Alles auf Null

… alles neu, alles andere ist vorbei. Es wird gut, es wird groß, es wird gold.

Anna Depenbusch motivierend im Ohr beende ich die Renovierungsarbeiten im neuen/alten Blog und hoffe, dass der Umzug glatt über die Bühne geht. Eigentlich sollte alles (fast) so aussehen wie bisher und auch so funktionieren. Insgesamt habe ich die Oberfläche ein wenig gestrafft, die meisten Bilder entfernt und die Vielzahl an Artikeln etwas ausgedünnt. Ein paar Dinge laufen noch nicht ganz so, wie sie sollen, aber ich bleibe dran. Neu ist der riesengroße Bereich zum Thema Datenschutz. Was für euch als Leserinnen und Leser wichtig ist, ist die Tatsache, dass WordPress einige Informationen speichert, wenn ihr die Seite aufruft, kommentiert oder euch anmeldet, um per Email auf neue Beiträge hingewiesen zu werden. Natürlich fange ich mit diesen Daten (z.B. Email- und IP-Adressen, selbstgewählter Nutzername, Zeitpunkt eures Beitrags etc.) nichts weiter an. Wofür auch? Aber der Schutz eigener Daten ist definitiv wichtig und da sind wir nun.

Aber genug davon, hier ist die wichtigste Frage: seid ihr mitgekommen? Dann gebt doch bitte kurz Laut! Denn an diesem Ort sind wir ja derart privatissime, dass eine kurze Vorstellung doch ganz nett wäre.

Ich fang dann mal an:

Hallo, ich bin die Frau Weh. Schön, dass ihr (wieder) dabei seid! 🙂

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Flashmob, Teil 1

„Ihr seid wirklich ziemlich langweilig geworden!“, meine ich mit einem nicht unzufriedenen Seufzer, während ich die seit einer geraumen Weile still vor sich hinarbeitenden Viertklässler beobachte. Gestern, ja, da hatte ich zwei Stunden Vertretung im ersten Schuljahr, da ging noch was, da flogen Emotionen und Hausschuhe durch den Raum! Aber hier? Hach, sie werden einfach so schnell groß!

Erwartungsgemäß empört sich die Klasse umgehend (Das ist allein Ihre Schuld, Frau Weh! Sie sind auch nicht mehr so spannend, Frau Weh! Da sehen Sie, was Sie aus uns gemacht haben!), was mich durchaus freut, regt es doch eine sofortige Diskussion darüber an, was getan werden könne (nein, müsse!), um diesen unhaltbaren Zustand zu ändern. Ich mag sie ja sehr, diese Klasse. (Natürlich mag ich jede meiner Klassen. Anders wäre ja auch schön dumm, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt!) Aber diese Kinder hier haben genau die richtige Mischung aus Intelligenz* und Humor**, die ich so schätze.

Sehr selbstreflektiert*** für ihr Alter stellen sie nun fest, dass meine Aussage unverschämt gewesen sei, weswegen ich mich am kommenden Freitag auch im Klassenrat zu verantworten habe, aber dennoch ein Fünkchen Wahrheit enthalte. Sie wären nun halt die Großen, das brächte eine immense Verantwortung mit sich. Vorbild zu sein koste schließlich Kraft und Würde. Dennoch könnte man eventuell ein wenig Leben in die Bude bringen, damit die Kleinen sehen, dass Älterwerden nicht bedeutet, keinen Spaß mehr zu haben. Verschiedene Möglichkeiten fliegen durch den Raum, die meisten undurchführbar bis rahmensprengend, aber ganz ohne mein Zutun (ich habe 5 Minuten Redeverbot auferlegt bekommen, respektslosigkeitsbedingte Sofortmaßnahme genehmigt durch den Schnellausschuss der Klasse) kristallisiert sich die Idee eines Flashmobs heraus. Das wäre es doch! Sowas ist cool, außerdem könne man es filmen und ins Internet setzen, da sähen dann ALLE, dass unsere Klasse die beste überhaupt wäre. Ich darf wieder mitreden und teile meine Bedenken bezüglich der Filmerei mit. Die Flashmobidee aber finde ich gut und gebe als Hausaufgabe auf, den Plan zu konkretisieren.

