Clean Teaching – Fortsetzung

Vielleicht erinnert ihr euch noch: Im Januar war es mir plötzlich ein bisschen viel. Zu viel Material in zu vielen Kisten und Ordnern, die Arbeitszimmer und Kopf verstopft haben. Ich hatte mir vorgenommen, mit weniger Zeug auszukommen, die Neuanschaffungen zu begrenzen und mir wieder mehr Spontaneität im Unterricht zu erlauben. Auch die Digitalisierung meiner Unterlagen ist mir in den Sinn gekommen.

Zeit, mal zu schauen, wie es so läuft.

Das Material

In den letzten Monaten habe ich tatsächlich deutlich weniger Material gekauft oder ausgedruckt. Fairerweise muss ich zugeben, dass dies nicht allein meinem eisenharten Willen zuzuordnen ist, sondern zum großen Teil darauf beruht, dass dies mein … wow!… 10. Unterrichtsjahr in der Schuleingangsphase ist. Da ist einfach schon eine ganze Menge Zeug vorhanden. Zugekauft habe ich etwas für den Rechtschreibunterricht und zwei Karteien für Mathe. Außerdem habe ich Ordner durchgesehen und dabei einige Neu- und Wiederentdeckungen gemacht. Peinlicherweise besaß ich manche Dinge doppelt, was zwar für den (K)Aufforderungscharakter des Materials, aber nicht unbedingt für eine gute Arbeitszimmerführung spricht. Einiges ist nach kurzer Durchsicht direkt in die Papiertonne gewandert, mit anderen Sachen konnte ich Kolleginnen oder den Kindergarten des Miniwehs beglücken. Mein Arbeitszimmer ist nach wie vor der Raum mit der höchsten Materialdichte im gesamten Haushalt, hat aber an Kontur gewonnen. Um es im Sportlerjargon zu sagen: Der Speck ist noch nicht ganz weg, aber es sind schon Muskeln zu erahnen.

Der Unterricht

Was soll ich sagen? Ich bin einfach eine überzeugte Unterrichtsplanerin und höchst ungerne unvorbereitet in der Schule unterwegs. (Was nicht bedeutet, dass ich mit spontanen Programmwechseln ein Problem hätte. Klappt Unterrichtsidee A nicht, kann man ja immer noch auf B oder C zurückgreifen. Es ist mir etwas unangenehm zuzugeben, aber meistens habe ich auch noch Spaß an solch unvorhergesehenen Momenten. Es sei denn, sie gehen mit dem notwendigen Einsatz von Katzenstreu oder Verbandsmaterial einher. Dann finde ich sie uneingeschränt doof.)

Also es geht wenig über eine saubere und durchdachte Unterrichtsplanung. Tatsächlich habe ich aber in den letzten Monaten ein paar ziemlich gute Stunden erlebt, eben weil ich mich aus meiner persönlichen Komfortzone strukturierten Unterrichts gelöst habe und Dinge einfach geschehen ließ. Besonders zu erwähnen wäre an dieser Stelle die Stunde mit dem Ei*. Ganz unbescheiden muss ich zugeben, dass diese einen Glanzpunkt meines Lehrerlebens darstellt!

Und nun?

Vor kurzem sah mein Arbeitszimmer aus, als ob in einem Testlabor sämtliche Tische wegen Termitenbefalls entfernt worden wären und das Arbeitsgerät daher auf dem Boden gelagert werden müsste. Ich war mitten in der Vorbereitung einer Sachunterrichtseinheit zum Thema Schall und die Möglichkeiten, die sich auftaten, ließen eine Flut kreativer Glückshormone im Arbeitsspeicher meines Gehirns frei. Was man da alles machen könnte …! Herrlich! Ideen sprudelten, Kisten wurden geleert und kleine (und größere) Versuche aufgebaut. Das dafür notwendige Material wurde zwanglos und umgehend aus Küchenschubladen, Bade- oder Kinderzimmer entwendet und in die Versuchsaufbauten integriert. Mitten im glückstrunkenen Wühlen dann ein Schrei mit Geschwister-Echo. Wie praktisch, da hatten die Wehwehchen beim lautstarken Streiten doch glatt den Doppler-Effekt gefunden. Der hatte mir noch gefehlt. Und diese Schallwerkstatt da im Internet …

