Entspannung, mach schon!

Wir schreiben den ersten Osterferientag. Ich habe soeben mein Arbeitszimmer betreten und falle einer plötzlichen Lähmung anheim. Der Anblick des ganzen Müssens und Sollens, der sich mir in ordentlichen und nicht ganz so ordentlichen Stapeln präsentiert, lässt keinen Zweifel aufkommen: Da geht noch was.

Über meinem Kopf bildet sich eine dunkle Wolke und in meinem Bauch ein Knubbel aus Unbehagen. Die kleine Frau Weh sitzt auf meiner Schulter, wackelt fröhlich mit den Zehen und spannt einen Schirm auf, da ergießt sich auch schon ein Schwall desolater Gedanken aus der Arbeitszimmerwolke. „Jetzt entspann dich doch mal“, zwitschert der kleine Quälgeist in mein linkes Ohr, „sind doch Ferien!“

„Ja, aber schau dir das hier doch mal an!“, entgegne ich und deute mit einer Armbewegung auf das ganze unsortierte Vorhaben, das sich auf Schreibtisch, Regalen und Boden drängt. „Wie soll ich mich entspannen? Das muss alles weggearbeitet werden.“ Die Tropfen, die auf mich herabfallen, werden immer größer und schwärzer. Nun haben sie bereits Farbe und Konsistenz dicker Tinte angenommen.

„Haha“, lacht die kleine Frau Weh gehässig und lässt ihr Pferdeschwänzchen wippen, „und dann noch die ganze Vorbereitung bis zum Sommer! Die Zeugnisse! Das neue, hochproblematische Kind! Wie viele Schüler hast du jetzt eigentlich mittlerweile?“ Sie legt die Stirn in Falten und zählt übertrieben an den Fingern ab. „Ui! Willst du denen wirklich noch allen gerecht werden und wie stehts eigentlich mit der eigenen Familie?“

„Ach, sei still!“, entgegne ich und schlage den Kalender zu, der mir mit bunten Post Its zuwinkt, auf denen Termine und Verabredungen notiert sind, die nur in den Ferien möglich zu sein scheinen, weil der Alltag kaum mehr weiße Flecken auf der Landkarte vorzuweisen hat. Zeit, dass sich was ändert, denke ich und es ist weniger die Tatsache, dass ich mich mit einem eingebildeten Alter Ego unterhalte (welches mittlerweile übrigens fröhlich durch die Pfützen schwerer Gedanken hüpft, die sich auf der Schreibtischplatte gebildet haben) als das Thema dieser Unterhaltung. Es gibt nichts zu beschönigen: Jetzt gerade ist alles ein wenig zu viel.

Dieses Gefühl ist nicht neu und es ist auch nicht überraschend. Tatsächlich empfinden die meisten meiner Kolleginnen so, wenn sie ein erstes Schuljahr führen und vielleicht ähnlich familiär eingespannt sind. Auch ich kenne bereits diese zyklischen Phasen, die besonders in der Zeit zwischen Oster- und Sommerferien beachtliche Höhe erreichen können. Die Frage ist nur, wie damit umgegangen wird. Wo kann Zeit eingespart, besser genutzt oder Arbeit umstrukturiert werden? Wie kann ich mich selber nicht verlieren in all dem Kümmern um und Sorgen für? Wo soll ich bloß anfangen und – wichtiger noch – wo soll, wo muss ich aufhören damit?

Die kleine Frau Weh, durchaus für Gemeinheiten zu haben, aber immerhin auch mit einem Minimum an Anstand ausgestattet, schleppt derweil eine Tasse Kaffee an und lässt sich mit einem Schnaufen auf dem Teelöffel nieder. Herzhaft beißt sie in ein Heidesandplätzchen, das sie hinter der Tasse hervorzieht, und deutet mit einem Kopfnicken zum Telefon: „Nun mach schon!“

Ich überlege nicht mehr, denn überlegt habe ich schon lange genug, stattdessen greife ich zum Telefonhörer und vereinbare einen Supervisionstermin mit der Schulpsychologin.

„Na also!“, nickt die kleine Frau Weh besserwisserisch und beugt sich über den Tassenrand, um ein winziges Schlückchen schwarzen Kaffees zu trinken. Ich kann nicht anders, ich gebe ihr einen kleinen Stipps, woraufhin sie mit flatternden Röcken in der Tasse landet und mich lautstark zwitschernd beschimpft. Da poltert es lautstark an der Türe und das Miniweh wirbelt mir in die Arme. Energie bis unter die letzte Haarwurzel. „Mama, wann kommst du? Ich habe was für dich gebastelt. Komm dir das jetzt angucken. Das ist total schön und das zeige ich keinem anderen und nur dir, denn ich habe das ja auch nur für dich gemacht. Jaaa? Jetzt?“ Ich küsse das Miniweh auf die Nasenspitze, schneide der kleinen Frau Weh eine Grimasse und schließe die Türe des Arbeitszimmers. Heute sind Ferien.