„W-Fragen beantworten, Kinder! Werwaswannwowie!“, rufe ich ihnen noch hinterher, als sie ihre Sachen packen und aus dem Raum stürmen.

„Ist klar, Frau Weh!“, ranzt mich Can über die Schulter an. „Erst beleidigen und dann noch meinen, Weh-Fragen stellen zu dürfen, ist klar!“

Ich mag sie ja wirklich! 🙂

*Ergebnis harter Arbeit.

**Ergebnis noch härterer Arbeit.

***Ergebnis … ihr wisst schon.

bröckelnde Bollwerke

Die jüngst angelesene erzieherische Leichtigkeit im Ohr reagiere ich an diesem Morgen annähernd vorbildlich, als mir das große Wehwehchen beim Frühstück mitteilt, es benötige seit Montag 12,- Euro Papiergeld im mit Namen versehenen Briefumschlag, einen leeren Schuhkarton für den Kunstunterricht und übrigens würde die Klasse heute einen Englischtest schreiben. Ich rege mich fast nur ein biss gar nicht auf, sondern wünsche ihm viel Glück und staune freue mich ansonsten einfach über das Wunderwerk des pubertierenden Gehirns, welches bereits vor 7.00 Uhr morgens in der Lage ist, wichtige Informationen abzurufen, wenn auch ein paar Tage später. Mein Sohn hat also immerhin kein Spatzenhirn, sondern das einer Lerche. Stellt euch meine Erleichterung vor!

Als kurz darauf das Miniweh mit verschwitzter und verfilzter Haarpracht (Fünfjährige haben mitunter des Nachts wahre Schlachten zu schlagen) an den Tisch stürmt und kräht, dass sich die Familienkatze auf den Badezimmerteppich erbrochen habe (es bediente sich für die Aussage einer anderen Wortwahl, aber immerhin ist das hier mein virtuelles Wohnzimmer, da sprechen wir anständig), lächle ich milde und gehe wischen.

Erste Kratzer erhält die liebevoll-gelassene Glasur meiner Mütterlichkeit am Nachmittag, als ich mit dem Miniweh, welches (natürlich!) über Nacht aus all seinen Pullovern herausgewachsen ist, im Kaufhaus unterwegs bin. Den entzückten Nachwuchs an einem Tisch voller Schneekugeln parkend, greife ich 3 Meter weiter nach den einzigen beiden Pullovern in Größe 116, deren Anblick keinen direkten Augenschaden hervorruft, da gänzlich ohne Neonfarben, Superhelden oder Glitzerpartikel auskommend. Ich drehe mich nach Schneegestöber und Miniweh um und … kein Miniweh mehr da. Ein kurzer, aber umso heftigerer Adrenalinstoß strömt durch meinen Körper, Muskeln spannen sich an, Sinne schärfen sich, meine Atmungsfrequenz nimmt zu. Scheiße, Kind weg! Hektisch fährt mein Kopf links herum und rechts herum.
„MINIWEH! MIIIIINIIIIWEEEEH!!! HIER SPRICHT DEINE MUTTER. KOMM SOFORT ZURÜCK!“

Erste mitleidige Blicke treffen mich, erste Schweißtropfen bilden sich, wo ist das Kind!? Ich irre herum, die Haare wirr, der Blick fahrig. Outdoorjacken, Strumpfhosen, Unser Herbstangebot (lassen Sie es sich nicht entgehen!), erste Weihnachtsmänner, Mützen, Handschuhe, Schals, mittendrin eine schwitzende Mutter, zwei Pullover Größe 116 im Arm. Ich bleibe vor einem Tisch mit unsagbar hässlichen Leggings stehen und rufe erneut nach dem absenten Ehesegen, als eine Verkäuferin mit bedeutungsvoller Geste unter den Tisch deutet.

„Miniweh?“, zische ich, worauf mir als Antwort glockenhelles Gekichere entgegenperlt. Ich schließe kurz die Augen, danke stumm dem Himmel in Form der aufmerksamen Verkäuferin und ziehe den Nachwuchs mit einem energischen Wuschsch unterm Angebotstisch hervor.