Ausblick

Ich habe noch viel zu tun. Obwohl ich es mir anders vorgenommen habe, schaltet mein Gehirn noch zu häufig in den Haben-Wollen-Modus, wenn es um Unterrichtsmaterial geht. Außerdem habe ich noch zu lernen, dass nicht jede Stunde ein Feuerwerk sein muss, ein bisschen glimmen ist doch auch ganz schön. Wozu ich noch nicht gekommen bin, ist die Digitalisierung meiner Unterlagen. Das werde ich in den Sommerferien schrittweise angehen. In ganz weiter Ferne stünde dann die Umstellung auf digitale Lehrertools. Brrr, da gruselt es mir allerdings noch vor.

Die Schallwerkstatt habe ich übrigens auf ein Minimum zusammengestrichen. Stattdessen habe ich die Zweitklässler ins Treppenhaus geschickt. Auf Pantoffeln und mit Flüstertüten ausgerüstet.

Fortsetzung folgt …

* Die Stunde mit dem Ei war wirklich super. Nur ein Ei und 30 Zweitklässler, eine Tasse Kaffee und ich. Dass ich so etwas Schönes mal erleben durfte!

Clean Teaching

„Und wenn ich noch einmal neu anfangen würde?“

Dieser Satz, laut ausgesprochen, schwebt über allem. Über dem auf dem Boden ausgebreiteten Material, über den Ordnerrücken, die herablassend aus den Regalreihen blicken, und über meiner immer größer werdenden Verzweiflung. Jetzt gerade ist es mir zu viel. Zu viel Zeug, zu viel abgeheftete Ideen, zu viel papiergewordene Möglichkeiten der Wissensvermittlung. Ich will ja unterrichten, natürlich, aber ich will auch locker sein und frei sein von Themensammlungen, die mich schon jahrelang begleiten und immer fetter und feister werden von all den zusätzlich hineingeschobenen Blättern und kopierten Artikeln, den zwischendurch angeschafften Themenheften und dem das kannst du bestimmt einmal verwenden.

Neu anfangen. Die Papiertonne bis zum Anschlag füllen und nur noch das abheften – oder besser noch in digitalisierter Form speichern – was wirklich zielführend ist. Dinge einfach loslassen und sich wieder mehr auf Intuition und Spontaneität verlassen statt auf immer größer werdende Stapel von Fachliteratur, die ich irgendwann einmal in Ruhe lesen möchte. Denn, wenn ich ehrlich bin, dieses irgendwann wird es wohl nie geben. Und wenn es doch einmal so weit sein wird, dass die Nachmittage wieder ruhiger und die Abende frei von Vokabelabfragen oder Abholterminen der Wehwehchen sind, werden die ganzen vermeintlich wichtigen Dinge möglicherweise nicht nur äußerlich, sondern auch inhaltlich Staub angesetzt haben. Aktuelle didaktische Diskussionen verfolge ich im Internet sowie durch Lehrerzimmerlektüre. Und beileibe nicht alles, was Trend ist, muss mein sein.

Ein Spaziergang durch unseren Schulkeller bestätigt mein Unbehagen. Dort befindet sich tonnenweise Material, eingetütet, abgeheftet, in Kisten verpackt. Möglich, dass dort wahre Schätze lagern! Doch welche Kollegin hat die Zeit und das Interesse daran, sich durch die langsam vor sich hingilbenden Hinterlassenschaften längst in Ruhestand versetzter Lehrerinnen und Lehrer zu arbeiten? Es spukt der jeweilige Zeitgeist durch zugige Flure. Und so stapelt sich die Wissensvermittlung der letzten Jahrzehnte und modert vor sich hin. Wieviel Arbeitszeit darin stecken mag? Wie viel Hektar Wald, wie viel Liter Erdöl?

