Liebe Eltern

Wenn Sie als Grundschullehrerin auf eine Party gehen (und ich kann Ihnen versichern, so häufig kommt das nicht vor, die Müdigkeit am Ende einer Woche kann überwältigende Formen annehmen!), dann hören Sie unter Garantie zwei Sätze:

Mit den Kleinen ist es aber doch noch nett!

und

So viel Ferien möchte ich auch einmal haben!

An Ihrem Schmunzeln sehe ich, dass auch unter Ihnen die ein oder der andere vor vier Jahren so gedacht haben mag. Selbstverständlich schätzen Sie die Situation mittlerweile deutlich realistischer ein!

Jedes einzelne Ihrer Kinder ist ein Geschenk! Im ersten Schuljahr fühlte sich dieses Geschenk aber vor allem nach … viel Arbeit an! (Aber Kompliment an Sie für die Bereitstellung, mir war wirklich keinen Tag langweilig!) Vielleicht liegt es auch an dieser Lebendigkeit, dass es mir vorkommt, als sei doch gerade erst die Einschulung gewesen, der Haustiertag, die Lesenacht, die Klassenfahrt. So viele Erlebnisse, so viele Momente, die ich mit Ihren Kindern geteilt habe. Das schafft eine Verbundenheit und eine tragfähige Basis für das, was noch kommt.

Ich möchte die Gelegenheit in diesem Rahmen nutzen, um Ihnen zu danken! Zu Beginn des ersten Schuljahres habe ich Sie um Vertrauen gebeten und Sie als Eltern wissen, dass es gar nicht so einfach ist, die Verantwortung für das, was einem am wichtigsten ist, jemandem zu übergeben, den man überhaupt nicht kennt. Sie haben mir aber nicht nur von Anfang an Ihr Vertrauen geschenkt, sondern darüber hinaus meine Arbeit mit Ihren Kindern mit Wohlwollen, Wertschätzung und Unterstützung begleitet. Danke dafür, ich habe mich darüber sehr gefreut! So wie es mir auch jeden Tag eine Freude war, Ihre Kinder ein Stück weit zu begleiten.

Natürlich waren Sie und ich nicht immer einer Meinung. Aber wie Sie alle wissen, darf man in einer guten Beziehung den anderen auch einmal doof finden. Das gehört dazu. Hauptsache ist doch, dass man am Ende sagen kann: Hey, das haben wir gut hinbekommen!

Und das ist es, womit ich meine kleine Ansprache nun auch beenden möchte:

Hey, das haben Sie und ich und natürlich ihr, meine Lieben, gut hinbekommen.

Danke!

Apfelzeit

Zum Geburtstag bekomme ich in der Regel von meiner Klasse einen Blumenstrauß. Zu Weihnachten gibt es ein Geschenk. Natürlich ein kleines oder eines, das dem Einsatz in der Schule dient. Alles andere verbietet sich ja (fast) von selbst. So weit, so gut. Dass nun die Zweitklässler vor mir stehen – mitten im Jahr und ohne erkennbaren Anlass – und zwischen sich einen Korb Äpfel balancieren, trifft mich unerwartet.

„In Amerika“, liest Luisa von einem Zettel ab, „schenken die Schüler ihrem Lehrer einen Apfel als Zeichen der Anerkennung und als Dank für die Arbeit.“ Sie schaut von ihrem Zettel auf. „Du hast ja auch manchmal Arbeit mit uns, sagt mein Papa.“ Sie überlegt. „Aber du sagst ja eigentlich immer, dass du nur Freude mit uns hast.“ Ihre Nase kräuselt sich nachdenklich. „Egal. Trotzdem haben wir alle einen Apfel mitgebracht für dich, damit du ganz gesund bleibst und froh. Hier!“ Die Zweitklässler stellen den Korb vor mir auf den Boden.

Ich schlucke ein bisschen. Und atme. Und so.

Weinst du jetzt etwa!?“, fragt Can und schüttelt fassungslos den Kopf. (Erwachsene!)

