Elternsprechtag

Elternsprechtag: Speeddating mit ungewissem Ausgang oder die Kunst, enorm viele Gespräche zu führen ohne den Verstand zu verlieren

Wäre ich nicht verheiratet (in der Regel sehr glücklich, möchte ich anmerken), wäre ich der Idee des Speeddatings vermutlich gar nicht so abgeneigt. 5 bis 10 Minuten kann ich mich ganz gut auf meinen Gesprächspartner konzentrieren, danach denke ich allerdings an Dinge wie „Was koche ich am Wochenende?“ oder „Mist, das große Wehwehchen braucht noch neue Hallenturnschuhe!“. Daher kostet mich der Elternsprechtag – vielmehr die Elternsprechtage, denn 30 fünfzehnminütige Gespräche passen einfach nicht in einen Nachmittag – vor allem eins: Durchhaltevermögen.

Acht Stunden Redezeit verteilt auf zwei oder mehr Tage (Unterricht darf in der Grundschule dafür nicht ausfallen) benötigen daher neben einer guten fachlichen Vorbereitung auch eine durchdachte materielle Ausstattung. Meine Standardliste umfasst seit einigen Jahren folgende Punkte:

  • ein Liter Kaffee nebst einem Liter Wasser, um Konzentrations- und Flüssigkeitsverlust vorzubeugen.
  • ein Outfit im Zwiebellook (spätestens ab Gespräch Nummer drei komme ich erfahrungsgemäß in Wallungswärme und muss Federn Klamotten lassen).
  • ein gesundheitlich mindestens als bedenklich einzustufendes Deo, das 48 Stunden Frische verspricht und wenigstens zwei Stunden psychologische Gesprächsführung hält. Dann muss man dezent nachlegen.
  • Haferflockenkekse! Ehrlich, Haferflockenkekse sind ein unerlässliches Hilfsmittel. Damit kann man sich oder dem Gegenüber in Momenten der Not einen Augenblick Bedenkzeit verschaffen. Außerdem wirkt ein Keksteller immer einladend und vertrauensbildend. So ganz anders als in einem sterilen Physikraum!
  • Die wichtige Liste. Auf dieser Liste sind all die kleinen Unternehmungen oder Dinge verzeichnet, für die ich angesichts der Schülermenge Unterstützung benötige. Lässt es sich beim Elternabend noch gut wegschauen, wenn ich nach Schnibbeleltern für das gesunde Obstfrühstück frage, so knicken in der Eins-zu-eins-Situation die meisten Eltern ein, wenn ich sie ganz persönlich um Beistand ersuche.
  • Unterlagen. Neben den Notenlisten sind dies Aufzeichnungen zu Arbeits- und Sozialverhalten, Informationen der Fachkolleginnen, Telefonnummern von Beratungsstellen oder anderen Externen, Arbeitsproben, aber auch – Obacht, fieser Grundschultipp! – kleine Liebesbeweise wie Briefchen oder Bilder der Zweitklässler, die ich in den Schülerakten verwahre. Einerseits können sie prima als Beispiel der Schreibentwicklung oder Feinmotorik herangezogen werden, zeugen aber (noch viel wichtiger!) von einer fröhlichen und liebevollen Lehrer-Schüler-Beziehung. Manchen Eltern tut es ganz gut, wenn sie sehen, dass Paul („Liebe Frau Weh, du bist die tollste. Echt jetzt!“) ein deutlich geringeres Problem mit seiner Lehrerin („Lieber Paul! Ich finde dich auch richtig super!“) hat als sie selber.
  • Eine Uhr in Sichtweite. Die meisten Gespräche sind nach fünf bis zehn Minuten geführt. Der Rest ist Wiederholung und Smalltalk. Was man in dieser Zeit nicht besprechen konnte, benötigt sowieso einen Extratermin. Dem Überziehen keine Chance! Denn wenn jedes Gespräch auch nur ein Ave-Maria länger dauert, verschlechtert sich die Laune der wartenden Eltern proportional. Kommen noch Anspannung oder eine Meinungsverschiedenheit dazu, wird aus dem Ave-Maria ganz schnell ein ausgewachsenes Halleluja!