Ich wünsche mir nicht die Zeit der Schiefertafel zurück (obgleich ich gegen dieselbe keinerlei Einwände habe, ist sie doch so ungleich ressourcenschonender als jeder gedruckte Schreiblehrgang), aber ich wünsche mir eine Wissensvermittlung, die mit ein bisschen weniger buntem Schnickschnack auskommt. Natürlich bin ich an dem Dilemma, in dem ich gerade stecke, gänzlich selber schuld! Schließlich bin ich diejenige, die in den letzten Jahren gekauft, gewerkelt, kopiert und für die Ewigkeit laminiert hat. Weil es schön ist, auch ein Eichhörnchenpuzzle zu haben, oder 30 Somawürfel. Weil es auf Eventualitäten vorbereitet und Differenzierung leichter scheinen lässt. Aber bin ich dadurch in meinem Unterrichten besser geworden? Wenigstens ein leichter Zweifel scheint mir angebracht.

Wie praktisch, dass gerade Januar ist. Da verkündet sowieso alle Welt, was man in diesem Jahr aber wirklich einmal richtig anpacken will. Sparen und verzichten befinden sich bekanntermaßen immer in der Top Five der guten Vorsätze. Da betrete ich zumindest kein Neuland, wenn ich mich aufmache an Material zu sparen und auf Neuanschaffungen weitmöglichst zu verzichten, Dinge aus meinem Fundus zu gebrauchen oder weiterzugeben, wenn sie sich als nicht (mehr) zweckmäßig entpuppen. Weniger Zeug in der Klasse – ist ja sowieso schon voll genug dort. Je mehr ich darüber nachdenke, desto fröhlicher werde ich. Aufräumen und entrümpeln kann ich wirklich gut und mache ich extrem gerne (Familie Weh kann ein Lied davon singen …). Also verschlanke ich dieses Jahr mein Arbeitszimmer, unterziehe mein Material einer didaktischen Detoxkur und specke künstlich aufgeblasene Unterrichtsreihen ab. Oooh, es wird so wunderbar! Und ich weiß auch schon, wie ich es nenne:

Clean Teaching statt Clean Eating!

YES! 🙂

Demokratie mit Füßen getreten

Die Tatsache, dass ihre Klassenlehrerin seit dem heutigen Tag ebenfalls Hausschuhe im Klassenraum trägt, haut den ein oder anderen Erstklässler völlig aus den Socken.

„Du bist doch gar kein Kind mehr, Frau Weh! Warum hast du denn Hausschuhe an?“

Als ob Schwitzfüße eine Frage des Alters wären! Glücklicherweise neige ich dazu nicht, finde es aber konsequent, dass in diesem Bereich auch für mich keine Sonderregelung gilt. Schließlich sind meine Schuhe noch die größten und bei dem Wetter auch nicht immer bar jeden Makels. Ich verweise auf den blitzeblanken Boden des Klassenzimmers und auf meine extra zu diesem Zweck angeschafften Schuhe. Die unumgängliche Rückmeldung lässt nicht auf sich warten:

„Deine Hausschuhe sind schön, Frau Weh!“, lässt mich Lynn mit einem Nicken wissen.

„Finde ich nicht.“, murrt hingegen Marc, der alte Knöterich.

„Sind sie wohl.“

„Nö!“

„Wohl!“

Marc und Lynn werden sich nicht einig. Ehe es zum handfesten Streit zwischen den beiden kommt, habe ich flugs eine Tabelle an die Tafel gezeichnet. Nun darf die Meinung abgegeben werden, ob mein Schuhwerk (ich persönlich finde es für Hausschuhe durchaus in Ordnung) dem Geschmack der Klasse zusagt. Abgegeben werden – oh Wunder! – exakt 29 Stimmen. Auf schön entfallen 25. Vier mutige Erstklässler entscheiden sich gegen die Hauptmeinung. Auf meine eindringliche Frage, wer mit schön geantwortet hat, nur weil er mich nett findet und nicht verletzen möchte, melden sich tatsächlich noch sieben weitere Kinder. Ich bin begeistert! Klarer Fall von Volkssouveränität! Die Erstklässler sind so entzückt von der Abfragemöglichkeit, dass wir im Laufe des Tages noch ganze dreimal mein Schuhwerk auf den Prüfstand stellen müssen. Um 11.10 Uhr findet niemand mehr Gefallen an meinen Schuhen, aber umso mehr an Meinungsumfragen.

