Nach den vielen Kommentaren der letzten Tage wollte ich heute ausschließlich nette Dinge über Eltern schreiben. Zum Beispiel, dass ich mich darüber gefreut habe, dass eine Mutter am Schulmorgen während einer Stillarbeitsphase hereinkam und sich ganz betreten für die Störung entschuldigt hat. Sie hätte gedacht, die Klasse sei leer. Oder darüber, dass sich die Mutter eines neuen Viertklässlers mit einer Mozartkugel dafür bedankt hat, dass ihrem Sohn der Musikunterricht jetzt so viel Spaß mache. Vielleicht auch über die positive E-Mail von Renés Mutter. Geplant war jedenfalls ein Beitrag voller Nettigkeiten.
Das nur vorneweg.
2.Stunde, Religion bei den Zweitklässlern. Arges Gewusel bis sich alle Schüler aus den verschiedenen Klassen bei uns einfinden. Religion wird klassenübergreifend unterrichtet, das ist nicht besonders schön, aber organisatorisch unumgänglich. Mitten ins Getümmel schiebt die Kollegin von nebenan ein Kind vor sich her. Gesichtsfarbe grün. Ich meine nicht etwa blässlich um die Nase, nein, das Kind ist pfefferminzgrün. „Sven ist es nicht gut, ich habe die Mutter angerufen. Das war wohl schon heute morgen so.“ Die Kollegin rollt die Augen. Ich nicke und lasse den Eimer bringen. Vorsichtig setzt Sven sich nieder, kleine Schweißtröpfchen stehen ihm auf der Stirn. Die Klassentüre lasse ich vorsorglich auf.
Wir nehmen im Sitzkreis Platz und beginnen: Stille, Kerze, Gebet, das Übliche. Eine kleine Landschaft wird auf dem Boden aufgebaut. See, Ufer, ein Ruderboot. Thema der heutigen Einheit ist die Begegnung mit dem Auferstandenen am See. Ich knüpfe an die letzte Stunde an: „Die Freunde vermissen Jesus. Sie wissen nun gar nicht so genau, was sie tun sollen. Sie sind traurig und fühlen sich allein.“ Die Kinder sind ruhig und abwartend. Einige haben die Augen geschlossen oder schauen auf das blaue Tuch, das den See Genezareth darstellen soll. Gute Atmosphäre, denke ich, als plötzlich KAWUMMS die bereits offene Klassentür in den Angeln erzittert.
„Mamaaaa!“ mit einer Mischung aus Hoffnung und Elend springt Sven vom Stuhl. Die liebevoll am See drapierten Playmobilbäumchen fallen um. Petrus geht über Bord und verheddert sich im Netz. MamaSven durchbohrt mich mit ihren Blicken an und faucht „Ich bin angerufen worden!“
„Ja“, entgegne ich möglichst ruhig, im Augenwinkel zwei Kinder, die sich darum balgen, wer nun Petrus wieder ins Boot setzen darf. „Sven geht es nicht gut.“
„Das war heute morgen auch schon so“, erwidert MamaSven als wäre das keine Entschuldigung, die sie für diese Störung akzeptiere und winkt ihrem Sohnemann unwirsch zu er solle mal voranmachen.
„Vielleicht bleibt Sven dann beim nächsten Mal lieber direkt zu Hause“, schlage ich semi-freundlich vor und nehme Yannis das Playmobilbäumchen aus der Hand, mit dem er gerade auf seinen Sitznachbarn einzustechen beginnt.
Giftige Blicke treffen mich. „Wir wollten es aber probieren!“ Ich schaue das grünlich-unglückliche Kerlchen an, denke, dass sicher nicht wir alle es versuchen wollten und frage mich, wen die umgehende Magen-Darm-Grippe jetzt wohl als nächstes ereilen wird. „Gute Besserung“ wünsche ich – nun wieder ganz professionell – und wende mich erneut dem derangierten Bodenbild zu. Kaum haben Sven und Mutter den Klassenraum verlassen (RUMMS), fliegt die Türe auch schon wieder auf, MamaSven noch einmal. „Wer ist denn hier in der Betreuung?“, sie wedelt wild mit einem Zettel herum. Mehrere Kinder melden sich. MamaSven verteilt den Zettel während sie lautstark Anweisungen an verschiedene Kinder ausgibt („Du, die Hausaufgaben! Du sagst beim Schwimmen Bescheid!“).
„Mama?“, tönt da ein dünnes Stimmchen vom Flur. „Gleich!“ MamaSven dreht sich noch einmal zu mir, hebt den Zeigefinger, setzt an, unterbricht sich, dreht ohne weitere Erklärung um und stampft wütig aus dem Raum.
„Schön“, denke ich, „dann kann es ja mal weitergehen“ und setze erneut zur Erzählung an. Diesmal lässt MamaSven die Türe offen, was praktisch ist, weil sie erneut zurückkehrt, um lautstark Ranzen und Turnbeutel einzufordern, die bereits seit Beginn der Stunde neben der Klassentüre bereitstehen. Bepackt poltert sie wieder aus der Klasse heraus. Die Zweitklässler, denen mittlerweile die biblische Szenerie nicht halb so spannend erscheint wie das Geschehen vor Ort, schauen MamaSven interessiert hinterher. Niemand zweifelt daran, dass da noch etwas kommt.
Und es kommt.
Unverkennbar ertönen Würgegeräusche vom Flur.
„Amelie“, sage ich zuckersüß, „würdest du bitte die Türe schließen?“