Zwei weitere Dinge halte ich ebenfalls für enorm wichtig:

  • Pufferzonen! Eine ausgewogene Gesprächsverteilung zwischen problembehafteten Terminen und Momenten zum Loben und Luftholen tut definitiv not und dient der eigenen Psychohygiene. Es ist eben schöner, sich auf der gesamten Klaviatur der Gesprächskultur auszutoben als nur auf den schwarzen Tasten zu verharren.
  • die Aussicht auf Belohnung. Nach den Gesprächen muss unbedingt etwas Schönes oder Erholsames folgen: Schuhe kaufen ist gut, Zahnarztbesuch eher weniger. Essen gehen: super! Einkaufen, um dann unter Zeitdruck Essen für die verhungerte Familie zu kochen: suboptimal.

Derart vorbereitet sind die Elternsprechtage dann natürlich ein Klacks für die professionelle Lehrkraft und ein Quell steter Freude. In diesem Sinne: Lasset die Spiele beginnen!

 

29 Kommentare zu „Elternsprechtag

  1. Ja, so isses! Bei mir ist es Dienstag wieder mal so weit! Allerdings brauche ich als Zwischensnack was Härteres – ohne Schoki geht da nix! Von wegen Nervennahrung und so…! 😉 Wieder ein herrlicher Beitrag, der mir den Nachmittag mit 2 schlecht gelaunten Prinzessinnen versüßt! Danke! 🙂

  2. Ha!
    Wie immer das perfekte Timing.
    Frau Weh, du bist ne Wucht!
    Montag gehen die Gespräche los und morgen kaufe ich daher direkt noch Haferkekse. Vor den sich unangenehm anbahnenden Momenten im Gespräch biete ich dann den Eltern welche an, schiebe mir selber zwei, nein, das scheint zu gierig, einen in den Mund, und während wir dann knurpsend und mahlend (kaufe ich besser ganz trockene Kekse?) lasse ich einen Zettel auf die Elternseite wandern, auf dem ich vorher: „Schreiben Sie’s einfach auf!“ notiert habe.
    😃
    Spaß beiseite.
    Wie immer DANKE für deinen Beitrag zur rechten Zeit!
    Dir gute Sprechtage, viele heitere Momente mit den Eltern, die sicherlich sehr dankbar über einen Menschen wie dich sind.

    1. „viele heitere Momente mit den Eltern, die sicherlich sehr dankbar über einen Menschen wie dich sind.“

      Nicht alle … 😉
      Nimm nicht die ganz trockenen Kekse. Ich habe schon einmal einen Vater angehustet, nachdem der mir unerwartete Ungeheuerlichkeiten ins Gesicht gesagt hat. Nach wie vor bin ich allerdings der Meinung, dass er die Krümel verdient hat.

      1. …zwei Tage sind vorbei… die entspanntesten Sprechtage, die ich jemals hatte – ob das an den Keksen lag?

        Von den Eltern traute sich fast niemand ran, also habe ich beherzt zugegriffen – ich hatte neben den einfachen Haferkeksen auch welche mit Schokolade gekauft… die Waage dankt es mir nun unbarmherzig.
        Aber das war’s wert!!! 🙂
        Alles Liebe

  3. Ganz herzlichen Dank für diesen Text. Zum einen war heute ein Kacktag, wo mich irgendwie mehrere Menschen ärgern wollten und das hat mich grad von der Palme geholt und ein Lächeln in mein getrübtes Gesicht gezaubert. Zum anderen steht in einigen wenigen Wochen auch bei uns wieder so ein heißer Tag an, deine Ratschläge sind zwar großteils bekannt aber grandios zusammengefasst .. Haferflockenkekse – da bin ich noch nicht drauf gekommen – selbstgebacken oder welches Sorte empfiehlst du?
    Ich hänge das mit deiner Erlaubnis einige Tage vor unserem Termin ans Schwarze Brett, ok?