„Wer ist dafür, dass sich Frau Weh neue Hausschuhe kaufen muss?“, kräht Finn mitten in der Stillarbeitsphase plötzlich begeistert heraus. Die Reaktion ist unglaublich. Ekstatisch tobende Massen. Tumultartige Zustände. Meuterei! Ich überdenke rasendschnell meine Möglichkeiten. Eile ist geboten, sonst droht die Situation gänzlich aus dem Ruder zu laufen. Eignet sich ein Pflanzensprüher als Wasserwerfer und wie sieht der exekutive Einsatz eines solchen gegenüber Schutzbefohlenen eigentlich rechtlich aus? Ok, es ist Zeit für die absolute Notbremse. Unter majestätischem Einsatz des Klangstabes („Piiiing!“) führe ich die absolute Monarchie ein.

11.13 Uhr: Ruhe. Ist DAS schön!

 

 

Methodentraining: Hausaufgabenheft

Montagmorgen bei den Erstklässlern. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen es tief in meinen Eingeweiden zu brodeln beginnt. Ich schließe kurz die Augen und atme ein.

Und atme aus.

Und atme ein.

Leider hilft alles nichts, das Chaos ist noch da. Nachdem die Erstklässler ihre Hausaufgaben in den Anfangswochen durch ein Häuschen auf der entsprechenden Seite kennzeichneten, haben sie letzte Woche damit begonnen, auf jedes Arbeitsblatt und jede Seite das Datum zu schreiben. Das war kein Problem und so dachte ich leichthin, es sei nun an der Zeit, die Hausaufgaben im dafür vorgesehenen Heft zu notieren. Soweit der Plan. In der Praxis hingegen stehe ich inmitten einer Schar aufgeregter Schulanfänger, die mir alle gleichzeitig ihr Heft unter die Nase halten wollen.

„Wo muss ich das Datum hinschreiben?“

„Ist das so richtig?“

„Ich habe gar kein Hausaufgabenheft!“

„Muss ich heute in die Betreuung?“

„Ich brauche gar kein Hausaufgabenheft, ich merk mir das immer so.“

„Ich hab hier das Datum auf die ganze Seite geschrieben. So, ja, so? Sosososo? Jetzt guck doch endlich!“

„Guck mal, Frau Weh, da ist Spiderman drauf. Voll cool!“

„Rosa mag ich gar nicht. Das hab ich der Mama auch gesagt. Da schreib ich nicht rein!“

„Was heißt Di? Und Mi? Ffffff-rrrrrr!?“

„Ich muss mal.“

„Ich auch!“

„Ich auch!“

Hier zeigt sich, dass ich – noch immer viertklässlerverwöhnt – die Schwierigkeit des Hausaufgabenhefteinführens unterschätzt habe. Hat hier jemand eigentlich eine Ahnung, wie viele verschiedene Ausführungen eines Hausaufgabenhefts es heutzutage gibt? Wir hatten früher ja so ein einfaches Vokabelheft. Da schrieb man das Datum rein, darunter die Aufgaben und fertig! Die Hefte der Erstklässlern gleichen wahlweise kleinen Manager-Filofaxereien oder Merchandiseartikeln mit ausgeklügeltem Layout. Da gibt es welche mit farbig unterlegten Wochentagen, Lerntipps, Schülerwitzen, Ferienterminen, Stylingvorschlägen, Bastelseiten und kleinen Wissenshäppchen. Bei manchen passt eine ganze Schulwoche auf eine Seite, andere wiederum gönnen sich eine Doppelseite dafür. Manche Hefte geben das Datum vor, dafür sparen andere die Wochentage aus. Es gibt sie in rosa, schwarz-metallic und mit blinkenden Stickern. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich meine, ein Heft hätte sogar gepfiffen. Vielleicht war das auch nur das letzte Loch, auf dem ich mich erging. Wie unüberlegt auch von mir, an einem so extrem wichtigen Tag wie heute verschiedene Hausaufgaben aufzugeben. Hätte ich doch bloß für alle das gleiche Arbeitsblatt kopiert, dann hätte die ganze Sache ja so aussehen können:

