Ein Leben ohne Supermom

So langsam dämmert es mir: Mit der Abgabe der Zweitklässler verliere ich nicht nur eine äußerst verhaltenskreative Lerngruppe, sondern auch die engagierteste Mutter aller Zeiten. Der Abschied rückt näher und näher und offensichtlich geht auch ihr das ans Herz. Wie sollte ich mir sonst die erstaunlich geringe Zahl an E-Mails und Mitteilungen im Hausaufgabenheft erklären? Es scheint fast, als übe sie sich bereits in Verzicht. Warmer Entzug sozusagen.

Oder liegt es vielleicht gar nicht an der sich langsam einschleichenden Traurigkeit und Wehmut, sondern daran, dass Supermom den anstehenden Lehrerwechsel als gar nicht so übel ansieht? Rückt die Gymnasialempfehlung für Mia-Sophie eventuell etwas näher, weil die resolute Frau Schmitz-Hahnenkamp die Klasse übernimmt und (endlich) auf Kurs bringt? Wie sonst sollte ich mir den Wortlaut dieser E-Mail im Klassenverteiler erklären?

„Liebe Eltern der Klasse 2c, wir feiern! Und zwar das Abschlussfest des 2.Schuljahres sowie den bevorstehenden Lehrerwechsel.“

Pffft, vielen Dank auch!

Cool durch Zufall

Panik, Panik, Panik! Es ist 6.52 Uhr, eigentlich habe ich vor 2 Minuten das Haus verlassen. Stattdessen ergebe ich mich einer morgendlichen Panikattacke vor dem Kleiderschrank. Was anziehen!? Zu Hülfe, Wilma! Doch auch die treue Seele kann mir nicht helfen bei dem Problem, vor dem ich stehe: showtime, baby, it’s daddy-day.

Wie bereits an anderer Stelle angemerkt, betreten Väter die Grundschulbühne in der Regel erst dann, wenn ihnen keine andere Möglichkeit alle Aufmerksamkeit sicher ist. Das ist meist dann der Fall, wenn es brennt. (Assoziationen zum Auftritt der Feuerwehrmänner sind gerade rein zufällig, ehrlich!)

Manchmal aber tauchen sie auch unvermittelt auf, weil sie es so nett, bzw. überaus interessant bei uns finden. Wie mittlerweile unterrichtet wird. Das sieht man ja sonst nicht. Und wenn Sie so freundlich sind, Frau Weh, dass ich irgendwann mal vorbeischauen könnte? Vielleicht am Freitag…? Paulines Vater hat sich also für heute angesagt. Nicht nur meine reizende Kollegin Frau Sommer argwöhnt hier eine kleine Schwärmerei. (Ich finde ja, das gehört sich nicht so richtig, also das Schwärmen für die Lehrerin des eigenen Kindes. Irgendwie nicht. Aber gut, was soll man da machen? Und da es nun wirklich schrecklichere Papas gibt als eben den von Pauline, soll er doch vorbei kommen. Ein bisschen Puder fürs Ego schadet ja auch nicht! Und – eingedenk der neulich zitierten Altersdiskriminierung – wer weiß schon, wie lange sich die Papas noch für mich interessieren. Die Zeit bleibt schließlich nicht stehen und irgendwann könnten das alles meine Kinder sein. Punkt.)

Zumal mir heute noch ein weiteres Treffen mit einem Erzeuger bevorsteht. Und das hat definitiv das Zeug zum ausgewachsenen Daddy-Desaster. Da brennt tatsächlich die Hütte. Aber mal sowas von. Dieses Gespräch findet dann auch mit der Schulleitung statt. Schriftliche Einladung. Es steht eine Klage ins Haus, wenn Chefin nicht einwilligt und sich – Zentimeter nur! – von ihrem Standpunkt entfernt. Inklusion mal wieder. Kein leichtes Geschäft mit der Bildung aller. Einzelheiten würden hier den Rahmen sprengen. Nur so viel: der heutige Tag schreit nach einem ausgewachsenen Kompetenzoutfit. Ich habe so eins. Maßgeschneidert. Bleistiftrock, anthrazit. Dazu schwarze Pumps, zurückgelegte Haare, fester Blick – tadaaaaa, Frau Weh kann auch kompetent. Total überzeugt habe ich mir dieses Outfit am gestrigen Abend herausgelegt. Und eben angezogen. Und jetzt geht gar nichts mehr.

Dummerweise – und hier kommt nun der dritte Mann, der eigene nämlich, ins Spiel – findet Herr Weh den Frau Weh kann auch kompetent-Look ziemlich sexy.

