Methodentraining: Hausaufgabenheft

Montagmorgen bei den Erstklässlern. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen es tief in meinen Eingeweiden zu brodeln beginnt. Ich schließe kurz die Augen und atme ein.

Und atme aus.

Und atme ein.

Leider hilft alles nichts, das Chaos ist noch da. Nachdem die Erstklässler ihre Hausaufgaben in den Anfangswochen durch ein Häuschen auf der entsprechenden Seite kennzeichneten, haben sie letzte Woche damit begonnen, auf jedes Arbeitsblatt und jede Seite das Datum zu schreiben. Das war kein Problem und so dachte ich leichthin, es sei nun an der Zeit, die Hausaufgaben im dafür vorgesehenen Heft zu notieren. Soweit der Plan. In der Praxis hingegen stehe ich inmitten einer Schar aufgeregter Schulanfänger, die mir alle gleichzeitig ihr Heft unter die Nase halten wollen.

„Wo muss ich das Datum hinschreiben?“

„Ist das so richtig?“

„Ich habe gar kein Hausaufgabenheft!“

„Muss ich heute in die Betreuung?“

„Ich brauche gar kein Hausaufgabenheft, ich merk mir das immer so.“

„Ich hab hier das Datum auf die ganze Seite geschrieben. So, ja, so? Sosososo? Jetzt guck doch endlich!“

„Guck mal, Frau Weh, da ist Spiderman drauf. Voll cool!“

„Rosa mag ich gar nicht. Das hab ich der Mama auch gesagt. Da schreib ich nicht rein!“

„Was heißt Di? Und Mi? Ffffff-rrrrrr!?“

„Ich muss mal.“

„Ich auch!“

„Ich auch!“

Hier zeigt sich, dass ich – noch immer viertklässlerverwöhnt – die Schwierigkeit des Hausaufgabenhefteinführens unterschätzt habe. Hat hier jemand eigentlich eine Ahnung, wie viele verschiedene Ausführungen eines Hausaufgabenhefts es heutzutage gibt? Wir hatten früher ja so ein einfaches Vokabelheft. Da schrieb man das Datum rein, darunter die Aufgaben und fertig! Die Hefte der Erstklässlern gleichen wahlweise kleinen Manager-Filofaxereien oder Merchandiseartikeln mit ausgeklügeltem Layout. Da gibt es welche mit farbig unterlegten Wochentagen, Lerntipps, Schülerwitzen, Ferienterminen, Stylingvorschlägen, Bastelseiten und kleinen Wissenshäppchen. Bei manchen passt eine ganze Schulwoche auf eine Seite, andere wiederum gönnen sich eine Doppelseite dafür. Manche Hefte geben das Datum vor, dafür sparen andere die Wochentage aus. Es gibt sie in rosa, schwarz-metallic und mit blinkenden Stickern. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich meine, ein Heft hätte sogar gepfiffen. Vielleicht war das auch nur das letzte Loch, auf dem ich mich erging. Wie unüberlegt auch von mir, an einem so extrem wichtigen Tag wie heute verschiedene Hausaufgaben aufzugeben. Hätte ich doch bloß für alle das gleiche Arbeitsblatt kopiert, dann hätte die ganze Sache ja so aussehen können:

27.10.14 o AB

Stattdessen notiert nun ein Viertel angestrengt  FleX unD Flo, ein weiteres Viertel FleX unD FloRa, das nächste Grüppchen AB, wahlweise in blau oder rot, und das allerletzte Viertel notiert … gar nichts, denn es fehlt natürlich trotz Elternbrief auch noch dem ein oder anderen an der passenden Ausstattung. Ich kontrolliere jeden einzelnen Eintrag, den Radiergummi in der Hand, ermutige oder berichtige, deute auf orange unterlegte Spalten, Zeilen und Kästchen bis jeder Datumseintrag an der dafür vorgesehenen Stelle landet. Dann, endlich, wird es wieder etwas ruhiger. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass uns dieser erste Eintrag schlappe 28 Minuten gekostet hat. Ja, so ist das mit dem Methodentraining – es braucht Zeit. Viel davon. Ich weiß nicht, wem ich am Ende der Stunde mehr Mut machen möchte, als ich den Erstklässlern versichere, dass wir jetzt jeden Tag schneller im Umgang mit dem Hausaufgabenheft würden, mir oder den Kindern. Zumindest sehen sie schon wieder reichlich vergnügt aus, als sie den Raum verlassen. Ich hingegen sinke völlig geschafft auf meinen Stuhl und bette den schmerzenden Kopf in die Hände. Da plötzlich fühle ich ein aufmunterndes Tätscheln irgendwo zwischen Schulter und Hals. Filiz hat ihren Bleistift vergessen.