27.10.14 o AB

Stattdessen notiert nun ein Viertel angestrengt  FleX unD Flo, ein weiteres Viertel FleX unD FloRa, das nächste Grüppchen AB, wahlweise in blau oder rot, und das allerletzte Viertel notiert … gar nichts, denn es fehlt natürlich trotz Elternbrief auch noch dem ein oder anderen an der passenden Ausstattung. Ich kontrolliere jeden einzelnen Eintrag, den Radiergummi in der Hand, ermutige oder berichtige, deute auf orange unterlegte Spalten, Zeilen und Kästchen bis jeder Datumseintrag an der dafür vorgesehenen Stelle landet. Dann, endlich, wird es wieder etwas ruhiger. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass uns dieser erste Eintrag schlappe 28 Minuten gekostet hat. Ja, so ist das mit dem Methodentraining – es braucht Zeit. Viel davon. Ich weiß nicht, wem ich am Ende der Stunde mehr Mut machen möchte, als ich den Erstklässlern versichere, dass wir jetzt jeden Tag schneller im Umgang mit dem Hausaufgabenheft würden, mir oder den Kindern. Zumindest sehen sie schon wieder reichlich vergnügt aus, als sie den Raum verlassen. Ich hingegen sinke völlig geschafft auf meinen Stuhl und bette den schmerzenden Kopf in die Hände. Da plötzlich fühle ich ein aufmunterndes Tätscheln irgendwo zwischen Schulter und Hals. Filiz hat ihren Bleistift vergessen.

„Na, Frau Weh, das ist auch für dich ganz schön anstrengend im 1. Schuljahr, oder? Aber macht nix, du sagst ja immer, alles wird gut! Du schaffst uns schon!“

Ist die Frage, wer da wen schafft.

Teachers leave them Kids alone

Abwechselnd The Clash und Pink Floyd im Ohr grübele ich seit ein paar Tagen über einen Leserkommentar nach, darin die leise Rüge, dass ich meine Klasse während des Unterrichts verlassen habe, und die Hoffnung, ich möge dies nicht regelmäßig tun.

Ich hätte dies gern ein wenig launisch und schmunzelnd mit einem schnellen Spruch abgetan, aber tatsächlich finde ich das Thema zu wichtig. Wie sieht es denn aus mit der Anwesenheit in deutschen Klassenzimmern?

Natürlich gibt es Gründe für ein Verlassen des Klassenraumes während des Unterrichts. Es gibt so Tage, da kommt man vor lauter Schulkram noch nicht einmal aufs Klo, geschweige denn in den Genuss eines Kaffees oder eines Gesprächs mit Menschen über 1,48 m. Im Gegensatz zu anderen Schulformen oder schlichtweg größeren Schulen haben meine Kolleginnen und ich nicht automatisch nach zwei oder drei Stunden Pause. Es sind Aufsichten zu führen, Kinder zu betreuen, Anrufe zu tätigen. An einem durchschnittlichen Konferenzmontag verbringe ich beispielsweise über 9 Stunden in der Schule ohne eine einzige richtige Pause. Klar kann ich in der Konferenz schnell etwas essen oder auch mal zur Toilette gehen, aber eine wirkliche Pause? Fehlanzeige.

Selbstverständlich lasse ich die Viertklässler nicht ständig allein – obwohl ich es (Vorsicht, reinstes Eigenlob!) mittlerweile könnte, sie sind gut eingenordet. Tatsächlich kommt es aber vor, dass ich ein Blatt im Unterricht nachkopiere, weil Sinans Meerschweinchen gefräßig oder Paulines kleine Brüder undicht waren. Auch flitze ich nach meiner Pausenaufsicht noch einmal schnell ins Lehrerzimmer, um in mein Fach zu sehen oder aktuelle Aushänge abzuzeichnen. In dieser Zeit lasse ich meine Klasse unbeaufsichtigt. Ja, da könnte natürlich etwas passieren. So wie fast überall und jederzeit.