Verdammt!

Ich meine, für das Daddy-Desaster-Gespräch stellt das natürlich kein Problem dar. Wenn man wirklich auf Krawall aus ist, dann verstellt das zuverlässig den Blick auf die wahrlich schönen Seiten des Lebens. (Sogar auf die wahrlich schönen Kehrseiten.) Aber da ist ja noch PapaPauline. Der womöglich denken könnte, die wehsche Rückansicht hätte sich extra für ihn in den (str)engen Lehrerinnenlook gezwängt. Und das gilt es tunlichst zu vermeiden! Also raus aus den Plünnen und die ganze Chose noch einmal von vorn. Leidlich gestresst entscheide ich mich für knisternde weiße Baumwolle, dunkelblaue Jeans und schwarze Pumps. Ist ok. Und wenn nicht, auch egal, jetzt MUSS ich los!

(…)

PapaPauline war so aufgeregt, dass es schon fast wieder rührend war. Kurz vor dem wichtigen Termin musste ich mich auf der Lehrertoilette umziehen. Kleiner Zwischenfall mit Justin und seiner unbezwängbaren Apfelschorle. Ich bestritt das Gespräch in einem ausgewaschenen Fan-T-Shirt meines Lieblingsgitarristen Stoppok, das glücklicherweise tief unten in meinem Pult liegt. Für Notfälle. Es trägt die Aufschrift Cool durch Zufall. Die Gesprächsatmosphäre war gelassen, ruhig und nahezu harmonisch. Die Klage ist abgewendet und ich durfte mir ein Schulterklopfen von Chefin und einen festen Händedruck vom Desaster-Daddy abholen.

Danke, Stoppok!

Nicht nett, Frau Weh.

Nach den vielen Kommentaren der letzten Tage wollte ich heute ausschließlich nette Dinge über Eltern schreiben. Zum Beispiel, dass ich mich darüber gefreut habe, dass eine Mutter am Schulmorgen während einer Stillarbeitsphase hereinkam und sich ganz betreten für die Störung entschuldigt hat. Sie hätte gedacht, die Klasse sei leer. Oder darüber, dass sich die Mutter eines neuen Viertklässlers mit einer Mozartkugel dafür bedankt hat, dass ihrem Sohn der Musikunterricht jetzt so viel Spaß mache. Vielleicht auch über die positive E-Mail von Renés Mutter. Geplant war jedenfalls ein Beitrag voller Nettigkeiten.

Das nur vorneweg.

2.Stunde, Religion bei den Zweitklässlern. Arges Gewusel bis sich alle Schüler aus den verschiedenen Klassen bei uns einfinden. Religion wird klassenübergreifend unterrichtet, das ist nicht besonders schön, aber organisatorisch unumgänglich. Mitten ins Getümmel schiebt die Kollegin von nebenan ein Kind vor sich her. Gesichtsfarbe grün. Ich meine nicht etwa blässlich um die Nase, nein, das Kind ist pfefferminzgrün. „Sven ist es nicht gut, ich habe die Mutter angerufen. Das war wohl schon heute morgen so.“ Die Kollegin rollt die Augen. Ich nicke und lasse den Eimer bringen. Vorsichtig setzt Sven sich nieder, kleine Schweißtröpfchen stehen ihm auf der Stirn. Die Klassentüre lasse ich vorsorglich auf.

Wir nehmen im Sitzkreis Platz und beginnen: Stille, Kerze, Gebet, das Übliche. Eine kleine Landschaft wird auf dem Boden aufgebaut. See, Ufer, ein Ruderboot. Thema der heutigen Einheit ist die Begegnung mit dem Auferstandenen am See. Ich knüpfe an die letzte Stunde an: „Die Freunde vermissen Jesus. Sie wissen nun gar nicht so genau, was sie tun sollen. Sie sind traurig und fühlen sich allein.“ Die Kinder sind ruhig und abwartend. Einige haben die Augen geschlossen oder schauen auf das blaue Tuch, das den See Genezareth darstellen soll. Gute Atmosphäre, denke ich, als plötzlich KAWUMMS die bereits offene Klassentür in den Angeln erzittert.

