In dem Moment, in dem ich den gestrigen Beitrag abschicke, schießt es mir durch den Kopf: Oh Gott, du hast dich gerade vor 2000 Menschen ausgezogen!
Mein Finger schwebt über dem Button mit der Aufschrift Papierkorb. Ich könnte den Schaden noch begrenzen. Doch dann schüttle ich den Kopf. Nein, manche Dinge müssen ausgesprochen werden und dürfen es auch. Das Heldinnencape befindet sich in der Wäsche. Es ist so wichtig für mich auch den Normalmodus zu akzeptieren. Februar, da bist du ja wieder! Ich schalte den Computer aus.
Beinahe lasse ich die Ballettstunde verfallen; das Letzte, was ich an diesem Abend möchte, ist mir gleich in mehrfacher Ausfertigung zu begegnen. Und in einem vollverspiegelten Raum gibt es wenig Möglichkeiten, sich selber aus dem Weg zu gehen. Dennoch fahre ich, möchte durch die Bewegung Körper und Seele frei machen. Viel lieber als der sich schüttelnde Hund im Regen wäre ich ja ein Lotos oder eine Akelei. Klein, hübsch und mit bewundernswerter Selbstreinigungsfähigkeit. (Die hat der Weißkohl übrigens auch. Aber wer vergleicht sein verletzliches Inneres schon gerne mit einem Blähgemüse?)
In der Ballettschule dann der Schock – krankheitsbedingt haben die anderen beiden Teilnehmerinnen abgesagt. Ich habe eine Einzelstunde. Nehmen die Demütigungen heute gar kein Ende? Verbissen stehe ich an der Stange und wärme mich auf. Bein nach vorne, Ballen, Spitze. Bein zur Seite, Ballen, Spitze. Bein nach hinten. Die Ballettlehrerin korrigiert aufmerksam meine Bewegungen, drängt auf eine aufrechtere Haltung. Kopf hoch, mehr Stolz! Wenn sie wüsste…
Irgendwann nach unzähligen Wiederholungen immer gleicher Bewegungsabläufe merke ich plötzlich verwundert, dass es mir gut geht. Der Ärger ist nicht mehr da, auch der über mich selber. Zum ersten Mal in der Stunde hebe ich den Blick und sehe mir im Spiegel in die Augen. Da stehe ich, nicht perfekt, nicht durch und durch gut, aber ein kleines Lächeln in den Mundwinkeln. Die Ballettlehrerin bedeutet mir kurz zu warten und legt eine neue CD ein. David Garrett dröhnt aus den Boxen. Freiheit flutet mein Herz.
Als ich heute den Computer anschalte, finde ich eure Kommentare und E-Mails. Ich schlucke und blinzle ein paar Tränen weg. Ist es Erleichterung? Scham?
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Danke.