Aber ich bin der Meinung, dass es dem Vertrauensverhältnis zwischen Klasse und Klassenlehrer durchaus zuträglich sein kann, wenn solche kurzen Momente möglich sind, ohne dass gleich die Hütte brennt. Wir reden hier über wenige Minuten, natürlich bleibe ich meiner Klasse nicht stundenlang fern, das versteht sich ja von selber.

Ganz nebenbei – und gedanklich völlig unsortiert – empfinde ich die Beaufsichtigungsdiskrepanz zwischen Kindergarten, Grundschule und weiterführender Schule als sehr groß. Zwei Beispiele aus Müttersicht:

  • Ich hole das Miniweh freitags früh ab. Auch wenn ich bereits gegen 12.15 Uhr im Kindergarten bin, so brauche ich doch geraume Zeit, es auf dem riesigen Kindergartengelände zu finden. Mal hockt es auf einem Baum, mal liegt es im Gebüsch, selten sitzt es im Sandkasten, aber oft in den Autoreifen hinter der Holzhütte. Klar sind da auch Erzieherinnen unterwegs, aber dem glücklichen Gesichtsausdruck des Miniwehs nach zu urteilen, tauchen sie eher selten im freien Spiel auf. Freiheit zu erfahren macht Kinder selbstständig und selbstbewusst. Freiheit zu erfahren bringt aber auch blaue Flecken und Splitter im Daumen mit sich. An allem wächst ein Kind.
  • Das größere Wehwehchen ist auf dem Gymnasium. Manchmal fällt Unterricht aus, nicht immer erscheinen die Lehrer pünktlich zum Unterricht in der Klasse. Es liegt zwangsläufig auch in der Eigenverantwortung der Kinder, wie sie damit umgehen. Das Wehwehchen für seinen Teil freut sich vermutlich über die gewonnenen Minuten, hält ein Schwätzchen mit seinen Nachbarn, brüllt präpubertären Blödsinn durch den Raum oder schludert schnell seine Hausaufgaben ins Heft.

Sowohl vor als auch nach der Grundschulzeit erfahren Kinder in ihrer jeweiligen Institution, wie es ist, unbeaufsichtigt zu sein. Ist eine permanente Aufsicht wirklich notwendig? Oder sollten wir entspannter damit umgehen? Ist eine dauerhafte Beaufsichtigung überhaupt realistisch?

Nein, ist sie nicht. Rechtlich ist die Aufsichtspflicht in der BASS (Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschiften) geregelt, darin heißt es u.a. „ständige Anwesenheit der Lehrkraft ist nicht in jedem Fall zwingend geboten.“ Wen es interessiert, hier eine kurze Übersicht mit entsprechendem Fallbeispiel.

 

Wie ist eure Meinung dazu als Lehrer(in), wie als Eltern? Wie handhabt ihr die eigene Aufsichtspflicht oder wie wünscht ihr euch sie für eure Kinder?

 

brain breaks

Damit auch die Viertklässler etwas von meiner Mottoaktion haben (und vielleicht ein wenig Winterspeck verlieren, holla, dieses Mal scheinen die Weihnachtsgeschenke in Esspapier eingewickelt gewesen zu sein!), baue ich diesen Monat vermehrt kleine Bewegungspausen ein. Während diese brain breaks im 1. und 2.Schuljahr zur unumgänglichen Tagesordnung gehören, lasse ich sie zugegeben bei den Größeren etwas schleifen. Gut ist das nicht, auch wenn ich viele Erklärungs- und Entschuldigungssätze parat habe (zu wenig Stunden, zu viel Stoff, zu viel von diesem, zu wenig von jenem). Aber das soll sich jetzt ändern. Warum soll ich auch alleine schwitzen – habe ich doch ein ganzes Gefolge wibbeliger Bewegungsakrobaten um mich herum.

