Wie schreibt man… ?

Ich stehe unerschütterlich inmitten eines Wirbelsturms und verströme kraft meines Amtes Ruhe.

Zumindest beschwöre ich dieses Bild vor meinem inneren Auge, während um mich herum das Chaos, ach nein, die Erstklässler toben. Gerade habe ich die Anlauttabelle eingeführt und nun bin ich vor allem eins: zu wenig.

„Frau Weh! Wie schreibt man Flugdinosaurier?“

„Was ist am Anfang von Katze?“

„Und am Ende von Salami?“

„Wie heißt der Buchstabe hier?“

Die einen legen geradezu euphorisch mit ihren ersten Schreibversuchen los, indes die anderen verunsichert auf die bunten Bildchen schauen und darin keine Logik, geschweige denn einen Arbeitsauftrag erkennen. (Natürlich befindet sich auch jetzt wieder ein nicht geringer Teil meiner Klasse auf dem stillen Örtchen und ich kann es ihnen nicht verdenken, da wäre ich jetzt auch gerne. Ein. Stilles. Örtchen. Oh, süße Traumvorstellung!) Trotz anderslautender Vereinbarungen bin ich umringt von einer Traube Kinder, die mir wahlweise ihr Heft oder ihre Tabelle unter die Nase halten, an meinem Kleid zupfen oder mir schlicht den Popo tätscheln, was ich zwar bereits gestern deutlich untersagt hatte, aber offensichtlich nicht deutlich genug.) Die wenigen, die die Regel befolgen, sich still am Platz zu melden, nehme ich kaum wahr unter dem Ansturm der schreibwütigen Horden.

Heute ist der erste Tag, an dem ich selber wirklich nicht gut gefusselt bin. Am Vorabend fand der zweite Elternabend statt und obgleich ich gar nicht allzu spät ins Bett gekommen bin, rumorte der Abend nach und ließ mich noch lange wach liegen. Vielleicht sollte man Elternabende auf Samstagmorgende legen? Gerne um 7.30 Uhr, da bin ich voll da; ganz anders jedenfalls als um 21.00 Uhr. Da schaltet mein Körper auf Schlafmodus um. Jetzt jedenfalls liegt der Schlafmangel bleiern auf meinen Lidern und zum ersten Mal empfinde ich die Erstklässler als zu laut und pflaume ein paar von ihnen deswegen an. Was zugegeben grässlich ungerecht ist, denn erstens sind sie kein bisschen lauter als gestern und zweitens können sie ja nichts dafür, dass die Eltern von Mona und Lisa eine Grundsatzdiskussion zum Thema Hausaufgaben angezettelt haben. Dabei hat die Schule ein gut durchdachtes Hausaufgabenkonzept vorzuweisen und durch die offenen Lehrwerke können die Kinder tatsächlich gemäß ihrer Fähigkeiten, Stärken und Schwächen an den Hausaufgaben arbeiten. Und zwar 20 Minuten lang – so die Eltern sie denn lassen. Da gibt es Eltern, denen 20 Minuten absolut nicht ausreichend erscheinen und die ihr Kind zwingen, die Seite zu beenden, egal, wie lang es dauert. Wieder andere empfinden schon die kurze Zeit als zu anstrengend und hart, gerade, wenn ihr Kind keine hohe Anstrengungsbereitschaft zeigt. Glücklicherweise stellte sich am gestrigen Abend aber auch heraus, dass der Großteil der Eltern das zeitlich begrenzte Arbeiten als das betrachtet, was es ist: Eine gute Sache.

Doch länger kann ich nicht grübeln, Finja hält mir stolz einen Zettel unter die Nase. „Für dich, Frau Weh!“, sagt sie und strahlt.

HLO FRAuWE DISchULE IST SUPA DEINE FINJA ISch FNT NASNGUT

„Danke, Finja!“ Ich zögere einen Moment. „Du findest Nasen gut?“

„Nee“, antwortet das Mädchen entschieden und schüttelt die braunen Locken, „ich finde Katzen gut, aber ich wusste nicht, wie ich das schreiben soll.“

Brot und Spiele

„Das ist total unfair!“

Tom1 ist empört. Letzte Woche hat Lennox zweimal einen Vollkornzwieback von mir bekommen und gestern ein Hustenbonbon. Außerdem darf der Lennox immer länger dableiben und dann spielen. SPIELEN!!! Und er? Nie kriegt er was und überhaupt bevorzuge ich Lennox dauernd. Ach was, andauernd! Und das, wo der sich so benimmt!

Lennox motzt derweil laustark rum und ergeht sich in zahnlosen, aber durchaus kraftvollen Drohgebärden. In der 2.Stunde hat er seine Sachen vom Tisch gefegt und die restlichen 40 Minuten vor Wut zitternd an seinem Platz verbracht. Seine Sitznachbarn hatten ihn gefragt, ob denn endlich mal Zähne kämen. Nun sitzt er am Tisch, den bösen Blick auf mich geheftet, die Finger in den Ohren is mir doch alles egal! Frustrationstoleranz? Aggressionskontrolle? Mir doch egal! Scheißschule! Ich geh jetz nach Hause, Playsi spielen!

