Flashmob, Teil 1

„Ihr seid wirklich ziemlich langweilig geworden!“, meine ich mit einem nicht unzufriedenen Seufzer, während ich die seit einer geraumen Weile still vor sich hinarbeitenden Viertklässler beobachte. Gestern, ja, da hatte ich zwei Stunden Vertretung im ersten Schuljahr, da ging noch was, da flogen Emotionen und Hausschuhe durch den Raum! Aber hier? Hach, sie werden einfach so schnell groß!

Erwartungsgemäß empört sich die Klasse umgehend (Das ist allein Ihre Schuld, Frau Weh! Sie sind auch nicht mehr so spannend, Frau Weh! Da sehen Sie, was Sie aus uns gemacht haben!), was mich durchaus freut, regt es doch eine sofortige Diskussion darüber an, was getan werden könne (nein, müsse!), um diesen unhaltbaren Zustand zu ändern. Ich mag sie ja sehr, diese Klasse. (Natürlich mag ich jede meiner Klassen. Anders wäre ja auch schön dumm, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt!) Aber diese Kinder hier haben genau die richtige Mischung aus Intelligenz* und Humor**, die ich so schätze.

Sehr selbstreflektiert*** für ihr Alter stellen sie nun fest, dass meine Aussage unverschämt gewesen sei, weswegen ich mich am kommenden Freitag auch im Klassenrat zu verantworten habe, aber dennoch ein Fünkchen Wahrheit enthalte. Sie wären nun halt die Großen, das brächte eine immense Verantwortung mit sich. Vorbild zu sein koste schließlich Kraft und Würde. Dennoch könnte man eventuell ein wenig Leben in die Bude bringen, damit die Kleinen sehen, dass Älterwerden nicht bedeutet, keinen Spaß mehr zu haben. Verschiedene Möglichkeiten fliegen durch den Raum, die meisten undurchführbar bis rahmensprengend, aber ganz ohne mein Zutun (ich habe 5 Minuten Redeverbot auferlegt bekommen, respektslosigkeitsbedingte Sofortmaßnahme genehmigt durch den Schnellausschuss der Klasse) kristallisiert sich die Idee eines Flashmobs heraus. Das wäre es doch! Sowas ist cool, außerdem könne man es filmen und ins Internet setzen, da sähen dann ALLE, dass unsere Klasse die beste überhaupt wäre. Ich darf wieder mitreden und teile meine Bedenken bezüglich der Filmerei mit. Die Flashmobidee aber finde ich gut und gebe als Hausaufgabe auf, den Plan zu konkretisieren.

„W-Fragen beantworten, Kinder! Werwaswannwowie!“, rufe ich ihnen noch hinterher, als sie ihre Sachen packen und aus dem Raum stürmen.

„Ist klar, Frau Weh!“, ranzt mich Can über die Schulter an. „Erst beleidigen und dann noch meinen, Weh-Fragen stellen zu dürfen, ist klar!“

Ich mag sie ja wirklich! 🙂

*Ergebnis harter Arbeit.

**Ergebnis noch härterer Arbeit.

***Ergebnis … ihr wisst schon.

Vandale und Liebe

Großer Unmut bei den Viertklässlern. Es geht um die Ehre. Da wird nicht gespaßt.

„So geht das einfach nicht weiter, Frau Weh!“

„Nein, das halten wir nicht länger aus!“

Natürlich verbieten ihnen Alter und Würde den der Situation eigentlich angemessenen Gefühlsausbruch, aber sich ein bisschen echauffieren, das darf wohl drin sein. Es geht um die OGS. Genauer um die Gruppe der OGS-Kinder, die in diesem – unserem! – Klassenraum die Hausaufgaben erledigt. Und, ach, wenn es doch nur die Hausaufgaben wären, die sie erledigen! Aber nein, sie stiften Chaos und hinterlassen apokalyptische Verwüstung, so man den aufgebrachten Viertklässlern Glauben schenken darf. Da liegen Schnipsel auf dem Boden, unter den Tischen finden sich angebissene Dinge und überall, ja, Frau Weh, da können Sie mal gucken, überall bleiben Stifte, Radiergummis und Flaschen liegen! Pfui aber auch!

(Den meisten geschätzten Leserinnen wird es bewusst sein, aber Nichteingeweihten möchte ich kurz erläutern, dass ein Klassenraum in der Grundschule nicht nur irgendeinen Raum darstellt. Nein, er ist so viel mehr! Das eigene Klassenzimmer ist Keimzelle und Mutterschoß der Bildung gleichermaßen, nicht das Zuhause, aber doch heimeliger Ort des Geborgenseins. Kinder identifizieren sich mit ihrem Klassenraum und teilen geheimes Wissen um sein Wesen. Flecken an den Wänden sind nicht einfach nur irgendwelche Makel, sie erzählen Geschichten vom Ausbruch plötzlichen Unwohlseins oder explodierten Kakaoflaschen. Fensterbretter oder Tafelecken sind keine unbelebten Gegenstände, markieren sie doch gleichermaßen Platzwunden wie historische Ereignisse. Bis hin zum mumifizierten Popelbällchen unter dem Regalbrett ganz untenhintenlinks weiß eine Klasse um ihren Raum. Und der Raum weiß um seine Klasse. So ist das nun einmal.)

