Liebes Christkind

ich bin es, Frau Weh. Sicher erinnerst du dich an meinen maßlosen Wunschzettel vom letzten Jahr. Ich bin etwas früher dieses Jahr. Ich dachte, wenn du vielleicht ein bisschen mehr Vorlaufzeit hast…?

Ich sehe ein, dass meine letzte Liste ein bisschen viel für dich war. Entschuldige bitte! Es ist halt nur so, dass ich gerne die Bedingungen optimieren würde, in denen ich arbeite. Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass die Putzfrau jetzt schon seit 2 Wochen krank ist. Und dass sich niemand um die kaputte Heizung im Musikraum kümmert, schließlich ist mal wieder kein Hausmeister da. Aber weißt du, ich friere doch so leicht! Und mit den zwei Klassen, die ich gerade oft gleichzeitig unterrichten muss wegen des hohen Krankenstands der Kolleginnen, kann ich nur in den Musikraum gehen. Nirgendwo sonst gibt es genug Stühle. Vielleicht könntest du mir ein paar Stühle…? Oder ein Heizkissen?

Aber eigentlich habe ich dieses Jahr nur einen einzigen Wunsch. Der ist aber wichtig, sagt Herr Weh, und Herr Weh kennt mich nunmal wie sonst niemand auf der Welt:

Bitte, liebes Christkind, schenk mir den nötigen inneren Abstand! Zwar arbeite ich hart daran, aber es will noch nicht so klappen. Ich brauche ganz dringend eine Tür, die ich hinter mir zumachen kann, wenn ich nach Hause fahre. Eine Tür, die ich auch mal fest zuknallen kann, wenn sich die Mutter von Jeanette beim Schulamt über mich beschwert, nur weil ich mit ihr über ihre Tochter sprechen möchte. (Wenigstens ein einziges Gespräch. Ein Telefonat, bei dem sie mich nicht sofort wegdrückt. Eine Nachricht auf dem AB, die sie beantwortet.) Ein Vorhang, der sich begütigend auf meine Augenlider legt, wenn ich nachts wachliege und an den kleinen, immer hungrigen Grabowski denken muss, der seit einer Woche ohne Frühstück und Material zur Schule kommt. Eine innere Stimme, die sagt Alles wird gut, wenn ich mich mit der Mutter von Sinan streiten muss, weil die Schulzahnärztin einen Blick auf seine katastrophal verfaulten Zähne geworfen hat und die mich anherrscht, in was wir uns eigentlich noch einmischen wollen.

Liebes Christkind, ich könnte noch so viele Dinge nennen, die mir auf der Seele liegen. Aber ich weiß schon, das führt zu nichts. Also mache ich das einzig Richtige.

Ich setze mich ans Bett der Wehwehchen und lese vor.

0 Kommentare zu „Liebes Christkind

  1. Das Schöne an Wünschen ist, dass man wünschen darf! Kindern mit „maßlosen“ Wünschen sagt man immer, „Wünschen darfst du dir alles!“, und hat im Hinterkopf, „aber alles kannst du nicht bekommen“. Wer in unserem Beruf nicht mehr wünscht, der ist abgestumpft. Also liebe Frau Weh: Fleißig weiterwünschen, denn wünschen darf man sich alles. Und wer weiß, etwas bekommt man doch immer!

  2. Ooooohhh, das hört sich wirklich dringend an!!! Dann drücke ich dir mal die Daumen und bin sicher, dass deine Wünsche an der richtigen Stelle ankommen, vielleicht dauert die „Bearbeitung“ etwas länger, aber wenn du schon so konkret wünschst, dann wird es doch wohl auch klappen!!! 🙂
    Liebe Grüße und ein entspannendes Wochenende!!! Kerstin

  3. Hach, so eine Tür wär schon was Tolles. Und zwar eine richtig Stabile, die man schön feste zuknallen kann. Mit Sicherheitsschloss. Die sich erst am nächsten Morgen wieder öffnet!!!

    1. Das hört sich nicht gut an. Kein Kind sollte Hunger haben…. Meldebewertung, Standardverfahren???
      Und übrigens, so eine Tür wünsche ich mir dieses Jahr auch!

  4. Eine gute Idee, so ein Wunschzettel!

    Bei mir würde an erster Stelle stehen:

    Liebes Christkind, kannst Du mich für die nächsten, wohl letzten Jahre meines Berufslebens nicht mal verfünffachen, dass ich mich nicht dauernd zerreißen muss?