„Mamaaaa!“ mit einer Mischung aus Hoffnung und Elend springt Sven vom Stuhl. Die liebevoll am See drapierten Playmobilbäumchen fallen um. Petrus geht über Bord und verheddert sich im Netz. MamaSven durchbohrt mich mit ihren Blicken an und faucht „Ich bin angerufen worden!“

„Ja“, entgegne ich möglichst ruhig, im Augenwinkel zwei Kinder, die sich darum balgen, wer nun Petrus wieder ins Boot setzen darf. „Sven geht es nicht gut.“

„Das war heute morgen auch schon so“, erwidert MamaSven als wäre das keine Entschuldigung, die sie für diese Störung akzeptiere und winkt ihrem Sohnemann unwirsch zu er solle mal voranmachen.

„Vielleicht bleibt Sven dann beim nächsten Mal lieber direkt zu Hause“, schlage ich semi-freundlich vor und nehme Yannis das Playmobilbäumchen aus der Hand, mit dem er gerade auf seinen Sitznachbarn einzustechen beginnt.

Giftige Blicke treffen mich. „Wir wollten es aber probieren!“ Ich schaue das grünlich-unglückliche Kerlchen an, denke, dass sicher nicht wir alle es versuchen wollten und frage mich, wen die umgehende Magen-Darm-Grippe jetzt wohl als nächstes ereilen wird. „Gute Besserung“ wünsche ich – nun wieder ganz professionell – und wende mich erneut dem derangierten Bodenbild zu. Kaum haben Sven und Mutter den Klassenraum verlassen (RUMMS), fliegt die Türe auch schon wieder auf, MamaSven noch einmal. „Wer ist denn hier in der Betreuung?“, sie wedelt wild mit einem Zettel herum. Mehrere Kinder melden sich. MamaSven verteilt den Zettel während sie lautstark Anweisungen an verschiedene Kinder ausgibt („Du, die Hausaufgaben! Du sagst beim Schwimmen Bescheid!“).

„Mama?“, tönt da ein dünnes Stimmchen vom Flur. „Gleich!“ MamaSven dreht sich noch einmal zu mir, hebt den Zeigefinger, setzt an, unterbricht sich, dreht ohne weitere Erklärung um und stampft wütig aus dem Raum.

„Schön“, denke ich, „dann kann es ja mal weitergehen“ und setze erneut zur Erzählung an. Diesmal lässt MamaSven die Türe offen, was praktisch ist, weil sie erneut zurückkehrt, um lautstark Ranzen und Turnbeutel einzufordern, die bereits seit Beginn der Stunde neben der Klassentüre bereitstehen. Bepackt poltert sie wieder aus der Klasse heraus. Die Zweitklässler, denen mittlerweile die biblische Szenerie nicht halb so spannend erscheint wie das Geschehen vor Ort, schauen MamaSven interessiert hinterher. Niemand zweifelt daran, dass da noch etwas kommt.

Und es kommt.

Unverkennbar ertönen Würgegeräusche vom Flur.

„Amelie“, sage ich zuckersüß, „würdest du bitte die Türe schließen?“

 

 

Mitmachaktion: 5 Dinge oder mehr*

Es gibt ja soviel, was man nicht weiß, wenn man zum ersten Mal Mutter wird. Niemand sagt einem zum Beispiel, dass es wahnsinnig anstrengend ist, wenn das Kind nicht durchschläft. Dass auch die Bäuerchen des eigenen Babys einfach nur fies stinken, wenn sie auf der Kleidung antrocknen. Oder dass der positive Schwangerschaftstest in der Hand bereits das erste Warnzeichen darstellt, dass man den Kampf gegen die Schwerkraft auf kurz oder lang verlieren wird. All dies weiß man nicht. Und noch so vieles mehr.

Ich hätte mir in verschiedenen Lebenslagen einen Kurzratgeber gewünscht. Zum Beispiel: Sie haben ein Spuckbaby? Lesen Sie hier, auf welche Stoffe Sie bei Ihrer Oberbekleidung jetzt besser verzichten! Oder – als Ratgeber für Herrn Weh – 10 überlebenswichtige Sätze, die Sie einer übermüdeten Mutter niemals sagen sollten. Auch für das Kindergartenalter wäre das nicht schlecht. Gerne hätte ich diesen hier gehabt: 10 Standartfloskeln, die man parat haben sollte, wenn man vor allen anderen Müttern von der Erzieherin angesprochen wird. Ohne Beleidigungen!