„Quatsch!“, raunze ich ihn an, „Das ist flüssige Freude.“

Lavendeltraumschaum

„Nein, du musst nicht weinen. Wir rufen gleich die Mama an!“

Schniefend steht Angelina auf dem Schulhof neben mir und hält Ausschau nach ihrer Mutter, die bereits zum zweiten Mal vergessen hat, ihre Tochter wie versprochen abzuholen. Nun ist es zwar eigentlich erstrebenswert, dass die Kinder ihren Schulweg eigenständig bewerkstelligen, allerdings sollten sie dazu den Weg auch kennen. Dies ist bei Angelina, obgleich sie drei Querstraßen weiter wohnt, nicht der Fall. Und überhaupt hat Mama ja auch gesagt, dass sie pünktlich auf dem Hof warten würde.

25 Minuten nach dem Telefonat erscheint die Mutter, um ihre Tochter aus meiner Obhut entgegen zu nehmen. Ich nutze die Gelegenheit, um kurz nachzuhören, wie es so läuft mit dem Start. Nebenbei erwähne ich, dass Angelina morgens sehr müde ist und kaum den Stift heben kann ohne zu gähnen. Insgesamt wirkt das Kind recht behäbig. Die Mutter – auf den ersten Blick ebenfalls kein besonderes Temperamentbündel – ist bass erstaunt, ist ihre Tochter doch schon sofort

nach der Geburt fröhlich herumgehüpft und seitdem nur schwer wieder zu beruhigen gewesen.

„Ja“, lenke ich ein, „der Schulanfang hat es in sich, da kann das munterste Mädchen schon mal müde werden.“ Ich denke an mein aktuelles Schlafbedürfnis und bin schon bereit, das Thema fallenzulassen. Nicht so die Mutter.

„Nee! Die und müde? Niemals!“, entgegnet sie ganz beflissen mich vom Gegenteil zu überzeugen. „Ich sach Ihnen mal was. Sie kennen doch bestimmt dieses Badezeug? Lavendeltraumschaum? Das, das die Kinder müde machen soll, wenn man sie abends reinsteckt.“ (Kenne ich. Was für ein Schwachsinn.)

„Man soll da ja immer nur eine Kappe von nehmen. Ich hab der als kleines Kind immer zweimal so viel da rein gemacht, damit die endlich mal die Knöppe zumacht.“

„Und“, frage ich, um einen neutralen Ton bemüht (immerhin hat sie nicht das Nuckeltuch in den Rotwein getunkt), „hat es geholfen?“

„Nee. Die hat da immer nur alles voll von so roten Pickelchen gekriegt.“

Pädagogische Inkontinenz

„Wissen Sie, Frau Rützelbach“, ich zwinge mich tief Luft zu holen, „diese Elternbriefe, die ich schreibe, sind tatsächlich nicht nur Kühlschrankdeko! Es wäre ganz sinnvoll, sie auch mal zu lesen!“

Mir platzt gerade die Hutschnur. Seit geraumer Zeit muss ich mich auf dem Flur von einer Mutter ganz besonderer Sorte ankeifen lassen, weil ich nach unendlich vielen erfolglosen Kontaktversuchen und unerhörten Bitten um Rückgabe eines Anmeldezettels nun Ernst mache und ihr Kind nicht mit auf den geplanten Ausflug nehme. Erst habe ich es mit Zuhören und ruhigem Erklären versucht. (Vergeblich.) Dann habe ich um Einsicht gebeten. (Fruchtlos.) Zu guter Letzt habe ich an ihre Verantwortung als Mutter appeliert. (Schwerer Fehler.) Wie ein angepikster Ballon braust Frau Rützelbach los und überhäuft mich seitdem mit Nettigkeiten, für die ich ihren Sohn dem Klassenrat überantworten würde.

Schon merke ich die verräterische Röte aus meinem Ausschnitt kriechen, die verlässlich den Siedepunkt des Blutes, den gesprächstaktisch so gefährlichen Point of no Return anzeigt, da mischt sich eine Kollegin ein: „Frau Weh, du musst mal dringend ans Telefon, das Schulamt.“

Ich blicke irritiert auf, gehe aber nach einem letzten Blick auf die impertinent weiterschimpfende Mutter ins Büro und nehme den Telefonhörer an mich. Nichts. Erregt will ich das Ding wieder auf die Gabel knallen, als ich höre, dass die Kollegin auf dem Flur die zuvor von mir attackierte Mutter zu beruhigen versucht. Unbeirrt hingegen versucht diese weiterhin die Welt über meine Frechheit, Arroganz und Unfähigkeit aufzuklären. Unterdessen betritt die weltbeste Sekretärin mit einem Stapel Kopien den Raum und lupft teilnahmsvoll die Brauen: „Schokolädchen, Mädchen?“

Ich nicke. Voller Mitgefühl hält sie mir einen Riegel hin. Gemeinsam kauend lauschen wir der Tirade, die in ungebremster Lautstärke und Vehemenz durch den Flur schallt, in der Lehrertoilette gegen die gekachelten Wände knallt und als verzerrtes Echo vermutlich noch im Nebengebäude zu hören ist. Soweit ist es also mit mir gekommen, dass ich mich im Sekretariat vor Eltern verstecke. Ich seufze tief.