    Danke, du hast meinen Freitagabend gerettet.
    Ein schönes Wochenende wünscht cubi

    1. Liebe Cubi,
      auf keinen Fall selber backen – viel zu viel Aufwand! (Und das von mir, der selbsternannten therapeutischen Bäckerin …) Die schwedischen in der großen Kiste tuns super!
      Schwarzes Brett finde ich prima, Grüße unbekannterweise an dein Kollegium inklusive.
      Hoffentlich wird dein Abend noch viel besser!
      LG 🙂

  4. Danke, habt mir gerade einige Schmunzler beschert. Haben zwar keinen Elternsprechtag in Sicht, habe ich immer vor dem Zeugnis im Januar, aber dafür sonst eine liebe Mama, der ich auch lieber Kekskrümel ins Gesicht gespuckt hätte, als Nettigkeiten gesagt 😉 Werde ich mir also merken, mit den Keksen.

  5. Auch ich habe ganz begeistert gelesen und wirklich herzhaft gelacht.
    Neben Zwiebellook sitze ich grundsätzlich am einer offenen Notausgangstüre,
    denn ich brauch definitiv immer frische Luft, um die zulässige Körpertemperatur nicht zu überschreiten,
    und vielleicht singnaliert diese geöffnete Türe ja auch, dass ich bei unerwarteten Grenzüberschreitungen
    die Flucht ergreifen kann, um den nötigen Abstand herzustellen…
    Ganz liebe Grüße von Gille,
    die sich ja im Augenblick mit dem Elternsprechtag gar nicht so wirklich beschäftigen muss,
    trotzdem aber Anteil nimmt

    1. Liebe Gille, du sitzt wirklich neben der geöffneten Türe!? Ich musste gerade sehr lachen, als ich mir das vorgestellt habe. Notausgänge haben wir nicht – ich müsste aus dem Fenster springen :mrgreen:

      Liebe Grüße!

  6. Perfektes Timing… Montag geht’s schon wieder los… Auf die ausgewogene Mischung hab ich auch versucht zu achten. Einzig vor dem letzten Termin am letzten Tag graut es mir. Helikopter-Mum meines Klassenbesten, der aber zuhause KEINE Regeln und Konsequenzen BRAUCHT und ach so gutes Benehmen hat. (Im Unterricht widerspreche ich da gar nicht… aber in der Pause…) Vermutlich war das (rein psychohygienisch betrachtet) ein Fehler, dieses Gespräch so ganz ganz ans Ende zu legen… Noch ein Tipp für die ganz harten Fälle… Holt den Schulsozialarbeiter(in) ins Boot. Kann helfen. Bei uns glücklicherweise männlich –> gleicht fehlenden Respekt mancher Mitbürger aus… 🙂 In diesem Sinne: Gutes Gelingen!

  7. Und genau so sieht es aus!

    Vielen Dank für die wunderbare Zusannenfassung und den tollen Tipp mit den Schülerbildern und -texten. Das nehme ich mir ganz fest für meinen nächsten Durchgang vor!

  8. Wir haben die Elternsprechtage abgeschafft und Elternsprechwochen daraus gemacht, so führe ich maximal 4 Gespräche pro Unterrichtstag in einem Zeitraum von ca. 3-4 Wochen. Ich mag das – ist deutlich entspannter als der Gesprächsmarathon an einem Elternsprechtag. Trotzdem ein like direkt für deinen Einstieg – es sind immer noch „enorm viele Gespräche ohne den Verstand zu verlieren“ 🙂 ich erinnere mich noch gut an meinen Zustand am Ende des Tages, als es noch keine „Wochen“ waren 🙂

    1. Diese Regelung finde ich auch viel besser! Im ersten Schuljahr habe ich auch mehr verteilen können. Dieses Jahr finden blöderweise viele Termine im gleichen Zeitrahmen statt: Sprachstandsüberprüfung der Vierjährigen, Aufnahmetestung der Schulneulinge, Elternsprechtag des großen Wehwehchens, zwei Fortbildungen. Da bin ich froh, wenn ich diesen Punkt schnell abhaken kann.

