„Und an diesem schrecklichen Tag kamen die Phosphorbomben. Phosphor bringt Leid, so großes Leid, denn es brennt die Haut weg. Wir hörten das Surren, die Motorengeräusche und sind nur noch gerannt, gerannt bis wir im Bunker waren.“
Oma Elsa erzählt von ihrer Schulzeit in den Kriegsjahren. Es ist totenstill in der Klasse, die Drittklässler sitzen wie erstarrt auf ihren Plätzen und hängen an ihren Lippen. Haben sie eben noch das ein oder andere cool! fallen lassen, als es um den Aufmarsch der Truppen, das Paradefahren der Panzer ging, so ringen sie nun um Fassung, als die alte Dame von Todesangst, Fliegeralarm und stundenlangem Ausharren in dunklen Kellern berichtet. Den ersten Toten hat sie mit 6 Jahren gesehen, einen Nachbarn, vor ihren Augen erschossen, an den Füßen die Treppe heruntergezerrt. Sie spricht mit fester Stimme von den Gräueln ihrer Kindheit. Einer Kindheit, die von Überlebensangst, Entbehrung und Hunger gekennzeichnet war.
In den meisten Augen sehe ich Entsetzen, in vielen auch Tränen schimmern. Die alte Dame erzählt packend und nimmt die Kinder mit auf ihre Reise in die Vergangenheit. Auch ich muss mich räuspern, als ich sie am Ende der Stunde frage, wie ihr Weiterleben nach diesen furchtbaren Erfahrungen möglich war. Sie blickt mich ruhig aus wasserblauen Augen an und denkt über die Antwort nach: „Sie werden es verstehen, Frau Weh. Es ist die Liebe.“ Die alte Dame streicht sanft über den Arm der neben ihr sitzenden Enkelin. „Es ist die Liebe zu Kindern, die mich mein Leben lang getragen hat. Die Welt für kleine Seelen ein bisschen besser zu machen. Ja, das war und ist es immer noch. Das ist mein Frieden.“ Ich nicke, antworten ist mir nicht möglich.
Wie immer nach einem Besuch verabschiedet sich die Klasse mit einem Lied. Für Oma Elsa haben wir „Kein schöner Land“ eingeübt. Sie freut sich. Als ich sie zur Türe begleite, greift die alte Dame nach meinem Arm und lächelt. „Danke“, sagt sie, „es war mir eine Freude kommen und berichten zu dürfen!“
Ich bin berührt.
ich habe auch Tränen in den Augen… und wünsche mir, dass solche eine Zeit für uns nie nie wieder kommt… aber nicht nur dass…
ich würde mir so sehr wünschen, dass niemand durch solche Erlebnise muss…
Leider ist die Welt anders… und ein Blick in die Nachrichten erschüttert jeden Tag aufs Neue…
Nachdenkliche Grüße
Andrea
Und ich bin gerührt. Vielen Dank für den Beitrag, der mir schon beim Lesen „das Pipi in die Augen“ steigen lässt.
Wow toll! So sollte Geschichtsunterricht aussehen…
Ja. Und Orte aufsuchen, die von Vergangenem berichten.
Bald wird es das nicht mehr geben – Menschen, die von diesen schrecklichen Zeiten in unserem Land berichten.
ich denke, die Kinder werden das nicht so schnell vergessen, was sie hier gehört haben und es ist sicher ein geschichtlicher „Anker“ für ihr leben.
Wie gut, dass du noch jemanden finden konntest, der realistisch, aber auch voller Hoffnung, erzählen konnte.
Wenn Zeitzeugen erzählen, wirkt es anders, als ob man in einem Buch darüber liest. Noch gibt es Zeitzeugen, aber sie werden weniger. Wie schön, dass es Lehrerinnen gibt, die Zeitzeugen auch in die Grundschule einladen. Ich finde das sehr wichtig!
Es gibt immer Zeitzeugen. Zu Wackersdorf, zu Gorleben, zur Menschenkette München-Ulm …
Das stimmt!
Ein Tag voller Tränen, und Ihr Bericht läßt mich heute abend wieder da sitzen und weinen- danke daß Sie diese Momente mit uns geteilt haben. Trotzdem wie schön, danke für Ihre Worte!
Vielen Dank für den netten Kommentar! Für deinen, Franziska, aber auch die der anderen Leser. Ich finde es ganz wichtig, von Zeit zu Zeit auch Einblicke anderer Art in unseren Arbeitsalltag zu geben. Es laufen so viele wichtige Sachen in der Grundschule, von denen man als Außenstehender gar nichts mitbekommt.
Ich auch.
So schön! Und das Lied! Eine Kindheitserinnerung meinerseits. Wow. (und schon bald wird es solche Augenzeugenberichter gar nicht mehr geben.)
Ich habe Gänsehaut und ein, zwei (vielleicht auch mehr) Tränen in den Augen. Danke.
Schluck. Kloß im Hals. Gut, dass es noch Menschen gibt, die den Kindern erzählen können
Das habe ich auch gedacht. Diese Stunde war definitiv nicht nur für die Kinder eine besondere.
Es gibt dann keine Augenzeugenberichte von der damaligen Zeit. Aber Kriege gibt es auch heut noch, und Kinder von Flüchtlingen sitzen auch in unseren Klassen, manche haben Krieg sogar selbst miterlebt. Viele haben Verwandte in Ländern, in denen jetzt gekämpft wird. Und ich bin mir sicher, das nimmt noch zu.