„ICH habe DICH die ganze Zeit gesehen! Also deine Füße.“, eröffnet mir das Miniweh und schiebt prophylaktisch die Unterlippe vor. Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. „Jetzt pass mal gut auf! … (Der nun folgende Abschnitt wurde drastisch zensiert, da das darin beschriebene Verhalten der überforderten Mutter dem Ehrenkodex gelassener Elternschaft nicht nur nicht gerecht wurde, sondern aufgrund der darin vorkommenden Begrifflichkeiten nahezu einer Verhohnepiepelung desselben gleichkam, Anm. d. A.)                                                                                  

Vielleicht hätte ich es nach dem Erlebnis für heute einfach sein lassen sollen mit der Gute-Mutter-Nummer. Vielleicht hätte ich dem großen Wehwehchen einfach begütigend auf die Schulter klopfen sollen, anstelle gemeinsam einen Lernplan für die in den nächsten 8 Tagen anstehenden drei Arbeiten aufzustellen. Und vielleicht hätte ich einfach auf das Abfragen der lateinischen Stammformen verzichten sollen. So lautet nun die Tagesbilanz:

Ein Kind fast verloren,

eins am Rande des Nervenzusammenbruchs

und ich mittendrin, ein Bollwerk bröckelnder Gelassenheit.

 

Sind wir nicht alle ein bisschen Bridget?

It starts in my toes, makes me crinkle my nose…

Es ist Ferienzeit und obgleich auf meiner Nase ein vorwitziger Pickel prangt, befinde ich mich in einem Zustand heiterer Gelöstheit. Vielleicht liegt es daran, dass das Miniweh ganz normal in den Kindergarten geht und das größere Wehwehchen ein paar Tage außerhäusig ist, was bedeutet, dass ich ganz wirklich und wahrhaftig FREI habe. Hah, das fühlt sich gut an.

Dennoch flüchte ich am frühen Morgen vor der plötzlichen Stille im Haus zum Einkaufen, um zwischen Süßkartoffeln und Currypaste erste, zarte Pläne zu schmieden. Neben den Dingen, die unbedingt sein müssen, will ich ein paar Bücher lesen, den Inhalt des Gefrierschranks verkochen und mindestens 3 verschiedene Coleslaw-Rezepte ausprobieren bis ich das ultimative gefunden habe (Tipps werden gerne entgegen genommen!). Ich möchte Freunde treffen und Kürbissuppe essen, zum Friseur gehen und endlich für Herbstbepflanzung im Garten sorgen.

Inmitten dieser erfreulichen Gedanken, bemerke ich plötzlich, dass die von uns bevorzugten Nudeln im Angebot sind und greife mir 5 Kilo. Hätte ich mal bloß einen Einkaufswagen genommen. Geradeso erblicke ich über die oberste Packung hinweg eine Etage tiefer einen Ständer mit bordeauxfarbenen Tops. Glückstag, denke ich, danach suche ich schon eine ganze Weile, habe ich da doch ein paar Kleider, deren Ausschnitte rattenscharf nicht wirklich schulangemessen ausfallen. Zufrieden fummele ich mir die passende Größe vom Haken und balanciere meine Errungenschaften zur Kasse. Zuhause angekommen stelle ich fest, dass es sich bei dem Hemdchen um sogenannte Shapewear handelt. (Und ich habe mich schon gewundert, dass es so klein ausfällt. Diese Shapewear ist offensichtlich so gut, dass sie sich selber kleiner schrumpft. Sicher ein beeindruckendes Gütezeichen!) Ich also raus aus den Plünnen, rein in das Wunderteil und vor den Spiegel gehüpft. Was soll ich sagen? Es krinkelt schon wieder bedenklich in meiner Nase – ich sehe aus wie ein Rollmops. Ein bordeauxfarbener Rollmops mit beeindruckend schmaler Taille zwar, aber oben und unten? Rollmops! Und ich kriege Hitzewallungen. Vermutlich verbridgetjonese ich gerade. Aber der Ausschnitt … ja, der ist jetzt wirklich züchtig. Da kann man nichts gegen sagen. Nur was ist mit der Rolle über der Hüfte? Muss das so? Was genau macht Shapewear eigentlich? Masse umverteilen? Masse zusammenpressen? Denn verschwinden kann sie ja nicht einfach so, das widerspricht doch jeglichen Naturgesetzen. Nicht, dass Physik jemals ein Lieblingsfach von mir war, mitnichten. Aber soweit habe ich dann doch aufgepasst.

