zu viel

Ich möchte mich verkriechen, mir einen Tunnel graben und mich einkugeln.

Dass dieser Moment der Erschöpfung eintreten würde, war abzusehen. Zu viele Belastungen folgten in den letzten Schulwochen aufeinander. Das Gefühl gegen bürokratische und menschliche Mauern zu rennen, der stärker werdende Eindruck des Alleinseins, die daraus resultierende Wut und das Aufbegehren – irgendwo musste es hingesteckt werden. Nur bietet der Alltag wenig Möglichkeiten des Ausbruchs, also packte ich es nach innen, wohlwissend, dass es dort weiterrumort und von tief drinnen an die Oberfläche strebt. Dort, wo die Dünnhäutigkeit sitzt. Seit ich in diesem Beruf arbeite, werkele ich an einer Verschalung der eigenen Verletzlichkeit. Versuche dort, wo es am sprichwörtlichen dicken Fell fehlt, durch Professionalität und Kompetenz einen Dämmung aufzubauen, die Angriffe und Vorwürfe abperlen lässt wie der Lotus die Regentropfen. Allein es will nicht immer so gelingen.

Und dann ist es tatsächlich nur der eine Tropfen, der zu viel ist. Die eine Kollegin, die ein harmloses, klärendes Gespräch mit mir scheut und lieber den Weg über den Chef geht, der – selber hochbelastet – Hintergründe nicht erfragt, sondern explodiert und klein macht, was eigentlich des Aufbaus bedarf. Und ich stehe fassungslos und höre das eigene Blut in den Ohren rauschen. Atme tief ein, um die überbordende eruptive Gewalt des Angestauten nicht Überhand gewinnen zu lassen und mich nicht wegfließen zu lassen von den Tränen der Wut, der Enttäuschung und Erschöpfung, die heraus wollen. Ich veratme sie wie den Schmerz, der sie eigentlich sind. Das Verlassen der Situation und der Hinweis auf ein späteres Gespräch sind die einzige angemessene Handlung, zu der ich mich befähigt sehe.

Dann, nach etwas Ruhe, überrollt mich der Ärger. Auch der über mich selbst. So unfassbar und falsch finde ich es, dass neben all den guten Dingen, die – natürlich! – auch an einem solchen Tag geschehen, es die eine Sache ist, die sich tief drinnen festbohrt. Wie ein Parasit, der sich durch einen winzigen Spalt hineinzwängt, sich einnistet und geschützt in seiner ganzen Erbärmlichkeit alles mit Bosheit ausfüllen will. Warum kann sich das Gehirn zur Gänze einer solchen Nichtigkeit widmen? Unfähig, andere Gefühle zuzulassen? Wieso schafft es ein unbedachter Ausbruch zur falschen Zeit, mich emotional derart zu treffen? Anders gefragt: Warum leisten die vielen guten Momente des Tages dies nicht?

Ich erinnere mich an die vor ein paar Tagen gelesenen Zeilen der Schriftstellerin Ildikó von Kürthy, die genau diese Verletzlichkeit beschreibt als das Gefühl einen zu niedrigen Schutzfaktor gegen Kränkungen aufgetragen zu haben. Als Taktik dagegen nennt sie das Aufrechterhalten der eigenen Werte. Und die Freundlichkeit. Ich stehe vor dem Spiegel der Lehrertoilette und versuche das harte Gesicht, das mich ansieht, anzulächeln. Der Versuch scheitert kläglich. Mir ist zum Heulen. „Lach endlich!“, herrsche ich mich stumm an. „So bist du überhaupt nicht und so willst du auch nicht sein. Also lach!“ Es gelingt nicht. Also lasse ich kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen und atme tief durch. Morgen arbeite ich wieder an meiner Freundlichkeit. Heute akzeptiere ich einfach, dass mir nicht nach Lachen zumute ist.