Und jetzt das!

Gesittet, wie sie nun einmal meistens nach bald vier Grundschuljahren sind, einigen sich die Viertklässler auf gestrenge Worte und persönliche Ansprache auf mehreren Ebenen. Sie wollen es ohne Körpereinsatz versuchen, was ich mit hochgezogener Augenbraue und ironischem Unterton sehr begrüße, und fast können wir uns wieder dem Unterricht zuwenden, da meldet sich Shirin.

„Da ist noch was, Frau Weh. Jeden Tag ist was auf meinen Tisch gekritzelt.“

Auf ihrem Platz, so berichtet sie mir, sitzt nachmittags Enes. Und Enes macht das jeden Tag! Während der Rest der Klasse in den Arbeitsmodus wechselt, schaue mir das Werk des jungen Vandalen an und erkenne ein mittelgroßes, krakeliges Herz, das mit Bleistift quer über die Tischplatte gezeichnet wurde. Hmm.

„Shirin, kann es sein, dass Enes Gefühle für dich besitzt?“

Shirin nickt, ja, so ist das wohl, aber sie kann diese Gefühle nicht erwidern. Ich nicke. Ja die Liebe … das ist alles nicht immer so einfach. Wir überlegen gemeinsam, wie wir Enes davon abhalten können, Shirin weiterhin unerwünschte Bekundungen zukommen zu lassen ohne ihn bloßzustellen. Gleichzeitig kommen wir auf die Lösung und zwinkern uns verschwörerisch zu.

Als wir nach der sechsten Stunde den wieder aufgeräumten Klassenraum verlassen, steht auf Shirins Tisch eine Botschaft. Natürlich mit Bleistift.

Lieber Enes,

ich möchte deine Gefühle nicht verletzen. Aber hör jetzt SOFORT damit auf, was auf meinen Tisch zu krakeln! Das ist voll uncool!

Deine Shirin

 

 

Mitten im Leben

Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.

Er hält sich nicht an Pläne, er trifft keine Absprachen. Er geschieht.

Betroffen steht die kleine Schar Erstklässler im Kreis um die tote Spitzmaus herum. Klein liegt sie da auf dem Schulhof, geradezu winzig und still, sehr still. Eigentlich wollten wir für eine Förderstunde nur kurz das Gebäude wechseln. Doch an Normalität ist nun nicht mehr zu denken. Zu plötzlich stört der Tod die Kindern so eigene Emsigkeit.

„Vielleicht schläft sie ja nur?“, macht Lyanne sich selber Mut.

„Aber sie hat die Augen auf und da an der Schnauze ist auch Blut!“ Theo ist von der vollzogenen Endlichkeit des Mäuselebens überzeugt. Fachmännisch weist er auf die Indizien hin.

„Die arme, arme Maus!“, meint Dilara kummervoll und macht ein trauriges Gesicht. Die anderen Erstklässler nicken betroffen. So ein kleines Mäuschen und so tot. Warum bloß?

Diese Frage stelle ich mir auch. Ich friere. Mittwochs habe ich einen Schultag ganz ohne Pausenaufsichten. Anlassgemäß feiere ich diesen Tag immer mit dünner Kleidung. Mir zieht eine Gänsehaut die bestrumpfhosten Beine hinauf und eigentlich wollte ich doch im Warmen sitzen und die Sache mit der Silbensynthese noch einmal gezielt angehen. Jetzt aber blicke ich auf die tote Maus und die ergriffenen Erstklässler und als erfahrene Lehrkraft weiß ich natürlich, dass daraus heute nichts mehr werden wird. Ich seufze und ziehe den Mantel enger. Es ist absehbar, was nun passieren wird.

„Wir müssen sie begraben!“, sind sich die Erstklässler da auch schon einig und geraten nach meinem Zustimmung signalisierenden Nicken, auch wenn es nur halbherzig war, in freudvolle Geschäftigkeit. Sie teilen die Zuständigkeiten ein und tun, was getan werden muss. Einige suchen ein schönes Plätzchen (geschützt unter Büschen, aber etwas sonnig, die kleine Maus liebte bestimmt die Sonne, alle Mäuse lieben Sonne!), andere sammeln Herbstblätter in leuchtenden Farben (denn bunte Farben, da ist man sich einig, sind sehr wichtig bei einem Begräbnis und in Mexico oder woanders, da feiert man, wenn einer tot ist, mit gelben und orangenen Blumen, das hat Can am Wochenende in der Vorschau im Kino gesehen. Da war so ein Hund, der hat einen Knochen fast gefressen und dann war das aber der Knochen von einem toten Skelett und der Hund ist in einen Kaktus gefallen. Oder in ganz viele. Aber die Blumen waren orange!) und Theo und Ebru holen Sandeimer und Schaufel, denn ein Loch muss auch noch ausgehoben werden. Weder die novemberschwere Erde noch die Tatsache, dass jedes Kind einmal an die Schaufel möchte, lassen das Unterfangen zu schnell enden und so vergeht eine fröstelnde Weile und noch eine.