Mit etwas Mühe knete ich das Röllchen von unten nach oben, zuppele die ganze Angelegenheit noch eine Weile hin und her und – Überraschung! – da ist auch wieder Ausschnitt zu sehen. Und zwar … deutlich mehr davon als sonst. Irgendetwas mache ich hier ganz entschieden falsch. Oder habe ich mangels genauem Hinsehen vielleicht die Oktoberfest-Variante erwischt? Die für die atemberaubenden Kurven? Na, Herr Weh wird sich freuen. Doch mir rinnt die Zeit durch die Finger, das Miniweh muss abgeholt werden. Also werfe ich eine Schicht über das Bollwerk und eile schnellen Schrittes zum Kindergarten. Aha, denke ich, als mir auf halber Strecke die Luft knapp wird, das fühlt sich in der Tat atemberaubend an. Gut, wenn ich da nachher wieder rauskomme.

Im Kindergarten angekommen wirft sich das Miniweh in meine Arme und arbeitet sich sofort neugierig am neu modellierten Körper entlang. „Mama! Was ist denn das!? Du hast da was ganz Komisches!“

„Pschschsch“, antworte ich, mich pikiert umschauend. Muss ja nicht jeder von meiner Mogelwäsche erfahren! Aber zu spät, das Miniweh ist bereits im Informationsmodus und brüllt quer durch den Gang.

„Guck mal, Jason, meine Mama hat da voll die tolle Rolle zum Kuscheln über dem Po!“

Jason nickt anerkennend, während sich die Umstehenden mühsam das Lachen verbeißen.

„Na, probierst du in den Ferien mal was Neues?“, grinsend schiebt sich eine befreundete Mutter näher heran, um meine verunglückte Hüftregion in Augenschein zu nehmen.

„Jaaa“, nicke ich wage um Fassung bemüht, „ich bin mitten in einem wichtigen Marktforschungsprojekt. Es handelt sich um Funktionswäsche für bloßgestellte Mütter. Da ist extra eine Pufferzone eingebaut!“

 

Prima Klima? Teil 2

Am nächsten Morgen beichte ich der Klasse meine Tat. Natürlich ist die Empörung groß, schließlich hat man sich Mühe gegeben. Einige Kinder räumen ein, dass es mir wahrscheinlich um den Effekt gegangen und dieser ja immerhin deutlich geworden sei. Nach einigem Hin und Her beschließt die Klasse großmütig, mir die Methodenwahl zu verzeihen, wenigstens habe man ja noch Fotos von den Werken.

Ich warte ab, bis es wieder ruhig ist, und teile den Viertklässlern dann mit, dass ich bei der Aktion geschummelt habe. Sie schauen mich ratlos an. Sie haben mir doch schon verziehen! Ich stelle eine große Glasvase auf mein Pult. Sie ist gut mit Wasser gefüllt. Auf meine Aufforderung lösen Sinan und Schmitti je 10 Eiskugeln aus der Folie und lassen sie ins Glas fallen. Friederike stellt fest, dass der Wasserspiegel steigt. Ich zwinkere ihr zu und lasse sie mit einem Folienstift den aktuellen Füllstand auf die Vase zeichnen.

Während wir uns die Zeit mit adverbialen Bestimmungen vertreiben, schmelzen die Eiskugeln.

„Da ist ja gar nicht mehr Wasser drin!?“, staunt Celina, als wir uns nach der Pause erneut mit dem Phänomen beschäftigen. „Haben Sie wieder geschummelt?“, fragt Nick streng. Aber da ich wegen meiner Pausenaufsicht den Klassenraum mit den Kindern gemeinsam verlassen habe, wird klar, dass ich diesmal meine Finger nicht im Spiel habe.

„Aber dann ist das Abschmelzen der Pole ja gar kein Problem.“, Katherine kratzt sich am Kopf. Ratlosigkeit macht sich breit. Ich schlage vor, mehrere Teams zu bilden, um herauszufinden, was genau der Meeresspiegelanstieg mit dem Klimawandel zu tun hat. Die Gruppen sind schnell gebildet. Einige Kinder sitzen bereits am Computer, manche holen sich Lexika, Bücher und Zeitschriften. Alisas Gruppe bittet um die Genehmigung, weitere Experimente durchzuführen. Ich erkläre mich bereit, neue Eiskugeln aus der Lehrerküche zu holen und freue mich über die unverhoffte Gelegenheit, dies mit einer Tasse Kaffee und einem kurzen Plausch mit der weltbesten Sekretärin zu verbinden.