    Und dann hätte ich gern noch einen Drehknopf an meinem Meutelautsprecher, gern auch einen für den wilden Haufen im Lehrerzimmer.

    Toll finde ich übrigens, liebes Christkind, dass es Dir seit Bestehen meiner neuen I-Männchenklasse gelungen ist, mir bisher noch jeden Tag irgendwas Erfreuliches auf den Weg zu schicken und sei es die kluge Schulleiterentscheidung, meinen Haufen dadurch zu deeskalieren, dass er einen meiner Obermucker in eine andere Klasse umgesetzt hat.
    Mein Dank soll bis zum Himmel dröhnen!

    Dir, liebe Frau Weh, wünsche ich, dass wenigstens einer Deiner Wünsche in Erfüllung geht. Gib doch mal Laut, wenn sich etwas davon verwirklicht hat.

    Liebe Grüße und eine dicke Tür zwischen Schule und Weekend!
    Frau Enn

  5. Wenn ich von der Schule nach Hause fahre, komme ich durch einen Wald. Er ist wie ein grüner Wall mit Tor drin . Und ich fahre hindurch in eine andere Welt. Das stelle ich mir vor, jeden Tag. Es hilft sehr.
    Und meine Telefonnummer ist geheim. Elterngespräche führe ich nur in der Schule oder von der Schule aus. Zuhause ist tabu.
    Meine Arbeit mache ich nur im Arbeitszimmer und sonst nirgendwo im Haus. Tür zu, Schule weg.
    Diesen Maßnahmen verdanke ich eine buddhamäßige Gelassenheit, auch nach fast pppppssst! dreißig Dienstjahren.

  6. Hallo ihr Lieben,

    ich bin ganz frisch dabei (die erste eigene 1.Klasse) und könnte jetzt schon deine Wünsche übernehmen. Ich bin noch dringends auf der Suche nach bewährten „Abschaltmechanismen“. Anders ist der Alltag mit drei eigenen kleinen Kindern nicht zu meistern.

    Ich denke an dich!

    Liebe Grüße Nicole

  7. Liebe Frau Weh,

    oh je, kein innerer Abstand? Das ist schwer. Ich hab zwar außer meiner Nachhilfefraktion keine Kinderlein zu betreuen, dafür aber im Job mehr oder weniger Verantwortung für das Wohl und Wehe von Projekten, die so 20 Leute füttern. Auch nicht ohne.

    Mein Trick: Ich geh zu Fuß nach Hause. Klar, manchmal schleppt man sich tot. Klar, es kostet Zeit. Klar, es ist immer zu heiß, kalt, windig, regnerisch, dunkel, spät, irgendwas. Aber es sind 20 Minuten, in denen ich mit jedem Schritt die Arbeit hinter mir lasse. Die sind nur für mich, als einzige Zeit am Tag. Und zu Hause komme ich dann happy an.
    Vielleicht hat das Christkind ja eine ähnliche Möglichkeit auf Lager, die es Ihnen mal ins Ohr flüstern kann bei Gelegenheit?

  8. Oh ja. Diese Tür, die man hinter sich zu machen kann, braucht man. Man muss lernen, dass irgendwann der Verantwortungsbereich eines Lehrers/einer Lehrerin endet. Dass wir nicht ALLES beheben oder gerade rücken können, was vielleicht zu beheben oder gerade zu rücken wäre.

    Doch leider ist es sehr schwer, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann man die Tür zu macht. Wir haben ja fließende Arbeitszeiten und können nicht um 17.00 Uhr den Stift fallen lassen. Wir nehmen qua unseres Amtes immer Arbeit mit nach Hause.

    Doch auch da muss man irgendwann den Stift hinlegen, die Tür zu machen. Wir können, auch wenn wir wollen (und die Gesellschaft hier und da zu glauben scheint, wir MÜSSTEN) nicht alles heile machen. Die meisten Kollegen (ich behaupte, ohne es mit Zahlen belegen zu können, die Gefahr ist bei Kolleginnen noch weit höher), die in ein Burn-Out gerannt sind oder in Zynismus verfallen sind, sind dort, weil sie keine Tür hatten.

    Vielleicht fragst Du mal bei der Monster-AG nach. Die haben ja ein großes Türenlager. Such Dir da eine aus und lass sie Dir vom Christkind bringen.

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