„Wie kriegen wir die Maus da jetzt rein? Tote Tiere darf man nicht anfassen, die können Tollwut haben.“

Ein bisschen hin und her geht es nun, denn Dilara weiß nicht, was Tollwut ist und Can verwechselt Tollwut mit der Zombieapokalypse aus dem voll gruseligen, aber coolen PC-Spiel, das sein großer Bruder ihm gezeigt hat und wo alle immer voll soooo langgehen und Geräusche machen. Doch Theo weiß um die Würde des Anlasses, schickt nach einem Kehrblech und sorgt für Ruhe. In schweigender Übereinkunft teilt ihm die Gruppe die Rolle des Bestatters zu und mit einem kleinen Plopp landet das Mäuschen in seinem Grab. Gebettet auf Herbstlaub und etwas Butterkeks, denn Mäuse – und wir alle wissen doch darum! – lieben Butterkekse. Liebevoll zugedeckt von einem Papiertaschentuch, das sogar fast noch ganz sauber ist. Die Erstklässler werden still, denn nun – so wird ihnen bewusst – müssen Worte gesprochen werden. Wichtige Worte, die den Abschied fassbar machen sollen und doch erträglich. Große Worte voller Traurigkeit über verpasste Chancen und ein Mäuseleben, dass doch viel zu kurz war.

„Auf Wiedersehen, kleine Maus. Wir haben uns gerade erst kennengelernt, aber du warst bestimmt ganz prima zu deinen vielen Mäusekindern! Und die sind jetzt sicher schon groß und passen auf sich selber auf. Du darfst jetzt hier ganz lange schlafen und du kommst bestimmt in den Mäusehimmel und der ist voller Käse!“

„Wir müssen auch etwas singen!“, weiß Theo. Alle nicken zustimmend. Sie entscheiden sich für das Martinslied, denn der Mantel, meint Leon, deckt ja den Bettler zu so wie die Herbstblätter die kleine Maus. Und ein anderes Lied wissen sie gerade auch nicht. Die hellen Kinderstimmen klingen durch die kalte Luft und ich weiß gar nicht, warum, aber plötzlich muss ich ein bisschen schlucken und ein bisschen hüsteln und vermutlich habe ich mir doch eine Erkältung oder so etwas in der Art eingefangen. Ist ja auch kein Wunder! Die Kinder nicken mir wissend zu und eine kleine Hand schiebt sich in meine. Weil der Gesang so schön ist auf dem leeren Schulhof und auch so viel Spaß macht, stimmen die Erstklässler gleich noch das Lied von der Weihnachtsbäckerei an. Mit in die Hände klatschen und laut „Du Schwein!“ rufen, denn das ist ja das Beste überhaupt an dem Lied. Dann wird gekichert und gelacht und „Tschüss, du Mäuschen!“ gerufen und noch ein bisschen mit Herbstlaub geworfen, wo wir schon hier draußen sind.

Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen.

Es hält sich nicht an Pläne, es trifft keine Absprachen. Es geschieht.

Hummelflug

Noch zwei Wochen bis zu den Herbstferien und die Stimmung ist schon so tief gesunken, dass ich mich beim Betreten des Lehrerzimmers in einem dumpfgrundigen Unkenpfuhl wiederzufinden scheine. Es trieft von herbstlicher Melancholie und beginnendem Missmut. Vereinzelt tropft Verzweiflung von den Wänden wie der unvermeidliche Rotz aus der Nase eines Erstklässlers. Grund ist eine Terminimplosion mittelschweren Grades: Schulanmeldung trifft auf Schulzahnarzt trifft auf Erneuerung der Schalldämmung trifft auf politischbed.. krankheitsbedingten Personalmangel. Ehrlich, wir sind so knapp besetzt, dass ich mich zusammenreißen muss, den freundlichen Dackelbesitzer, dessen frühmorgendliche Hunderunde ihn auch am Lehrerparkplatz vorbeiführt, nicht einfach an der Funktionsjacke zu packen und stante pede ins Lehramt zu rekrutieren. Wer Teckel kann, kann doch wohl auch Kinder, ne?

Da heute mein kurzer Tag ist, den ich mir unter keinen – ich betone unter keinen Umständen! – vermiesen lasse, entscheide ich mich gegen ein Bad inmitten negativer Schwingungen und drehe ab. Achtsamkeit ist ja seit einiger Zeit so ein wichtiges Thema, das einem – recht unachtsam, wie ich finde – ständig um die Ohren gehauen wird; also bin ich achtsam, nehme meine Gefühlslage wahr und erkenne an, dass unter besonderen Umständen auch die fröhlichste Hummel besser in Einsamkeit als im Unkengrund aufgehoben ist.