Als ich mit Kaffee und Eiskugelbeuteln wiederkomme, arbeiten fast alle Gruppen mit Feuereifer. Alisas Team hat auf die Schnelle eine neue Insel geknetet und – ich staune! – Landzungen eingebaut, auf denen die Mädchen nun die Eiskugeln ablegen. Auch hier wird der Wasserstand mit Marker auf der Seite festgehalten. Vorsichtig tragen sie die Schale auf die Fensterbank.

Am Ende der Arbeitszeit hält eine Gruppe einen Kurzvortrag über die verschiedenen Faktoren globaler Erwärmung. Das meiste ist korrekt, bei manchem muss ich intervenieren. Schwierige Inhalte müssen noch einmal etwas heruntergebrochen werden, damit alle Viertklässler das Phänomen verstehen.

Eine weitere Gruppe hat sich das große Mammut-Buch der Technik vorgenommen und hält einen etwas kruden Vortrag über Archimedes. Besonders die Tatsache, dass der alte Grieche nackt im Zuber hockte, als er seine Entdeckung der Verdrängung machte, sorgt für Heiterkeit.

Die Eiskugeln aus Alisas Gruppe sind noch nicht alle geschmolzen, aber es lassen sich bereits Schlüsse ziehen, dass Schmelzwasser sehr wohl für einen Anstieg des Wasserspiegels verantwortlich sei, allerdings müsse es sich vor dem Schmelzen auf Land befunden haben.

Ich bin zufrieden mit dem Verlauf der Stunden, die Kinder ebenfalls. Als wir den Klassenraum verlassen, hakt sich Friederike bei mir ein: „Das war schon fies von Ihnen, Frau Weh! Erst unsere Inseln zerstören und uns dann auch noch in die Irre führen wollen. Gut, dass wir so schlau sind!“

Ich schweige und lächle.

Wenn wir über Sex reden…

Wenn wir über Sex reden…

  • lachen wir niemanden aus!
  • behandeln wir die Fragen und Meinungen der anderen mit Respekt!
  • benutzen wir Fachwörter!
  • schämen wir uns nicht!
  • dürfen wir alles fragen! („Wirklich ALLES!?“, will Giuliano wissen. „Alles!“, antworte ich. „Wow!“)
  • bleiben private Dinge auch privat!*
  • bleiben wir cool :-)“

Erste Stunde Sexualerziehung. Ich bin überrascht, wie ruhig und gefasst die Viertklässler sich verhalten, hatte ich doch anderes erwartet: heiße Öhrchen, mehr verschämtes Kichern vielleicht. Tatsächlich sind sie sehr aufmerksam und mit gebotenem Ernst bei der Sache. Während sie anonym alle Fragen auf kleine Zettel bringen, deren Beantwortung sie sich wünschen, beobachte ich die Kinder und bin wirklich berührt von der vertrauensvollen Atmosphäre, die uns nach erst einem Jahr gemeinsamen Lernens verbindet. Meine Güte, was war das letzen Herbst noch für eine Bande!

Bei der Auswertung der Fragen kristallisieren sich die erwarteten Schwerpunkte heraus: Warum gibt es Sex? Warum lachen so viele Leute, wenn es um Sex geht? Wie geht Sex überhaupt? Wie entstehen Babys? Wie ist das mit der Geburt?

Vieles können die Kinder bereits untereinander klären, anderes erkläre ich mit einfachen Worten. Nichts davon kommt unerwartet, doch es gibt noch mehr Fragen: Was sind Pornos? Wofür benutzt man Kondome? Warum gibt es im Internet so viele nackte Frauen? Gibt es wirklich Penisse aus Gummi? Was ist sexueller Missbrauch? Dürfen Kinder Sex haben? Wie geht das, wenn man schwul ist?