„Na, Frau Weh, das ist auch für dich ganz schön anstrengend im 1. Schuljahr, oder? Aber macht nix, du sagst ja immer, alles wird gut! Du schaffst uns schon!“

Ist die Frage, wer da wen schafft.

Ärger… Teil 2

Da sich die Kommentare angehäuft haben, mal in Ruhe zum Thema.

Eins vorneweg: ja, Schule ist für Eltern nicht einfach, da stimme ich zu. Und Hausaufgaben sind da noch einmal eine besondere Problemzone. Es gibt keine Hausaufgabe, die für alle Kinder einer Klasse gleichermaßen passt. Da müsste man sich schon totdifferenzieren in der Aufgabenstellung, was wir in der Grundschule ja oft genug auch tun. Dazu kommt dann die Schwierigkeit, dass man als Eltern oft nicht weiß, in welchem Maße Hilfe ok ist.

Aber auch in der Hilfs-Bereitschaft der Eltern gibt es eine enorme Bandbreite. In meiner Klasse reicht sie von MamaLennox, die ihrem Sohn auch eine Woche nach Schulbeginn kein einziges Heft besorgt hat und der Meinung ist, Hausaufgaben wären genau wie der schulische Rest völlig unwichtig, über die gestern erwähnte MamaTom1, die – so ihr Sohn heute – die Seiten für ihn geschrieben habe, „damit es schneller ginge“, bis hin zu MamaLaura, deren Tochter die Hausaufgaben grundsätzlich zweimal anfertigen muss. Ein Vorschreibexemplar und eine korrigierte Fassung, die dann den Weg in die Schule nimmt.

Ich ärgere mich über eine Aktion wie die gestrige, weil ich den Eltern von Anfang an deutlich sage, dass sie sich bei Hausaufgabenproblemen jeglicher Art (zu viel, zu wenig, zu schwierig, zu leicht, Kind heult/trödelt/bekommt Tobsuchtsanfälle/rennt ständig aufs Klo…) an mich wenden können und sollen, damit wir das gemeinsam angehen. In den meisten Fällen hat das Wort der Klassenlehrerin für ein Kind wesentlich mehr Gewicht als das der Mutter. Und oft könnte man sich die nachmittäglichen Kämpfe ersparen, wenn man sich nur überwinden und die Lehrerin mit ins Boot nehmen würde. Warum das manche Eltern nicht machen? Keine Ahnung.

Mir will nicht in den Kopf, dass es MamaTom1 so überhaupt nicht bewusst sein soll, dass sie ihrem Sohn kurz- und langfristig mit solchen Aktionen schadet. Und dass sie ihn durch ihre Handlung zum Lügen zwingt. Die gleiche Mutter, die während des Elternsprechtags schon in Tränen aufgelöst vor mir saß, weil ihr Sohn ihr zu Hause so oft die Unwahrheit sagt. Ja, wen wundert das? Wo und wie soll ein Siebenjähriger differenzieren, dass die eine Lüge in Ordnung ist und die andere nicht?

Würde man jetzt die Zeit aufrechnen, die mich Korrektur, schriftliche Reaktion und das vermutlich morgen anstehende Gespräch kosten, dann würde man schnell und zweifelsohne  feststellen, dass diese Zeit wohl anderweitig besser investiert wäre.

Vielleicht in der Vorbereitung des anstehenden Elternabends…

Ärger, du kannst mich nicht anschmier’n

Boah! Echt jetzt!

Ich korrigiere Schreibschriftlehrgänge. Und, ja, ich mache das gründlich. Gerade habe ich wütend das Exemplar von Tom1 in meine Tasche geknallt. Bei der ersten Seite, die eindeutig nicht von ihm geschrieben wurde, habe ich noch ausradiert und „jetzt mal Tom!“ an die Seite geschrieben. Bei der mittlerweile fünften Seite, die offensichtlich von seiner Mutter angefertigt wurde, fühle ich mich nur noch verarscht.

Was soll das?

Liebe MamaTom1, wenn Sie schon die Hausaufgaben für Ihr siebenjähriges Kind erledigen,

dann benutzen Sie doch wenigstens

die gleiche Schreibschrift!