Doch Fröhlichkeit hin oder her, leider bin ich auch eine Hummel ohne Heimat. Denn alle Räume, in die ich mich zum Frühstück zurückziehen könnte, sind besetzt (Zahnarzt, Schulanmeldung, Schallschutz …). Nicht einmal in meinen Klassenraum kann ich gehen, denn der muss stoßgelüftet werden. Die Viertklässler beginnen präpubertätsbedingt zu müffeln. (Das merkt man ja nie, wenn man mittenmang sitzt, aber wehe, man verlässt den Raum und kommt dann zurück. Pfüüüüühh! )

Etwas planlos brumme ich von Raum zu Raum (man stelle sich bitte das dazu passende Werk von Rimsky-Korsakov vor), von Tür zu Tür, um schlussendlich im Abstellraum zu landen. Der Abstellraum – ein Ort voller Möglichkeiten. Und voller Kram. Kram der Sorte, die in Grundschulen allüberall exponentiell wachsend anfällt: liegengebliebene Jacken und Turnbeutel, kaputte Bälle, Wandkarten (Europa politisch), unvollständige Palettischeiben, eine traurigbeige Decke auf brauner Santätsliege. In diesem Fall jedoch der Ort meiner Wünsche! Äußerst zufrieden mit meiner Wahl lasse ich mich auf der Liege nieder und beiße in ein belegtes Brötchen, als plötzlich die Tür aufgerissen wird und der Hausmeister mit einem Schwung alter Lappen auftaucht.

„Was machst du denn hier?“, will er irritiert wissen.

„Na, Pausenyoga!“, ich zucke mit den Schultern, „sieht man doch wohl!“

„Du und Yoga, is klar!“, lacht er dröhnend. „Welches Tier?“

Ich überlege kurz, flattere ein bisschen mit Brötchen und Armen und erkläre befriedigt: „Die nach Ruhe suchende Hummel!“

 

Jammer, jammer, jammer

Es ist Montag und ich überlege, ob nun der Moment gekommen ist, an dem mich das Schulleben so kleinkriegt, dass ich hinschmeißen möchte, um – beispielsweise – Museumspädagogin, Vollzeitmutter oder Straßenmusikerin zu werden.

Glücklicherweise frage ich mich das in einer so zuverlässigen Regelmäßigkeit, dass ich aufgrund überstandener, vergangener Zweifel mit Fug und Recht behaupten kann, dass dem nicht so ist. Stattdessen handelt es sich meist um eine Art zyklisch wiederkehrender Unausgeglichenheit zwischen Ansprüchen (extrinsisch) und Idealvorstellungen (intrinsisch). Meist werden diese bedingt durch Schwankungen in der weiteren Lehrumgebung: Dies kann z.B. ein Wasserschaden im Klassenraum, ein krankheitsbedingt fehlender Hausmeister, aber auch eine arg fordernde Schulleitung oder helikopterisierende Elternteile sein.

Dieses Mal sind es einige Kolleginnen.

Das so unverblümt zu schreiben, kostet mich bereits Überwindung und fühlt sich ein bisschen an wie Nestbeschmutzen. Aber sollte ein Kollegium nicht eine Niederlassung des Miteinanders sein? Das Lehrerzimmer ein Ort der offenen Tür und des offenen Ohrs? So ist es zumindest in meiner (zugegeben) idealisierten Vorstellung. Sehr gerne dürfen dort politisch inkorrekte Witze erzählt oder gelegentlich mit Kopf und Faust auf den Tisch gehauen werden. Wünschenswerterweise liegt Schokolade auf dem Tisch. Oder wenigstens etwas angeditschtes Obst. Es darf über überzogene Ansprüche und realitätsferne Schulpolitik hergezogen werden. Über fehlende Ausstattung, mangelnde Unterstützung oder marode Klassenräume. Was aber gar nicht geht, ist das ständige Gejammer über Schüler und Eltern. Nee, echt jetzt!

Man möge mich bitte nicht falsch verstehen, auch ich habe in dieser Semi-Öffentlichkeit Jason Jayden aus der 4b schon einen kleinen Seuchenvogel und MamaHelene aus der 1a ein elterliches Breitbanddesaster genannt. Meist verbunden mit theatralischem Augenaufschlag und raumgreifender Geste. Aber doch nicht immer! Täglich! In jeder Pause! Und doch ist es das Thema in unserem Lehrerzimmer. Der hat, die hat und dann wollen die Eltern auch noch einen Gesprächstermin! Einen GESPRÄCHSTERMIN! Mittendrin im Schuljahr! Hat man sowas schon gehört?

Ich möchte den Kolleginnen zurufen, sie mögen auf der Stelle das Jammern sein lassen und ihr Augenmerk auf all die schönen Momente und die Privilegien dieses Berufs werfen. Auf die vielfältigen Möglichkeiten zu gestalten und Einfluss zu nehmen. Auf die Sicherheit unserer Arbeit und die Freiräume, die wir vielfach so füllen können, wie wir es selber für richtig halten. Aber ich lasse es sein, denn ich kenne ja auch die Gegenseite: die Einschränkungen, den schier unendlichen Papierkram, die Anspannung, die Überforderung. Manchmal werden diese eben zu groß, um noch objektiv argumentieren zu können. Stattdessen erwische ich mich dabei, dass ich freiwillig zusätzliche Aufsichten für angeschlagene Kolleginnen übernehme. Nicht, dass der Schulhof eine konfliktärmere Zone wäre, nein …

… aber da kann ich so flauschige Ohrenschützer tragen.