Etwas unentschlossen habe ich gestern meine Mappe zu dem Thema durchgesehen, mich dann aber schlussendlich für ein Spiel der Wehwehchen entschieden: Mauseschlau & Bärenstark: fit und clever, das ich in leicht abgewandelter Form (eigentlich ist es eine Art Domino) mit der Klasse spiele. Auf 36 Spielkarten befinden sich verschiedene Aufgaben, die teils auf Bewegung, Geschicklichkeit, Körperkoordination, Kooperation, aber auch auf viel Spaß zielen. Es finden sich Aktionen wie diese darunter:

  • wie ein Motorrad mit Krach um den Tisch brausen
  • mit einem anderen ein Tänzchen machen
  • 3x mit dem linken Ellbogen zum rechten Knie und umgekehrt
  • die Zunge weit rausstrecken und aufrollen
  • einem anderen durch die Beine die Hand geben

Als die Viertklässler ihre Karte erhalten, sind sie bereits neugierig, aber nicht unbedingt motiviert.

„Pfüüüh, Frau Weh, schon WIEDER bewegen! Wir waren doch gerade erst in der Pause!“, beklagt sich Nino; eindeutig auch er ein Opfer kulturell bedingten, aber gut gemeinten Mammamiamästens.

„Stell dich nicht so an“, raunzt ihn Alisa an, wie immer zappelig und sofort auf den Beinen.

„Aber ich bin nicht fit im Schritt!“, jammert Nino weiter, sofort unterbrochen von Marc, „Was sagst du da, du Honk? Fit im Schritt meint das da…!“ Marc greift sich augenblicklich seine Familienplanung und beginnt rhythmisch zu schuckeln. „Ach ja“, schießt es mir durch den Kopf, als ich den durchaus überzeugenden Jacko-Imitator in die Schranken weise, „ich muss ja auch noch Sexualkunde beenden!“.

„Dann habe ich eben was am Becken!“, Nino erinnert sich an die in unserer erfolgreichen Knochen-Einheit gezeigten Röntgenbilder einer künstlichen Hüfte.

„Ja, wahrscheinlich zu viel Schokolade!“, lacht ihn der ebenfalls nicht mehr ganz so ranke Nick aus. Aber Nino nimmt es mit Humor, dreht seine Karte um und verfällt in dumpfes Brüten.

Wir spielen das Spiel im Kreis als Variante von „Kofferpacken“, das heißt jedes Kind wiederholt die vorherigen Aktionen möglichst ohne erinnert werden zu müssen. Nach kurzer Zeit johlen alle und machen jede Bewegung mit – Spielregeln haben ja auch immer etwas Dynamisches an sich. Dann ist Nino an der Reihe, lässt sich nieder und versucht schwitzend einen Fuß an die Nasenspitze zu führen. Alles kichert, alles giggelt. „Käse!“-Rufe werden laut und die Stimmung steigt ins Unermessliche. Erwähnte ich, dass der durchschnittliche Humor eines Viertklässlers exakt von hier bis… knapp drunter reicht? 5 Minuten später sitzen alle wieder an ihren Plätzen, ich reiße das Fenster auf, das ich vermutlich besser schon zu Beginn der Bewegungspause geöffnet hätte und notiere befriedigt (und nur ein klein wenig angeberisch) im Klassenbuch: Bewegungspause zur (Re-)Aktivierung von Gehirn und Körper erfolgreich durchgeführt.

Hmm… ob Chefin merkt, dass ich die kompletten Weihnachtsferien mit Herrn Weh und Dr. House Differentialdiagnosen durchgeführt habe?

Zuhören lernen

Prolog:

Aufgrund meines hohen Fachstundendeputats sehe ich die Viertklässler mit 10 Stunden viel zu wenig, um auch nur annähernd so zu unterrichten, wie ich es für richtig und sinnvoll halte. Nützt aber nix. Also schließe ich zähneknirschend Kompromisse mit mir selber, was unbedingt sein muss, und worauf ich eben verzichte. Nicht immer ist Chefin mit mir einer Meinung – muss der Montagskreis wirklich sein, Frau Weh? Im 4.Schuljahr noch?