Einmal begonnen, sprudelt es aus vielen Kindern hervor: Was sie schon einmal gesehen haben, womit sie bereits konfrontiert wurden. Immer mehr Finger strecken sich in die Höhe und zeigen den hohen Redebedarf meiner Klasse an. Wieder einmal wird mir bewusst, wie anders die Lebenswirklichkeit für Kinder heute aussieht. Wie schwer sie es haben, unbeschadet groß zu werden. Und dass der unbedachte Umgang mit unseren grenzenlos verfügbaren Medieninhalten ein Problem darstellt, dem so viele Eltern hilflos und – ja! – auch verharmlosend oder ignorierend gegenüberstehen.

Wir reden und reden und reden. Ganz selten muss ich auf unsere zu Beginn gefassten Gesprächsregeln aufmerksam machen, zweimal muss ein Junge frische Luft schnappen gehen (manchem wurde es dann doch ein wenig warm), aber alles im Rahmen. Am Ende der Stunde lobe ich die Viertklässler für das ruhige, gute Gespräch und äußere den Wunsch, dass es auch in den weiteren Stunden so bleiben möge. Sie nicken und bestätigen, wie toll es sei, dass sie alles sagen und fragen dürften. Dass es hier viel einfacher sei, darüber zu reden. Ich freue mich darüber, ist die gezeigte Offenheit doch ein großer Vertrauensbeweis an mich und die Klassengemeinschaft, die mittlerweile trägt und Schutz bietet.

Als ich abends meine Unterlagen mit den Fragen, die den Schülern unter den Nägeln brennen, durchgehe, spüre ich die Verantwortung bleischwer auf meinen Schultern lasten. Die Zweifel kommen ganz plötzlich und unerwartet. Hoffentlich schaffe ich das, geht mir durch den Kopf. Wie kriege ich es bloß hin, offen den auf dem Tellerrand Tanzenden die Fragen zu beantworten, während andere Kinder noch gar nicht ermessen, wie viel Suppe da eigentlich vor ihnen schwappt? Die der Aussicht, diese Suppe irgendwann in noch weiter Zukunft auch einmal probieren zu wollen, noch mit einem ungläubigen Kopfschütteln begegnen und die tatsächlich für den Moment noch gerne an eine andere Art der eigenen Empfängnis glauben wollten, als die der körperlichen Begegnung der eigenen Eltern.

Mein Blick schweift über das vielfältige Material, das ich zusammengetragen habe, und bleibt bei der DVD hängen, auf der der 3D-Ultraschall des Miniwehs dokumentiert ist. Ich nehme ich sie in die Hand und spüre der Erinnerung an diese besondere Zeit nach. Ein Wunder, immer noch!

Es wird schon werden, denke ich.

 

Knochenkochen

Ich stehe in der Küche und fluche.

Seit gefühlten Stunden koche ich Hühnerknochen aus, um ein Experiment für den Sachunterricht vorzubereiten. Genaugenommen ist dies bereits der 3.Anlauf der Versuchsvorbereitung. Die ersten abgenagten Hühnerknochen, die die Viertklässler fleißig gesammelt haben, hat sich die Wehsche Hauskatze in einem Moment der allgemeinen Unaufmerksamkeit geschnappt. Bei Knochenlieferung Nummer 2 war ich dann wesentlich cleverer und habe sie in einer amerikanischen Qualitätsplastikdose untergebracht. (Leider habe ich sie dort vergessen. Ich dummes Huhn!) Nachdem ich die pelzigen Überreste einige Zeit später entsorgt habe, habe ich mich der nächsten Hähnchenschenkel umgehend persönlich angenommen und so kochen die Gebeine nun vor sich hin. Sinnierend stehe ich im nicht so wahnsinnig angenehm duftenden Dampf und angle gelegentlich mit der Suppenkelle nach dem ein oder anderen Beinchen, um zu sehen, ob endlich alle Fleisch- und Fettreste entfernt sind. Dabei mache ich mir Gedanken zur Unterrichtsplanung. Wer sagt denn, dass diese ausschließlich am Schreibtisch stattfinden soll?

Der Versuch vermittelt den Kindern nicht nur Wissen, sondern ist vor allem spannend – zu Hause mit Knochen zu experimentieren dürften den meisten meiner Schüler fremd sein.