 

 

Wichtelweh

Es wichtelt und adventelt kräftig bei den Drittklässlern. Da werden heimlich Plätzchen, Schokolädchen oder Zettelchen unter Schultische, in Ranzen oder Jackentaschen geschmuggelt. Auf beiden Seiten ist die Freude groß, wenn solch eine kleine Überraschung gelingt, wobei sich die Schenkenden ein wenig leiser freuen (müssen) als die so Bedachten, um sich nicht vor der Zeit zu verraten. Auch ich werde nicht vergessen und so lese ich

„Heute war dein Unterricht sehr interessant!“

oder

„Sie sehen gut erholt aus!“

(Selbstredend freue ich mich laut über all diese schriftlichen Nettigkeiten ohne zu verraten, dass ich den Schreiber längst anhand des etwas schief gesetzten „t“ erkannt habe.)

Advent ist einfach eine schöne Zeit. Doch auch in den stimmungsvollsten Wochen des Jahres lauern überall auf Klinken und Oberflächen gemeine Viren, um es sich auf Schleimhäuten oder Bronchien so richtig gemütlich zu machen. Von fiesen Tröpfcheninfektionen mal ganz abgesehen. Und so streckte es letzte Woche Cem danieder, der dadurch einiges an Unterrichtsinhalten verpasst hat, heute aber nach ein paar Tagen Sofa-und-TV-Therapie endlich wieder dem Unterricht beiwohnen kann. Fröhlich taucht er ins morgendliche Gewusel und stürzt mit einem kleinen Entzückensschrei zu seinem Platz.

„Cüs, da liegt voll viel Gewichtels auf meinem Platz! Krass!“

„Oh … welcher Wichtel legt mir denn Arbeitsblätter dahin!? Voll doof!“

„Sind Sie etwa mein Wichtel, Frau Weh?“

Tut mir leid, Cem!

 

Schuld und Verantwortung

Ich trage keine Schuld, aber ich trage Verantwortung.

Etwas ist passiert in den Sommerferien. Was genau, entzieht sich meiner Kenntnis. Sechs Wochen sind eine lange Zeit. Eine zu lange Zeit, in der wichtig gewordene Routinen auf einmal wegbrechen. Vielleicht liegt es daran, dass die Beziehung zwischen Ramons Mutter und ihrem neuen Freund auseinandergegangen ist. Mit lauten Worten und dem Geräusch zerbrechenden Geschirrs, das an Küchenwänden zerschellt. Vielleicht liegt der Grund darin, dass die Krankenkasse den Verlängerungsantrag für seine Therapie abgelehnt hat. Genau zu dem Zeitpunkt, in dem das Jugendamt ihn aus der vertrauten Tagesgruppe entlässt, weil der zuständige Psychologe den Bedarf nicht weiter bescheinigt. Irgendwas mit Budget steht einer Verlängerung entgegen. Vielleicht haben diese Dinge sich tief drinnen in der kindlichen Psyche abgesprochen und verbündet, um wieder zu zerstören, was in den letzten Monaten zaghaft gewachsen ist: minimales Vertrauen in die Welt und die Menschen drumherum.

Jetzt erkenne ich das Kind nicht mehr hinter der übergroßen Wut, die den einen finalen Ausbruch anzukündigen scheint in vielen kleinen und mittelgroßen Momenten. Fensterscheiben, Schulbänke, Spielgeräte gehen zu Bruch. So wie mein Leben, scheint das Kind stumm zu schreien, wenn Ramon mir wieder und wieder vorgeführt wird von den erbosten Kolleginnen, die das Pech hatten, an genau einem solchen Tag in der Aufsicht eingeteilt zu sein. Vergessen sind Antiaggressionstraining und über Monate antrainierte Krisenkommunikation. Ramon schlägt, tritt, ist außer sich. Es fällt mir schwer ihn zu erreichen. Oft bleibt mir nur die stumme Geste zur Leseecke, dem Rückzugsort so vieler Krisenmomente.

Ich möchte verstehen und kann es nicht. Ich möchte helfen und weiß nicht, wie das noch gehen soll. Der Zustand ist unhaltbar und nun scheint der Punkt ohne Wiederkehr erreicht zu sein. Dann – nach Klassenkonferenzen und Dringlichkeitsgesprächen – reicht die Mutter die Schulabmeldung ein. Sie fühle sich nicht unterstützt und ihr Sohn sei ohne Frage hier nicht gewollt. Würden wir uns auf der Straße und nicht im Büro befinden, es würde sich anfühlen wie angespuckt zu werden.

Ramon weint. Er will nicht von hier weg. Die Arme kann ich noch öffnen, in die er sich flüchtet, als ich ihm eine ordentliche Verabschiedung verspreche. So richtig, mit Kuchen und Abschiedsgeschenk. Ich trage keine Schuld, aber ich trage Verantwortung. Schwer liegt sie auf meinen Schultern. So viel Kraft, so viel Zeit. Wofür?

Die Drittklässler verstehen das Warum nicht. Aber sie malen und schreiben zum Abschied. Dies tun sie ehrlicher als die Eltern, die plötzlich Verständnis und Mitgefühl für ein Kind aufbringen, welches sie im vergangenen Jahr als ständige Bedrohung angesehen haben. Auf dem Abschiedsgeschenk der Drittklässler lese ich Sätze wie „es war nicht immer einfach mit dir befreundet zu sein, aber wir haben das hinbekommen“. Es gibt Tränen und Kuchen, Limo und gute Wünsche zum Abschied. Dazu Musik und Hausaufgabenfrei. Noch einmal soll sich Schule an diesem Ort schön und geborgen anfühlen.