Plötzlich halten die Sekretärin und ich im Kauen inne und reißen die Augen auf.

„Hat sie wirklich gerade gesagt, du seist pädagogisch inkontinent?“

Nach einer kurzen Schrecksekunde platzen wir beide heraus. „Wie geil ist das denn!?“, die Sekretärin verschluckt sich und ich muss ihr auf den Rücken klopfen. Lachtränen laufen ihr übers Gesicht und auch ich ringe um Fassung. Wie es draußen weitergeht, kann ich nicht mehr verfolgen, ich lehne mich an den Tresor und lasse mich von Lachen geschüttelt zu Boden sinken. Irgendwann kommt Frau Mandel grinsend ins Büro: „Ich habs geschafft, sie ist weg! Wo ist denn unsere nicht stubenreine Kollegin?“

Ich winke japsend hinterm Schreibtisch hervor und bedanke mich für die Rettung.

„Keine Ursache. Wir didaktischen Frauenleiden müssen doch zusammenhalten!“

Alltag

„Ich kann niemanden erreichen“ teilt mir die weltbeste Schulsekretärin mit „wir haben keine aktuelle Nummer vorliegen“. Ich quittiere die Information mit einem Schulterzucken. Es ist nicht das erste Mal, dass Maiks Familie den Telefonanbieter wechselt oder ihnen das Telefon gesperrt wird.

Wieder in der Klasse frage ich Maik, der unter einer Decke im Lesesessel hockt, seit wann Mama und Papa denn im Urlaub sind. „Seit Samstag. Wir haben alle geweint. Mama auch, aber dann sind sie doch gefahren. Sie brauchen ja ihren Urlaub wegen uns allen, weil das alles so anstrengend ist immer.“ Wer sich um ihn und seine fünf Geschwister jetzt kümmert möchte ich wissen. „Das macht die Oma, aber die schafft das nicht alles.“ Ich nicke ihm freundlich zu, mache einen Becher Tee fertig und erkläre, er könne noch eine Weile im Sessel bleiben bis es ihm wieder etwas besser gehe. Die Drittklässler machen verdutzte Gesichter. Sie mögen Maik nicht gerne. Seine Hausaufgaben macht er eigentlich nie, manchmal riecht er komisch. Er sagt seltsame Dinge und irgendwie ist er ihnen auch unsympathisch. Die Tatsache, dass die meisten seiner Geschwister auf eine andere Schule gehen, ist ihnen bekannt und auch, dass seine Eltern ihm regelmäßig sagen, er komme da bestimmt auch hin, weil er dumm sei. Aber dass es ihm gerade nicht gut geht, das merken sie und es tut ihnen irgendwie leid. „Möchtest du ein Stück Apfel?“ fragt Marc. Auch Schmitti beeilt sich und zieht einen Stapel Sammelkarten aus der Tasche. „Du kannst die Schildkröte mit Glitzer haben, die ist voll selten!“

Nach der Schule setze ich Maik ins Auto. Darf ich nicht. Ist mir egal. Er ist verwundert über den Anschnallmechanismus im Kindersitz. Das kennt er nicht. Ein paar Minuten später sind wir angekommen. Nach mehrmaligem Klingeln öffnet die Oma die Tür: „Ja! Was ist denn?“ Ich übergebe ihr Maik und verlange eine Telefonnummer. „Getz stellen Se sich nich an, Frollein! Gib et nich!“

Die männliche Supernanny, mein Freund vom Jugendamt, ist nicht weiter überrascht als ich später anrufe. „Ah, bei dir wollte ich mich die ganze Zeit schon melden. Ich habe noch keinen Termin mit Familie Maik ausmachen können. Da geht keiner ans Telefon.“

Ohne Worte

Nicht ungewöhnlich ist es, dass es einem Schüler im Laufe des Vormittages blümerant wird und daher die Eltern zwecks Abholung kontaktiert werden müssen.