Manchmal könnte ich die Zweitklässler auf den Mond schießen. Und einige noch ein bisschen weiter weg…

Fakt ist, Lennox braucht Hilfe. Auf die eine, die andere und noch manch andere Weise. Ein bisschen fruchtet es ja schon, er lächelt häufiger, seine Wutausbrüche sind weniger geworden, manchmal macht er seine Hausaufgaben (oder wenigstens Teile davon). Er geht mittlerweile fast willig mit in die verschiedenen Förderstunden, die ich ihm verpasst habe (von wegen länger bleiben und spielen) und zu Weihnachten gab es tatsächlich neue Schuhe. Trotzdem fehlt es an so vielen Dingen. An Frühstück beispielsweise oder an Arztbesuchen bei hartnäckigem Husten. Aber das sehen die anderen Kinder nicht. Die sehen keine Zahn- und Wissenslücken, die sehen Zwieback und Bonbons und Spiele.

So wie ich – wider besseren Wissens, aber verdammt, ich bin auch nur ein Mensch! –  so häufig das ätzende kleine Wutpaket sehe, das sich in meinen Arm krallt, Scheißschule! brüllt und das ich gelegentlich am liebsten per Express in eine Förderschule abschieben würde*.

Wenigstens aber auf den Mond.

 

* (Tu ich aber nicht, mir doch (fast) egal!)

 

 

Mach mal Pause

Ein Schultag wie Kaugummi so zäh. Die Zweitklässler machen den Eindruck, als wären sie gestern zu spät ins und heute kaum aus dem Bett gekommen. Es ist so still in der Klasse, dass es fast irreal wirkt. Immerhin, sie haben die Augen offen und nur Tom1 legt den Kopf auf die Tischplatte. Er ist ihm zu schwer geworden.

Allein, was nützt es? Auch wenn man – gerade zwischen Herbst- und Weihnachtsferien – einen anderen Eindruck bekommen könnte, Grundschule besteht nicht nur aus einer Aneinanderreihung toller Events und spannender Sachunterrichtsreihen, zwischendurch muss auch mal Deutsch gemacht werden. Ich hänge sowieso im Deutschbuch total hinterher. Ich glaube, wenn wir mit Licht & Schatten durch sind (und der Kalender fertig ist…), dann mache ich mal eine ganze Woche lang nur Deutsch. Aber wahrscheinlich ist dann schon wieder Weihnachten. Dann verschieb ich es wohl auf das nächste Jahr. Aber die Zweitklässler wissen, was Nomen sind und dass man sie großschreibt. Den Adjektiven nähern wir uns vorsichtig und Verben können sie schon lange. Nach dem ABC sortieren geht – wenn auch mühsam sobald die ersten drei Buchstaben identisch sind – außerdem wissen sie um die Großschreibung von Satzanfängen. Lesen tun sie ganz passabel (auch wenn wir aus dem Lesebuch bisher lediglich drei Witze gelesen haben) und über Gänsefüßchen lachen sich noch alle kaputt. Im Großen und Ganzen bewegen wir uns also im Zeitplan.

Heute geht es um Wortfamilien. Das Buch benutzt den Wortstamm SPIEL als Vorlage. Etwas schleppend, aber leidlich motiviert sortieren die Zweitklässler die Wortbausteine zu verschiedenen Wörtern der Wortfamilie. Mitspieler, Spielplatz, Spielzeug, mitspielen. Alles kein Problem. Dann sollen sie eigene Mitglieder der Wortfamilie finden. Jetzt zeigt sich, dass Transferleistung nicht gerade die Spezialität meiner Klasse ist. Als hätte ich die Wunschzettel und nicht die Deutschhefte vor mir: Lego, Computer, Filly Fairy und Pause. Pause?

„Ja“, meint Leon „ich brauche jetzt Pause.“

„Was hat die Pause denn mit unserer Wortfamilie zu tun?“

Leon guckt mich an als könne er kaum glauben, wie dumm ich sei.

„Na, da geh ich spielen!“

Ärger, du kannst mich nicht anschmier’n

Boah! Echt jetzt!

Ich korrigiere Schreibschriftlehrgänge. Und, ja, ich mache das gründlich. Gerade habe ich wütend das Exemplar von Tom1 in meine Tasche geknallt. Bei der ersten Seite, die eindeutig nicht von ihm geschrieben wurde, habe ich noch ausradiert und „jetzt mal Tom!“ an die Seite geschrieben. Bei der mittlerweile fünften Seite, die offensichtlich von seiner Mutter angefertigt wurde, fühle ich mich nur noch verarscht.

Was soll das?

Liebe MamaTom1, wenn Sie schon die Hausaufgaben für Ihr siebenjähriges Kind erledigen,

dann benutzen Sie doch wenigstens

die gleiche Schreibschrift!