„Es ist doch besser so!“, meint eine Kollegin, als ich mich nach dem Unterricht still auf meinen Platz im Lehrerzimmer setze. Besser wäre es von Anfang an gewesen, denke ich.

Schuld und Verantwortung. Wer kann da schon so genau die Grenze ziehen?

Das Dazwischen

Noch drei Wochen bis zu den Ferien. Langsam beginnt dieser seltsame Zustand des Dazwischens. Obschon ich nichts mehr herbeisehne als das Ende des aktuellen Schuljahres, bahnen sie sich bereits einen Weg, die Ideen und Pläne für das kommende. Flüchtig notiere ich sie auf Zetteln, Bildern und Zeugniskorrekturausdrucken. Nur nichts verschwinden lassen! Die Gedanken mäandern zwischen den Schuljahren und ich bin froh darüber, zeigt es doch, dass die zur Zeit empfundene Erschöpfung eine natürliche, zirkuläre ist und keine, um die sich zu sorgen nottut. Was bleibt, ist die Empfindung, ein anstrengendes Jahr (und sind sie dies nicht alle?) bald geschafft zu haben und dennoch leise Vorfreude darüber zu empfinden, was für gute Momente die Zweitklässler nächstes Jahr, schon bald!, erwarten.

Kann ich es besser beschreiben?

Bildung ist ein Geschenk und die Vermittlung von Bildung kann ein ebensolches sein. (Dass es manchmal mehr Spaß macht, jemandem ein Geschenk zu übermitteln als eines zu empfangen, kann in diesem Zusammenhang vermutlich jeder Leser verstehen. Wenn nicht, vermittle ich gerne ein Gespräch mit dem pubertierenden Wehwehchen – es findet ganz sicher prägnante Worte!)

So zähle ich die verbleibenden Schultage herunter (es sind noch 15) und freue mich gleichermaßen auf die sich anschließende Schreibtischphase, in der ich mich hemmungslos dem Planen und Materialisieren des Kommenden verschreibe. Nicht ohne natürlich im Vorfeld den reinigenden Ritus des Aufräumens und Wegschmeißens zu begehen. Nicht ganz ernst, dennoch mit Hintergrund, fragte mich vor Jahren eine Bekannte, ob ich nicht Interesse an einer Räucherung hätte. (Nachfragen ergaben, dass es sich bei diesem Vorschlag nicht etwa um Forelle oder Saibling handelte.) Überzeugt konnte ich ihr darlegen, dass mit jedem liegengebliebenen Arbeitsblatt, welches ich entsorge, mit jeder Notiz, die nun nicht mehr von Belang sei, ich ein Stück des vergangenen Jahres abschließen und loslassen könne. In meinem Klassenzimmer befinden sich keine Geister, die sich nicht durch den beherzten Einsatz von Scheuermilch und Mülleimer zur Räson bringen ließen. Mein Raum, meine Regeln.

Und so weiß ich bereits jetzt um dieses matte, volle Gefühl des Danachs. Wenn alle Kinder verabschiedet, alle Umarmungen erwidert, alle Wünsche ausgesprochen sind. Wenn das Klassenzimmer leer ist und man selber irgendwie auch. Man schaut sich um mit dieser unwirklichen Mischung aus Reservelosigkeit und ungezähmter Freiheitsfreude, schiebt einen Stuhl an einen Tisch, sammelt eine stehengelassene Kakaoflasche, einen liegengebliebenen Stift ein und denkt Nichts. Denn für dieses Jahr ist alles gedacht, alles gesprochen, alles gewirkt.

Doch bis dahin sind es noch kaugummilange Tage, emotionsstark und aufgeladen, die es zu bestreiten gilt. Zeugnisse müssen geschrieben, Gespräche geführt, Klassenbücher ausgefüllt werden. Diplomatisch muss manches abgewogen oder bestenfalls überhört werden, um nicht der hochgradig ansteckenden Schuljahresend-Hysterie zu erliegen, der sogar zäheste Kolleginnen derzeit zum Opfer fallen.

„Was sind die beiden besten Gründe, um Lehrer zu werden?“, frage ich inmitten einer so hitzigen wie nutzlosen Auseinandersetzung im Lehrerzimmer, in der es zunächst um die Anschaffung neuer Poolnudeln, später jedoch um die Rechtfertigung des Sportlehrerdaseins im Allgemeinen geht. Erhitzte Gesichter wenden sich mir fragend zu.

„Was!?“

„Na, Juli und August!“

Fassungslosigkeit strömt mir entgegen. Dann signalisiert erleichtertes Grinsen das Ende der Auseinandersetzung.

„Du bist auch eine Poolnudel, Frau Weh!“

Lasst uns durchhalten! 🙂

Das Ende naht

Da ist er, der Schuljahresendstress. Ein bisschen früh dran in diesem Jahr. Dafür aber – so scheint es – schlägt er diesmal nicht nur zu, nein, er stürzt sich gewaltbereit und bis an die Zähne bewaffnet auf die wehrlose Lehrkraft, zerrt sie hinter die Tafel und gibt ihr so richtig eine auffe Zwölf.