Als ich heute den Schulhof betrete, um meine Klasse zu empfangen, nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Schmitti Marc in den Magen boxt. Beim Wechseln der Schuhe spricht Jonas Jens an, der sofort in Tränen ausbricht und sich zur Wand umdreht. Benedikt schubst Giuliano. Sinan kann keine Hausaufgaben vorlegen und Nick hat keine Entschuldigung für Freitag dabei. Wäre das nicht schon Grund genug sich zu ärgern? Ich winke sie in den Kreis.

Die Viertklässler greifen zu den Teppichfliesen, mit denen wir den Sitzkreis bilden. Es wird ruhig als Friederike den Erzählstein aus der Mitte nimmt und von ihrem Wochenende erzählt. Sie hatte ein Tennisturnier und den 2.Preis gemacht. Alle klatschen.

Jens spricht leise und stockend. Sein Vater ist in die Uniklinik eingewiesen worden. Er kann ihn nicht besuchen, denn Kinder unter 14 Jahren dürfen die Station nicht betreten. Jens erzählt, dass er nach der Schule zur Oma geht und dort über Nacht bleibt, seine Mutter fährt nach der Arbeit direkt in die Klinik. Er beginnt wieder zu weinen, mehrere Kinder trösten ihn. Andere bestärken ihn darin, Informationen einzufordern, schließlich habe er ein Recht darauf zu wissen, was los sei.

Alisa hat bei einer Freundin übernachtet, die heute aber krank ist. Sie erzählt, dass ihr der Hals weh tut und sie daher heute lieber nicht mitsingen möchte im Chor.

Benedikt berichtet, dass er am Wochenende mit Giuliano zum Wii-Spielen verabredet war und Giuliano einfach nicht gekommen sei. Giuliano entschuldigt sich damit, dass seine Patentante zu Besuch gekommen ist und beschwert sich gleichzeitig darüber, dass es nicht ok wäre, dass Benedikt ihn deswegen geschubst hätte. Benedikt grummelt und nuschelt etwas, das „tschulligung“ heißen könnte. Giuliano nimmt an.

Sinans junge Katze ist am Sonntag überfahren worden. Seine Mutter hat sich daraufhin heftig mit seinem Vater gestritten, weil er die Balkontür beim Rauchen aufgelassen hat. Sinan ist mit seinem kleinen Bruder auf den Spielplatz gegangen und erst bei Anbruch der Dunkelheit nach Hause zurückgekehrt.

Marc war am Wochenende wie so oft im Eurodisney in Paris. Die Viertklässler stöhnen unisono auf, als er damit zu prahlen beginnt. „Du bist ein blöder Angeber!“, bringt Schmitti hervor. „Und du bist ein Arsch, weil du mich geboxt hast und neidisch, weil deine Familie arm ist!“, gibt Marc zurück. Die Klassensprecher greifen ein und verweisen auf den Klassenrat. Beide Jungen schreiben eine Beschwerde und stecken die Zettel in den Klassenbriefkasten, damit ist das Thema für heute erledigt.

Bei Wehs gab es am Sonntag Crepes. Alle sind sich einig, dass das eine schöne Sache sei.

Nino erzählt, dass er am Freitag seine letzte Therapiestunde hatte, er werde es jetzt so versuchen, sich in der Schule und zu Hause besser zu benehmen. Sein Sitznachbar klopft ihm auf die Schulter, andere bestätigen, wie gut er sich mittlerweile verhalte.

Jeannette war am Wochenende im Schwimmbad und Katherine im Zoo.

Der kleine Grabowski berichtet stolz, dass seine Mutter gestern ein leckeres Essen gemacht habe und er sogar ein Frühstück mithabe. Sinan zeigt ihm den hochgestreckten Daumen.

Nick will nichts vom Wochenende erzählen und Schmitti hat sich gelangweilt.

Epilog:

Die folgenden Unterrichtsstunden verlaufen entspannt. Auch die Fachlehrer berichten in der nachmittäglichen Konferenz von einer guten Atmosphäre bei den Viertklässlern und harmonischem Arbeiten.