Die Viertklässler, die sich seit einiger Zeit sehr intensiv mit dem Thema Körper befassen, werden herausfinden, dass Knochen stark belastbar sind. Sie werden Kalzium und Phosphor als wichtige Bausteine für ein widerstandsfähiges und belastbares Knochengerüst kennenlernen. Danach startet das eigentliche Gummiknochen-Experiment:

Ein Hühnerknochen wird in eine Schale mit Essigessenz gelegt. Mit einem Deckel wird die Schüssel abgedeckt. Nach 3-4 Tagen lässt sich der Knochen biegen ohne zu brechen, da der Essig die Mineralien aus dem Knochen gelöst hat.

Die Viertklässler werden den Versuchsaufbau im Vorfeld beschreiben und Vermutungen anstellen, was passieren könnte (der Knochen löst sich auf, der Knochen wird kleiner/größer, der Knochen verändert die Farbe, etc.) Diese Vermutungen werden unkommentiert aufgeschrieben und im Nachhinein evaluiert. Nach der Beobachtung und Auflösung des Versuchs werden die Schüler eine Vorgangs-/Versuchsbeschreibung und eine Skizze dazu anfertigen. Die Ergebnisse werden in ihrem Körperbuch dokumentiert.

Nachdem ich mit meiner Planung soweit ganz zufrieden bin, gieße ich die schneeweißen Knöchelchen ab, lüfte die Küche ordentlich und beiße genussvoll in eine Essiggurke. Da stutze ich… sind Essiggurken eigentlich gefährlich für dumme Hühner?

Horch, wer kommt von draußen rein?

Ein wenig hänge ich im Sachunterricht hinterher, aber heute schaffe ich endlich den Einstieg ins Thema Körper. Die Viertklässler allerdings ahnen noch nichts von ihrem Glück und schreiben mehr oder weniger motiviert Personalpronomen und Personalformen in ihre Hefte. 2.Person Präsens Präteritum von laufen, 3.Person Plural Perfekt von schreiben, 1.Person Singular Präsens von essen – vereinzelt ist Stöhnen zu hören, als plötzlich…

(… der Hausmeister zu vereinbarter Zeit heimlich, still und leise das schuleigene Klapperskelett vor die Klassentüre rollt, laut und vernehmlich anklopft und sich dann – vermutlich grinsend – hinter die nächste Ecke verdrückt)

POCH!

POCH!

POCH!

Die Viertklässler schauen auf. „Herein!“, rufe ich unbeteiligt und fordere, weil niemand eintritt, etwas unwirsch Sinan auf, die Türe zu öffnen. Sinan schlendert zur Türe, nicht ohne auf dem Weg dorthin eine Fratze zu ziehen und gegen Ninos Ranzen zu stolpern. Er greift an die Türklinke, öfnnet die Türe und

„WAAAAAAAHHHH!

…knallt die Tür wieder zu. „Sinan?“, frage ich unschuldig und ziehe eine Augenbraue hoch. „Da ist ein Toter vor der Tür!“, antwortet mir der arme Kerl – mittlerweile schon wieder mehr irritiert als erschreckt.

„Hähä, voll Halloween, oder was!?“ Die Viertklässler hält jetzt nichts mehr auf den Plätzen. Einige Mutige stürmen zur Türe, andere stellen sich vorsichtshalber hinter ihre Stühle oder suchen die sichere Nähe zu mir. Unter Johlen wird das Skelett in den Klassenraum gezogen.

„Ahh“, rufe ich und klatsche mir mit der Hand vor die Stirn, „habe ich doch glatt vergessen, dass wir heute Besuch von Mr.Skeleton bekommen. Tut mir ehrlich leid, Sinan!“ Ich grinse ihn an und schüttle dem Knochenmann überschwänglich die Hand. „Mr.Skeleton ist Experte zum Thema Knochenbau und wird uns eine Weile Gesellschaft leisten. Sag hallo, Mr.Skeleton!“ Mr.Skeleton hebt gehorsam seinen Arm zum Winken und grinst in die Runde, die Klasse ist begeistert. Für den restlichen Tag lassen wir Personalformen Personalformen sein und zählen Knochen, messen Gebeine ab, vergleichen Elle und Speiche, reißen knochentrockene Skelettwitze und haben irgendwie ganz schön viel Spaß.

 

Möge die Macht…

3.Schuljahr, Sachunterricht.