Oder wie ist es sonst zu erklären, dass sich annähernd kein Zweitklässler mehr mit der Uhr auskennt? Ach was, sie kennen sich nicht nur nicht damit aus, sie bestreiten jeglichen Kontakt mit der Materie. Die Uhr? Haben wir nie gelernt, Frau Weh! Hast du uns noch nie was von gesagt! Nur den Beginn der Frühstückspause, ja den kennen sie. Man könnte vermuten, sie hätten heimlich einer Gewerkschaftssitzung beigewohnt, so sicher und einig sind sie sich in der Wahrung ihrer Rechte.

Ansonsten Geschrei an allen Fronten. Frau Killefitz-Klette fällt ganz plötzlich auf, dass es ja bald ein Notenzeugnis gibt ihre Tochter ein ernstzunehmendes Matheproblem hat, welches zwar von mir bereits mehrfach angesprochen wurde, aber erst heute, jetzt, in diesem Moment! so wichtig wird, dass sie umgehend einen Termin wünscht. Sie kann heute entweder um 10.15 Uhr oder dann ab 17.00 Uhr.

Die Klassenpflegschaft, die ein deutlich besseres Gespür für Timing hat und mich nach Schulschluss im Flur abfängt, möchte ganz schnell noch ein Sommerfest auf die Beine stellen, gerät dabei aber in Terminkollision mit dem Abschlusskonzert der kooperierenden Musikschule. Mein (nicht ganz selbstloser) Vorschlag, beides zu kombinieren, stößt auf beidseitige Empörung. „Es gibt eine Zeit zu feiern und eine Zeit zu tröten!“, verkündet die Pflegschaft. Über das diskriminierende Wort „tröten“ empört sich die Musikschulkraft lautstark. Man muss nicht sonderlich empathisch veranlagt sein, um die in den letzten 25 Jahren Blockflötenunterricht erlittenen Verletzungen und Beleidigungen zu spüren, die den Worten innewohnen. Mit der Mitteilung, ich sei dabei, mit oder ohne Blockflöte, überlasse ich die Damen sich selber und suche schleunigst das Weite, bevor noch jemand Feuer fängt.

Ja, die Eltern werden nervös, die Kinder hibbelig, die Kolleginnen dünnhäutig und die Schulleitung möchte frühzeitig Zeugnisse sehen. Aber ich muss ja noch die Uhr … und überhaupt, die Zeugnisse! Ach je! Die schuleigenen Arbeitspläne mahnen mich zur Quadratur des Kreises. Wie sonst wohl sollte ich noch drei zwei Sachunterrichtsthemen schaffen, beobachten die Zweitklässler doch seit Wochen hingebungsvoll ihre Schnecken, die in einem Terrarium im Klassenzimmer wohnen. Da wird gemessen, gewogen, gefüttert und geliebt. Die Kinder die Schnecken und die Schnecken … nun ja, die Schnecken sich selber. Sieht irgendwie auch ganz putzig aus. Die reinste Weichtierpoesie. Wusstet ihr übrigens, dass das corpus delicti bei Schnecken Liebespfeil heißt? Ramon zumindest interessiert sich sehr für das Liebesleben der Viecher und hat bereits eine Tabelle zur Häufigkeit des Paarungsaktes entworfen. Der Zweck heiligt die Mittel und Tabellen musste er sowieso noch üben.

„Wenn wir richtig leise arbeiten, Frau Weh, dann können wir die Schnecken fressen hören!“, stellt Finnja erfreut fest und ich denke ganz egoistisch, warum sich jetzt noch den Stress mit einer Magnetwerkstatt antun, wenn man es stattdessen schneckenleise in der Klasse haben kann?

„Schneckenleise ist das neue kompetenzorientiert!“, erkläre ich also dem Chef selbstbewusst, als er mich auf meine fehlenden Sachunterrichtsthemen anspricht. Für ein längeres Gespräch bleibt keine Zeit, ich habe einen Termin mit der Schulpsychologin und der Mutter von Ramon. Mal wieder. Aber, hey, zum letzten Mal in diesem Schuljahr! Noch fünf Wochen, geht mir durch den Kopf, das wuppen wir doch ganz lässig. Ich schreibe noch schnell einen neuen* Schneckenwitz** an die Seitentafel und harre der Dinge, die da noch so kommen.

 

* unbedingt empfehlenswert ist das Anlegen einer Witzekartei (nicht nur) zu den einzelnen Unterrichtsthemen. Kinder LIEBEN Witze. Sie verstehen sie nicht und erzählen können sie sie meist auch nicht, aber sie LIEBEN sie.

** Treffen sich zwei Schnecken im Wald. Eine der beiden ist total zerschrammt. Fragt die eine:
„Was hast du denn angestellt?!“
Antwortet die andere:
„Ich bin mit Vollgas durch den Wald gerannt, da schießt plötzlich vor mir ein Pilz aus dem Boden! Da konnte ich echt nicht mehr bremsen.“

 

 

 

 

Clean Teaching – Fortsetzung

Vielleicht erinnert ihr euch noch: Im Januar war es mir plötzlich ein bisschen viel. Zu viel Material in zu vielen Kisten und Ordnern, die Arbeitszimmer und Kopf verstopft haben. Ich hatte mir vorgenommen, mit weniger Zeug auszukommen, die Neuanschaffungen zu begrenzen und mir wieder mehr Spontaneität im Unterricht zu erlauben. Auch die Digitalisierung meiner Unterlagen ist mir in den Sinn gekommen.