Schon wesentlich seltener kommt es vor, dass die Erziehungsberechtigten nicht erreicht werden können, da sie sich gerade zwei Wochen ohne ihre Kinder im Urlaub befinden. Fuerteventura. Zur Erholung.

Interessant wird es, wenn die Eltern in einem solchen Falle versäumt haben, die Schule über ihre Abwesenheit zu informieren.

Aber wirklich noch nie habe ich erlebt, dass bei einer solchen Verkettung von Ereignissen gar keine Telefonnummer einer im Notfall zu benachrichtigenden Person hinterlegt wird.

Sie immer wieder überraschen können. Unbezahlbar.

Von faulen Säuen und noch mehr Speck

Der Ausflug war schön. Keine ungeplanten Vorkommnisse. Das Wetter hat auch einigermaßen mitgespielt, wobei die Zweitklässler und ich zunehmend klebriger wurden. Aber auch dafür gibt es ja Feuchttücher 😉

Der heutige Busfahrer hieß Lothar und war recht gemütlich. Selbst nach einer Stunde gesanglicher Beschallung vom Allerfeinsten (ich musste die letzte Musikstunde ausfallen lassen und hatte den Zweitklässlern leichtfertig versprochen, sie auf der Busfahrt nachzuholen) hatte er noch die Ruhe weg. Es singt sich übrigens immer noch ganz hervorragend in einem Bus, obgleich ich die alten Fahrtenlieder ja schmerzlich vermisse. Was ist schon Puck, die Stubenfliege gegen Bolles persönliches Pfingsterlebnis?

Von den drei Plastiktüten waren zwei in Gebrauch: Eine, die jetzt ein übriggebliebenes Handtuch beherbergt und eine weitere, die sich Justin um die blanke Körpermitte wickeln musste, um sich so notdürftig bedeckt auf die Suche nach seiner entschwundenen Unterhose zu begeben. Erst später stellte sich dann heraus, dass die Suche völlig umsonst war, denn das Objekt seiner Begierde befand sich zu keiner Zeit mit uns auf dem Ausflug, sondern über der Stuhllehne im heimischen Kinderzimmer. Den weiteren Ausflug brachte er dann nörgelnd und breitbeinig in Jeansshorts hinter sich. Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass ich ihm die Schmach hätte ersparen können, hätte ich nur vorgesorgt. Aber im Grunde genommen hatten alle anderen sehr viel Freude an seinem Gehüpfe. Das ist ja auch nicht zu verachten!

Natürlich gabs nicht nur Spiel und Spaß. Das Ganze braucht ja auch eine pädagogische Linie. Im grünen Klassenzimmer haben wir daher gelernt, dass Frischlinge nicht immer frisch und die sprichwörtliche Sau gar nicht so faul ist. Naja, wer’s glaubt.

Insgesamt ein schöner Tag und kein bisschen vergleichbar mit den Kopfschmerzen, die mir die Zootour vor einem Jahr bereitet hat. Merke, Kindern und Käse tut eine gewisse Reife gut!

Jetzt schnell unter die Dusche und dann später zum großen Elterntralala. Eure Vorschläge waren so super, nur ich war zu spät. Denn sie fanden sich bereits fast alle auf der Liste der Kolleginnen. Also werden es dann doch wieder Pflaumen im Speckmantel. Einfallslos, ich weiß. Aber ich bin auch so platt, dass jetzt nicht mehr drin ist. Und wage sich bloß einer zu beschweren! Dem piek ich dann mit einem Original Hema-Fähnchen dorthin, wo die Sonne nicht scheint.

Habt ein schönes Wochenende,

Frau Weh

Noch’n Schnittchen, Schneewittchen?

Nee, nee. manchmal habe ich einfach schlechtes Timing. Das ist mir heute in der Konferenz aufgefallen. Und zwar machen die Zweitklässler und ich am Freitag unseren Abschlussausflug. Klasse Sache, das! Ehemaliges BUGA-Gelände; ein Teil Naturerlebnispädagogik, zwei Teile Spielplatz = gutes Konzept und am Abend fallen alle müde ins Bett und schlafen gut. Auch Frau Weh.

Soweit die Planung.