Ich liege ohnmächtig auf dem Boden, 25 Kinder starren auf mich herunter, eins hockt auf mir drauf.

„Du musst gucken, ob sie noch atmet, Nino!“

Nino wirkt leicht gestresst. Eben noch hat er sehr großspurig mitgeteilt, dass die stabile Seitenlage ja wohl voll langweilig sei und er das sowieso alles könne, nun findet er sich umringt von seinen Klassenkameraden auf dem Bauch seiner Klassenlehrerin wieder. So hatte er sich das nicht vorgestellt.

„Hallo, Frau Weh, hören Sie mich?“, Nino rüttelt kläglich an meinen Schultern. „Atmen Sie noch?“

„Das kann sie dir doch nicht sagen, du Trottel. Sie ist OHN-MÄCH-TIG!!!“, Friederike ärgert sich, wäre sie doch tausendmal lieber an seiner Stelle. „Außerdem musst du runter von ihr, wenn du ihr jetzt den Bauch brichst, müssen wir zu Frau Schmitz-Hahnenkamp!“ Ich möchte auch keinen gebrochenen Bauch haben und grummle zustimmend.

Nino steigt ab und legt vorsichtig eine Hand auf meinen Bauch. Ich merke, dass sich ein kleines Ohr über meine Nase schiebt. Aus kleiner Gemeinheit halte ich die Luft an. In Nino wächst das Unbehagen: „Sie atmet aber gar nicht! Frau Weh!?“

„Geil, musst du so machen!“ PONK PONK Ich blinzle ein bisschen und sehe, wie Schmitti rhythmisch mit den Fäusten auf den Tisch donnert. Bevor ich ernstlich intervenieren muss, kommt mir Friederike zu Hilfe:

„Boah, lass mich mal, du Doof!“ Friederike schiebt Nino resolut zur Seite, überstreckt routiniert meinen Kopf, kontrolliert die Atmung, mit der ich mittlerweile wieder begonnen habe, legt den einen Arm zum rechten Winkel, führt die andere Hand an mein Gesicht, hebt mein Bein an und – zack! – liege ich in der stabilen Seitenlage. Noch ein paar Schönheitskorrekturen und fertig. Überhaupt kein Problem, alles easy peasy lemon squeeze. Die Klasse applaudiert.

Ich erwache aus meiner Ohnmacht: „Oh, wo bin ich?“ Alle sind entzückt über meine offensichtliche Desorientierung. „Keine Sorge, Frau Weh“, meldet sich liebevoll der kleine Grabowski zu Wort, „du bist in Klasse, nur eine ohne Macht war da, jetzt wieder alles gut!“

 

gecastet

„Vallah! Frau Weh, Sie müssen gehen zu DSDS, ich schwöre!“ Ahmets Begeisterung über die stimmliche Qualität seiner Musiklehrerin kennt keine Grenzen. „Ehrlich, versprechen Sie, Sie gehen, ja?“

Ich habe gerade in meiner Freistunde ein verdrießliches Elterngespräch geführt und bin nicht in Stimmung: „Ich finde Herrn Bohlen nicht allzu sympathisch, Ahmet. Und in meiner Freizeit umgebe ich mich nach Möglichkeit ausschließlich mit Menschen, die ich gut leiden kann.“ Grummelgrummel.

„Ah, macht nichts, Frau Weh, gehen Sie eben zu X Factor! Kein Problem! Nur…“, Ahmet zögert und mustert mich streng, „nur bei Kleidung, da müssen Sie noch was machen.“

Ich blicke an mir hinab: mehrere Schichten Oberkleidung, ein dicker Schal, Jeans, Stulpen, Boots. Seit einigen Tagen ist die Heizung im Musikraum ausgefallen und kein Hausmeister in Sicht, der mich von der Misere erlösen könnte. „Wieso?“

„Na, mehr Minirock und Oberteil…“, seine Stimme bekommt einen schwärmerischen Ausdruck, „Oberteil mehr sooooo!“ Ahmets Hände zeichnen die vollendete Sanduhr in die Luft.

„Ahmet!“

„Schon gut, schon gut“, beruhigend winkt er meine Empörung beiseite, „gehen Sie eben zu Voice of Germany, da sieht Sie keiner!“