  9. Vielen Dank für deinen herrlichen Einblick.
    Bei mir gibt es Gummibärchen.
    Die Reihung der Termine finde ich sehr wichtig – und die bestimme immer ICH. Wie du schreibst, der Wechsel zwischen anstrengend und angenehm tut gut, hilft aber auch, den 15 Minuten Rhythmus einzuhalten (überziehen wir durch kurze Gespräche ausgeglichen).
    Ganz wichtig: (dann muss man vielleicht keine Schuhe kaufen, schont den Geldbeutel ;-)): als letzten Termin einen ANGENEHMEN nehmen, im besten Fall: nette Eltern mit tollem Kind, geht auch: nette Eltern. Ganz wichtig: keine Laberköpfe nehmen, damit man auch nach Hause kommt.
    Ich bin übrgens im Gegensatz zu meinen Kolleginnen eine, die den Elternsprechtag immer aneinem Tag durchzieht. Die ersten Gespräche sind noch schwer, aber spätestens nach der Halbzeit jubiliere ich innerlich!
    Bei mir ist es am 18. so weit!
    Viele Grüße, Anne

    1. Anne, du machst wirklich ALLE Gespräche hintereinander? Respekt! Weißt du nachher denn noch, was du wem gesagt hast?

    2. Krass. ALLE an einem Tag? Das hatte ich einmal. Und nie wieder… Mein allererster Elternsprechtag (alleine) – Übergangsempfehlung. Nach dreiviertel der Gespräche hatte ich so krass Migräne, dass ich die Lehrertoilette aufsuchen musste… Man gings mir danach dreckig… Aber die letzten Gespräche musste ich dann auch noch durchziehen… Wie gesagt… Einmal und NIE wieder.

  10. Puuuuh, wenn ich das so lese, bin ich echt froh, im Kindergarten gelandet zu sein. Wir bitten die Eltern rund um den Geburtstag bzw die Sommerkinder dazwischen mal um ein Gespräch. Mit halbwegs vernünftiger Einteilung hatte ich noch nie mehr als zwei pro Woche.
    Und da ist es dann auch nicht sooo schlimm, wenns mal 5 Minuten länger dauert, weils wirklich ein kleines Problem gibt. Größere muss man eh mit einem extra Termin lösen.
    Lg Carmen

    1. Ich denke, das hat damit zu tun, dass viele Eltern den Kindergarten nicht so ernst nehmen wie die Schule. Sobald Noten im Spiel sind, geht es um etwas, was konkret ist und den Weg zeichnet, den ein Kind gehen kann. Dreiviertel unserer Elternschaft weiß schon bei der Schulanmeldung, dass ihre Kinder Abitur machen werden. Wahrscheinlich wissen sie auch schon die Abschlussnote.

  11. Haferkekse, tolle Idee!
    Bei mir steht immer noch eine Schale mit Frühlingsprimeln daneben, Pflanzen beruhigen und strahlen auf die Lehrerin ab.
    Und die Hardcoreeltern lass ich erzählen, wie das Kind so zuhause ist, oder in anderen Fächern. Heißt ja schließlich Elternsprechtag, oder? Sie verwickeln sich schnell in Widersprüche und ich kann dann schlüssig nachweisen, dass nicht ich an allem Schuld sein kann.

      1. Ich habe tatsächlich einen Boxsack im Keller hängen. Als ich noch an einer anderen Schulform unterrichtet habe, hat ihn mir mein Mann geschenkt. Mit der Auflage, sofort nach der Schule in der Keller zu gehen und erst wieder raufzukommen, wenn ich alle Aggressionen losgeworden bin.
        Hat geklappt!

  12. Liebe Frau Weh, aus Elternsicht würden wird uns ein solches Gespräch wünschen. Mit Haferkeksen oder auch Gummibärchen mit Blumen auf niedrigen Tischen kämen auch die Eltern gern mal vorbei. Unsere arme Lehrkraft freut sich an manchen Tagen ja schon, wenn die eingeladenen und angemeldeten Sorgeberechtigten überhaupt erscheinen. Da habe ich glatt Verständnis, wenn die Gesprächsatmosphäre manchmal nicht ( mehr) stimmt.

    1. Solche Klassen hatte ich auch schon und das schlägt in der Tat auf die Stimmung. Schade, wenn das Interesse am eigenen Kind so wenig ausgeprägt ist 😦

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