Zeit, mal zu schauen, wie es so läuft.

Das Material

In den letzten Monaten habe ich tatsächlich deutlich weniger Material gekauft oder ausgedruckt. Fairerweise muss ich zugeben, dass dies nicht allein meinem eisenharten Willen zuzuordnen ist, sondern zum großen Teil darauf beruht, dass dies mein … wow!… 10. Unterrichtsjahr in der Schuleingangsphase ist. Da ist einfach schon eine ganze Menge Zeug vorhanden. Zugekauft habe ich etwas für den Rechtschreibunterricht und zwei Karteien für Mathe. Außerdem habe ich Ordner durchgesehen und dabei einige Neu- und Wiederentdeckungen gemacht. Peinlicherweise besaß ich manche Dinge doppelt, was zwar für den (K)Aufforderungscharakter des Materials, aber nicht unbedingt für eine gute Arbeitszimmerführung spricht. Einiges ist nach kurzer Durchsicht direkt in die Papiertonne gewandert, mit anderen Sachen konnte ich Kolleginnen oder den Kindergarten des Miniwehs beglücken. Mein Arbeitszimmer ist nach wie vor der Raum mit der höchsten Materialdichte im gesamten Haushalt, hat aber an Kontur gewonnen. Um es im Sportlerjargon zu sagen: Der Speck ist noch nicht ganz weg, aber es sind schon Muskeln zu erahnen.

Der Unterricht

Was soll ich sagen? Ich bin einfach eine überzeugte Unterrichtsplanerin und höchst ungerne unvorbereitet in der Schule unterwegs. (Was nicht bedeutet, dass ich mit spontanen Programmwechseln ein Problem hätte. Klappt Unterrichtsidee A nicht, kann man ja immer noch auf B oder C zurückgreifen. Es ist mir etwas unangenehm zuzugeben, aber meistens habe ich auch noch Spaß an solch unvorhergesehenen Momenten. Es sei denn, sie gehen mit dem notwendigen Einsatz von Katzenstreu oder Verbandsmaterial einher. Dann finde ich sie uneingeschränt doof.)

Also es geht wenig über eine saubere und durchdachte Unterrichtsplanung. Tatsächlich habe ich aber in den letzten Monaten ein paar ziemlich gute Stunden erlebt, eben weil ich mich aus meiner persönlichen Komfortzone strukturierten Unterrichts gelöst habe und Dinge einfach geschehen ließ. Besonders zu erwähnen wäre an dieser Stelle die Stunde mit dem Ei*. Ganz unbescheiden muss ich zugeben, dass diese einen Glanzpunkt meines Lehrerlebens darstellt!

Und nun?

Vor kurzem sah mein Arbeitszimmer aus, als ob in einem Testlabor sämtliche Tische wegen Termitenbefalls entfernt worden wären und das Arbeitsgerät daher auf dem Boden gelagert werden müsste. Ich war mitten in der Vorbereitung einer Sachunterrichtseinheit zum Thema Schall und die Möglichkeiten, die sich auftaten, ließen eine Flut kreativer Glückshormone im Arbeitsspeicher meines Gehirns frei. Was man da alles machen könnte …! Herrlich! Ideen sprudelten, Kisten wurden geleert und kleine (und größere) Versuche aufgebaut. Das dafür notwendige Material wurde zwanglos und umgehend aus Küchenschubladen, Bade- oder Kinderzimmer entwendet und in die Versuchsaufbauten integriert. Mitten im glückstrunkenen Wühlen dann ein Schrei mit Geschwister-Echo. Wie praktisch, da hatten die Wehwehchen beim lautstarken Streiten doch glatt den Doppler-Effekt gefunden. Der hatte mir noch gefehlt. Und diese Schallwerkstatt da im Internet …

Ausblick

Ich habe noch viel zu tun. Obwohl ich es mir anders vorgenommen habe, schaltet mein Gehirn noch zu häufig in den Haben-Wollen-Modus, wenn es um Unterrichtsmaterial geht. Außerdem habe ich noch zu lernen, dass nicht jede Stunde ein Feuerwerk sein muss, ein bisschen glimmen ist doch auch ganz schön. Wozu ich noch nicht gekommen bin, ist die Digitalisierung meiner Unterlagen. Das werde ich in den Sommerferien schrittweise angehen. In ganz weiter Ferne stünde dann die Umstellung auf digitale Lehrertools. Brrr, da gruselt es mir allerdings noch vor.

Die Schallwerkstatt habe ich übrigens auf ein Minimum zusammengestrichen. Stattdessen habe ich die Zweitklässler ins Treppenhaus geschickt. Auf Pantoffeln und mit Flüstertüten ausgerüstet.

Fortsetzung folgt …

* Die Stunde mit dem Ei war wirklich super. Nur ein Ei und 30 Zweitklässler, eine Tasse Kaffee und ich. Dass ich so etwas Schönes mal erleben durfte!