Leider habe ich dabei ein winziges Detail übersehen: Den Eltern,wirdankenschön-Empfang. Diesen unglaublich wichtigen Bestandteil einer gut funktionierenden Lehrer-Eltern-Beziehung konnte ich noch nie leiden. Nein, versteht mich nicht falsch, Eltern wird generell viel zu wenig gedankt (ich spreche da aus Erfahrung), aber warum ausgerechnet wir das in solcher Form tun, erschließt sich mir nicht.

Wir müssen uns bedanken, findet Chefin. So als Schule. Mit selbstgemachten Schnittchen und Häppchen und Kannstmichmalchen. Für unzählige Dienstleistungen am Kind bei Projektwochen, Lesestunden, Sportfesten und all dem anderen Kram, der in meinen Augen sowieso viel zu hoch gehängt wird. Und damit sind wir wieder bei einem der Lieblingsthemen: Wieviel Eltern braucht Schule? Oder anders: Warum macht Schule nicht mal alleine?

Würden wir nicht jede popelige Veranstaltung zum Event stilisieren, müssten wir nicht mit schöner Regelmäßigkeit um Elternhilfe bitten, müsste die arme Frau Weh sich nicht nach stundenlangem Ausflug noch in die Küche stellen, während die Wehwehchen mit großen hungrigen Augen bettelnd daneben stehen. Hach, ein Teufelskreis. Leider finden Chefin und Schulpflegschaft so ein nettes Beisammensein zwischen Mettigel und Hackbällchen aber ganz großes Kino. Keine Chance, Frau Weh. Also brauche ich jetzt ganz dringend ein Rezept, das

a) schnell zu machen ist (Tüte auf und fertig wäre ideal!),

b) supertoll aussieht (selbstverständlich ist auch Supermom anwesend) und

c) möglichst preiswert ist*.

Hat jemand einen Tipp? Ich wäre dankbar!

* Nein, Rosinen gehen nicht.

Parkplatznot gleichbistetot

Es ist so: Manchen Kindern kann man einfach nicht zumuten, den weiten und gefährlichen Weg nach Hause zu Fuß zu bestreiten. 250m ruhige Nebenstraßen? Unmöglich!

Nein.

Falsch.

Nochmal: Manchen Müttern kann man einfach nicht zumuten, ihre Kinder den weiten und gefährlichen Weg nach Hause laufen zu lassen. Diese besondere Mutterspezies fährt ein großes (und ich meine ein richtig großes) Auto und hat in der Regel irgendwie präparierte Fingernägel.

Es sind diese Fingernägel, vor denen ich mich fürchte, wenn ich auf den überfüllten Lehrerparkplatz trete und die Mütter mit ihren großen Autos nicht nur meinen Abfahrtsweg (manchmal hat sogar Frau Weh es eilig aus der Schule zu kommen…), sondern auch die Feuerwehrzufahrt blockieren. „Ist ja nur ganz kurz!“ funkeln sie mich an und zeigen ihre beeindruckend langen Krallen. Da täuscht auch kein in freundlichem Pink gehaltenes Glitzerblümchen auf der acrylisierten Nagelplatte darüber hinweg, dass sie ihren asozialen illegalen Parkplatz notfalls mit eben jenen Nägeln bis aufs Blut verteidigen würden.

Da es sich um mein Blut handelt, bin ich oft feige.

Nicht aber heute!

„Sie wissen, dass Sie im absoluten Halteverbot stehen?“ frage ich die Erstklässlermutter, die ihren SUV gerade quer über Gehweg und Straße gewuchtet hat und nun über den Lehrerparkplatz hetzt.

„Was? Ja!“

„Prima“, sag ich, „und warum stehen Sie da noch?“

Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. „Weil ich den Jasper-Jannick abholen muss!“

„Prima“, sag ich wieder „und ich fahre in der Zwischenzeit einen anderen Erstklässler versehentlich tot, den ich hinter Ihrem Auto leider übersehen habe.“

Wir fixieren uns, die Nasen nur noch Zentimeter auseinander, MamaJasper-Jannick hebt die krallenbewehrten Hände, da…

„SCHÖNEN FEIERABEND, FRAU WEH“

…schiebt sich eine bis eben nicht annähernd genug geschätzte Mutter zwischen uns durch. MamaJasper-Jannick lässt die Hände sinken, schnaubt noch einmal durch die Nüstern und dreht abrupt um.

Boah, da hab ich aber Glück gehabt! Vielen Dank, Frau Feierabend!