Und natürlich wäre so ein Ratgeber auch für die Grundschule sinnvoll. Ich schließe hiermit also eine Lücke. Frau Weh, die Botschafterin für ein friedliches Miteinander zwischen Lehrerinnen und anderen Menschen erklärt jetzt mal, wie das so ist:

  1. Kinder, die ihr Pausenbrot (oder das Actimel, die Milchschnitte, das Kinder Pingui) vergessen haben, sind nicht akut vom Hungertod bedroht. Es ist nicht notwendig in den Unterricht zu platzen, um die gut gefüllte Brotdose nachzubringen, das Kind mehrfach zu küssen und schnell noch ein paar Verabredungstermine mit anderen Kindern zu vereinbaren.
  2. Kinder, die ohne Sportzeug zum Sportuntericht kommen, kriegen einen Anraunzer und sitzen auf der Bank. Seelische Schäden resultieren hieraus nur sehr selten. Mit einem erbosten Anruf bei der Schulaufsicht erreicht man in der Regel nichts. Sich deswegen an die Presse zu wenden, ist… unnötig.
  3. Dreckige Kinder sind glückliche Kinder. Es gibt einen guten Grund, warum weiße Tüllröckchen niemals in die engere Auswahl für eine Schuluniform kämen. Auch Löcher in Kniehöhe und im Knie selber können während und nach einer Pause vorkommen, führen meistens in das Kämmerchen des Hausmeisters, aber nicht ins Grab.
  4. Einmalig vergessene oder nicht notierte Hausaufgaben sind niemals und unter keinen Umständen ein Grund bei der Klassenlehrerin anzurufen. Und wo man gerade schon mal am Telefon ist, …! Nein, das kommt nicht gut. Man könnte es stattdessen durchaus bei einem Klassenkameraden versuchen. Vielleicht hat der ja aufgepasst.
  5. Kinder – auch wenn sie unser elterlicher Augapfel, der Sinn unseres Seins und die Liebe unseres Lebens sind – sind manchmal Monster. Sie streiten. Sie stinken. Sie wären heiße Kandidaten für einen Flug ins All ohne Rückticket. Seien Sie entspannt, das ist normal. Und es geht auch wieder vorbei.

Was sind eure High Five der Dinge, die mal gesagt werden sollten? Was möchtet ihr Eltern vor, während oder auch nach der Einschulung so richtig gerne einmal rückmelden? Oder an die Eltern: was ist so typisch (Grund-)Schule, dass es schon weh tut? Wann würdet ihr die Grundschullehrerin eures Vertrauens gerne einmal fragen, ob sie das, was sie da tut, wirklich ernst meint?

Lasst mich teilhaben an euren Lieblingsszenarien schulischer Wonnen, ich freue mich auf Rückmeldungen… 🙂

*wegen denen man niemals bei einer Lehrerin anrufen sollte

Frühstücksgespräch

So oder ähnlich jeden Morgen bei Familie Weh:

Frau Weh (bereits im Arbeitsmodus) verteilt Abschiedsküsse, Aufträge und/oder letzte Ermahnungen an die Familienmitglieder.

Miniweh (bester Laune) sitzt im Hochstuhl und verteilt Marmelade: Mama Sule? Ja? Wieda? Is winte, ja? Mama, Tuss deben!*

mi.gro. Wehwehchen (müde und irgendwie missmutig): Wieviele Stunden hast du heute? Kommst du normal, Mama?

Herr Weh (abgeklärt und sinnierend): Die Mama kommt nie normal aus der Schule.

 

* Übersetzung für Leser ohne Kleinkinderfahrung: Mama, fährst du in die Schule? Ja? Schon wieder? Ich winke, ja? Mama, gib mir einen Kuss!

Dinge, auf die ich gut verzichten kann:

Konferenzen, die länger als zwei Stunden dauern zum Beispiel. Oder auch Magen-Darm-Grippe, ja, ohne die geht es mir viel besser. Ein kaputtes Auto ist ebenfalls so eine unschöne Sache oder Viertklässler, die sich während meiner Aufsicht die Nasen blutig hauen.

Heute richtig blöd (und fast ein Grund, dass auch ich mal jemandem kräftig auf die Nase hauen wollte) ist die Mutter, die ihren Sohn seit mittlerweile drei Jahren jeden Tag an der Klassentüre abholt, um ihm den Ranzen ins Auto zu tragen und die mir JEDESMAL wenn sie mich sieht einen SCHÖNEN FEIERABEND wünscht.

Ja, was denkt die sich denn? Dass ich tatsächlich um 13.30 Uhr fertig bin*?

Na toll!

*(Also nicht nur mit den Nerven… sondern so komplett.)

Die andere Seite

Familie Weh beim Samstagsfrühstück.