Wie werden denn jetzt die Drittklässler damit aufgefangen, sind die Eltern da mit eingebunden? Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass die Kinder grad nach einem solchen Bericht aufgewühlt sind, und darüber sprechen wollen. So eine Aktion an sich finde ich gut, wenn sie dementsprechend auch nachbereitet wird, aber da sind Sie ja richtig top, wenn ich mir das hier so alles durchlese 🙂
Tja, ich würde jetzt gerne berichten, dass das Gehörte lange bei den Kindern lange nachhallt. Leider ist dem nicht so. Viele meiner Schüler sind derart übersättigt an schlimmen Nachrichten oder auch durch Gewalt beinhaltenden Medienkonsum so abgestumpft, dass ein paar Tage später auch nicht mehr viele Worte über das Gehörte fallen. Krieg ist einfach sehr weit weg – und das ist ja auch ein Segen für uns! Was bleibt, ist die Aufgabe den Kindern Sensibilität vorzuleben und – wie ich finde – eine deutliche eigene Position gegenüber Gewalt jeglicher Art zu beziehen.
Vielleicht reden sie nicht lange drüber, das glaub ich gern. Aber meist setzt sich das ja, und kommt dann so in nem Viertel- bis halben Jahr wieder aufs Trapez. Aber es stimmt schon, der Mensch (nicht nur Kinder) verdrängt Schlechtes einfach schneller. Ist ja auch ein Selbstschutzmechanismus. Aber ich bin mir sicher, dass die Schüler, die so einen Augenzeugenbericht (oder andere in der Art, auch über neuere Ereignisse) gehört haben, nicht vergessen.
Ich finde es gut, dass Sie nicht zu den Lehrern gehören, die in eine „Jetzt habt ihrs mal gehört, jetzt gehen wir zum nächsten Thema“- Mentalität verfallen, sondern eben auch sensibel damit umgehen. Darum les ich auch den Blog so gern 🙂
Das freut mich zu hören, danke!
Gute Sache, das! Lange wird man solche Augenzeugenberichte zum Zweiten Weltkrieg nicht mehr machen können. Aber mia hat recht, es gibt genügend andere Leute, die anderswo Ähnliches erlebt haben und die dann stattdessen unserer Großeltern berichten können. Krieg ist am Ende immer gleich: Furchtbar.
Ich finde es sehr wichtig, die Themen Krieg und Tod in der Schule zu beackern. Man muss sich früher oder später sowieso damit auseinandersetzen. Und gerade angesichts der radikaler werdenden und zunehmend professionell arbeitenden rechtsextremen Szene finde ich es unverzichtbar, die jüngere deutsche Geschichte in den Schulen ins richtige Licht zu rücken und vor allem die Folgen solcher Weltanschauungen aufzuzeigen.
Das ist richtig. Allerdings sollte man sehr wach an solche Unterrichtseinheiten gehen. Die Dame erzählte beispielsweise sehr drastisch von ihren Erlebnissen mit russischen Soldaten. Es ging um Plünderungen, Verschleppungen und andere schlimme Dinge. Nun sitzen in meiner Klasse aber mehrere Migrantenkinder mit russischen Wurzeln. Da braucht es durchaus eine aufmerksame Moderation der Erzählungen, sowie eine direkte Aufarbeitung.
Klar, so einfach da durch holterdipoltern darf man da nicht, das kann böse ins Auge gehen. Und alleinlassen darf man die Kinder nach solchen Berichten natürlich auch nicht, keine Frage.
vorsichtig nachgefragt (da es mir mal passiert ist): Kamen da keine empörten Eltern angestapft, die sich beschwerten, dass die Kinder noch zu jung für „so etwas“ seien und eventuell traumatisiert werden könnten?
Sagen wir so, ich bin dankenswerterweise mit einer großen Portion Überzeugungskraft ausgestattet worden. D.h. sollten überhaupt bestimmte Eltern deswegen vorstellig werden – wovon ich nicht ausgehe, denn ich kriege sie ja auch wegen anderer Dinge nicht zu Gesicht – werden sie dieses Gespräch im Idealfall mit dem guten Gefühl verlassen, dass ihre Kinder das große Glück hatten, Zeuge einer ganz besonderen Unterrichtsstunde geworden zu sein. Wenn ich einen richtig guten Tag habe, fahren sie anschließend ein Blümchen für Oma Elsa kaufen. Aber das gelingt mir nicht immer 😉
errollbundelfeuerstein hat genau die Frage gestellt, die sich auch mir aufdrängte beim Lesen über diese Stunde, kamen doch bei mir die Eltern der Viertklässler empört, besorgt ob möglicherweise auftauchender Alpträume ihrer Kinder, als ich im Reliunterricht Stellen aus dem „Tagebuch der Anne Frank“ mit ihnen bearbeitete und sie daheim davon erzählten…
Ja, da braucht es Überzeugungskraft. Wunderbar gemeistert hier!
Hat dies auf Sinatschka, was soll ich werden? rebloggt und kommentierte:
Ich habe geheult…und nicht nur, weil /was die Oma erzählt hat, sondern weil Frau weh sie hat erzählen lassen. Mir liegt dieses Thema am Herzen. Es gibt eine Themen, die in der Grundschule Platz finden dürfen sollte, obwohl es für uns Erwachsene schwer ist (selbst) zu verstehen und, dass auch Kinder sich darüber Gedanken machen können.