Das Miniweh klettert mit einem laut vernehmlichen „Mama, Arm!“ aus seinem Stuhl. Dabei kippt es seinen Becher (glücklicherweise mit Minerwalwasser und Strohhalm gefüllt) um. Herr Weh wischt routiniert mit dem bereitliegenden Tuch auf. Eine undefinierbare Mischung aus Krümeln, Klebematsch und Wasser verteilt sich über der Tischplatte. „Oh, Wassa da!“ empört sich das Miniweh und stapft mit den Füßen durch die Lache, die sich am Boden gebildet hat. Herr Weh schimpft, woraufhin das Miniweh fröhlich und Fußtapsen hinterlassend seinen Weg um den Tisch herum aufnimmt. Ich trinke Kaffee, streiche ein Honigbrot und denke laut über die Wochenendeinkäufe nach. Die Frage, ob wir Huhn oder Fisch zum Salat nehmen, ist noch nicht geklärt. Das mittelgroße Wehwehchen liest derweil hinterm Adventskranz versteckt die tägliche Kalendergeschichte vor und bedient sich der ihm und mir aus der täglichen Praxis gut bekannten Möglichkeit, im allgemeinen Aufruhr noch zu Beachtung zu gelangen: es erhebt die Stimme:

„Die kleine Elsbeth war ein glückliches Mädchen!“

Ich wäre ja für Hühnchen. Der Fischwagen ist schließlich freitags da und nicht samstag. Allerdings gab es gestern auch schon Geflügel. Das spräche mehr für Fisch.

„Sie lebte in einer großen Wohnung und hatte ein kleines Zimmer ganz für sich allein!!“

Das Miniweh erklettert meinen Schoß, patscht mir glucksend seine Marmeladenfingerchen ins Gesicht „Mama, Mini, Kuss!“ und presst sein Gesichtchen in das Honigbrot, das ich gerade zum Mund führen wollte. Hühnchen, wir bleiben bei Hühnchen. Mit einem beleidigten määääauhi springt die Familienkatze (flohfrei!) auf Herrn Wehs Schoß, der sie mit einem lauten „Verdammt, Herr Schmidt!“ herunterwirft. Dabei stößt er an den Tisch. Die Kerzen auf dem Adventskranz flackern.

„Außerdem hatte sie ein kleines Fräulein, das sich nur um sie kümmerte!!!“

So ein kleines Fräulein wäre schon nett. Wir hatten mal eine Putzfrau. Das waren goldene Zeiten. Zumindest bis die ganze Bande dann wieder zu Hause eintrudelte und alles in den Ursprungszustand versetzte.

Herr Weh seufzt. „Wie hältst du das eigentlich aus?“

„Wieso?“, ich wische gerade Grabbel und Honig vom Miniweh und denke an den Wahnsinn, der manchmal die Zweiklässlerbande erfasst, „ist doch alles ganz entspannt hier.“

Disziplinarmaßnahmen

„Können Sie mir das erklären?“

Hilfesuchend wendet sich Renés Mutter an mich. Sie hält einen gelben Zettel in der Hand. Ich muss kurz meine Synapsen aktivieren. Die sechste Stunde ist gerade vorbei und ich suche in meinem Gehirn nach einer Stelle, an der die Information René-Mutter-Problem andocken könnte. War da was? Was war denn da? Aaaaahja… ich musste mal wieder zwei Stunden zum Sprachtest in den Kindergarten währenddessen meine Klasse verteilt war. Kollegin Müller, die unter anderem René und Tom1 zugeschoben bekam, beschwerte sich in der kleinen Pause bei mir über das Verhalten der beiden.

„Gar nicht stillsitzen konnten die. Keinen Moment. Da waren meine Erstklässler ja weniger wuselig! Ich habe den beiden einen Regelzettel mitgegeben.“

Ja nun, wir wissen alle, dass das stumpfe Abschreiben von Regeln nur ein Ausdruck pädagogischer Hilflosigkeit ist. Eine Verhaltensänderung zieht das jedenfalls nicht nach sich. Dennoch gebe ich auch wennsdenngarnichtandersgeht als Sofortmaßnahme schonmal den Auftrag, über das soeben gezeigte Verhalten zu reflektieren. (Schriftlich. Mit Unterschrift der Eltern. Ich werde ja als Mutter auch ganz gerne darüber informiert, wenn der Nachwuchs sich daneben benimmt.) Und manchen Schülern gelingt sogar zum Thema „Was sind die Auswirkungen andauernden Pfeifens während des Religionsunterrichtes?“ ein literarisches Kleinod. Und überhaupt schreiben die Kinder heute zu wenig. Training tut also Not. Immerhin – und da sind wir uns im Kollegium ja auch alle einig – lassen wir keine stupiden Sätze abschreiben, sondern bauen auf die drei Stützpfeiler moralischen Handelns Erkenntnis, Einsicht und Verhaltensänderung.

Ich erkläre der Mutter, die ich übrigens für ihren realistischen Blick auf die eigene Brut sehr schätze, also die Situation. Sie sei, sagt sie, erleichtert darüber, dass die Versetzung nicht gefährdert sei. René habe so geweint als er nach Hause kam. Ich bin irritiert, blicke auf den verwarngelben Zettel und lese 20x

Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen!

Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen!

Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen!

Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen!

Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen! Ich bleibe sitzen!

 

Oha…

 

Licht und Schatten

Die zweite Einheit Licht und Schatten bei den Zweitklässlern. Heute wird experimentiert. Alle sind aufgeregt und wuselig. Taschenlampen in allen Formen und Größen werden präsentiert. Ich habe verschiedene Materialien vorbereitet, die die Kinder in Gruppen auf ihre Lichtdurchlässigkeit überprüfen sollen. Aber vorher sollen sie Vermutungen anstellen. Viele wissen nicht, was Leder ist, einige haben noch nie in ihrem Leben Alufolie gesehen. Hmm, Zweifel sind angebracht.

Dementsprechend abenteuerlich sind dann auch die Vermutungen. Einige Ahs und Ohs sind zu hören, als die Kleingruppen im abgedunkelten Klassenraum die Materialien testen. Lustig wird es, als sich die Kinder in Nase und Mund leuchten. Halloween lässt grüßen. Ich hab auch was gelernt, beim nächsten Mal gestalte ich die Arbeitsblätter anders. Der Unterschied zwischen den Spalten Das vermute ich und Das habe ich herausgefunden muss optisch deutlicher sein. Einige Kinder finden sich nicht zurecht und kreuzen wild durcheinander an. Ansonsten war es ok. Vor und nach den Versuchen jeweils eine Kreisphase, die sehr strukturiert und diszipliniert abläuft. Man merkt, dass es den Zweitklässlern Spaß macht. Außerdem zahlt sich nun aus, dass wir regelmäßig im Kreis arbeiten. Den können sie jetzt richtig gut. Ich kann mich komplett aus dem Unterrichtsgespräch ausklinken, die Meldekette funktioniert, die Gesprächsregeln sitzen. Schön.

In der zweiten Runde geht es dann darum herauszufinden, wie sich der Schatten verändert, wenn die Entfernung zur Lichtquelle variiert. Hier kommen dann auch die Schattenfiguren erstmalig zum Einsatz. (Der Drache bekommt kurzen Szenenapplaus. Besonders als er mit Scheinwerfer an die Wand geworfen wird. Und die Zweitklässler kennen die Dinosaurierfiguren noch gar nicht…)

So viel zum Licht. Schatten gab es allerdings auch. Hausbesuch bei Lennox. Da will ich auch gar nichts zu schreiben, war heftig.

 

Böh

Ich habe mich bei Dimitri Tschaikowsky angesteckt. Mein Bauch blubbert in ätz-Moll, mir ist kalt und irgendwie gar nicht gut. Eindeutig die cholerische Seuche aus dem Ural. Dafür habe ich mich tagsüber noch wacker gehalten, Vertretungsunterricht in der 6.Stunde mit zwei Klassen gleichzeitig gemacht (die reinste Freude), den ersten Teil des Elternsprechtags abgeleistet (noch mehr Freude) und eine E-Mail von Supermom bekommen („Ich erwäge Mia-Sophie wenn es soweit ist an einem Gymnasium mit Ballettklasse anzumelden. Sie ist ja so sportlich! Selbstverständlich werden nur die Kinder in die Ballettklasse aufgenommen, die herausragende schulische Leistungen zeigen!“). Freude schöner Götterfunken, ist das eine Drohung? (Mia-Sophie ist leistungsmäßig satt im Dreierbereich anzusiedeln. Aber das kann ja noch werden…)

Danach habe ich mich bei Herrn Weh krankgemeldet und bin mit der Wärmflasche auf dem schmerzenden Bauch ins Bett gegangen. Jetzt versuche ich nicht daran zu denken, dass zwei andere Kolleginnen viel kränker sind als ich und ich deswegen auf gar keinen Fall morgen fehlen kann.