Es ist Dienstagabend und ich befinde mich zum allerersten Mal in meinem Leben in einer Ballettschule. Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber auch vorfreudig.
Wir sind nur zu dritt, was schlecht ist, da der Kurs mindestens fünf Teilnehmer benötigt. Umso deutlicher fällt nun auch auf, dass die beiden anderen Damen – obwohl es sich um einen ausgeschriebenen Anfängerkurs handelt – bereits einiges an Erfahrung mitbringen. Während ich noch meine Extremitäten zähle, flutschen sie nur so durch die verschiedenen Positionen, die mir allesamt neu sind und teilweise Angst einjagen. Besonders die, wo die Füße so… quer voreinander sind, holla!
Die Tanzlehrerin sieht natürlich unglaublich gut aus, ist jung und hübsch und durchtrainiert, hat aber einen ordentlich sächsischen Zungenschlag, der ihrer Gesamterscheinung exakt das Maß an Derbheit verleiht, das mich bei der Stange hält. Und das ist gut so, denn die Stange, pardonnez-moi, la Barre natürlich – wir sprechen hier ja Fronsösisch! – ist das zentrale Arbeitsgerät aller Primaballerinen und auch solcher, die es sicherlich niemals werden. Hier biegt man sich und dehnt sich, beugt demütig Haupt und Büste und guckt sich dabei im Spiegel an (oder lässt es lieber bleiben). Tatsächlich finde ich es ganz schön hier, die Musik ist hübsch, es gibt sogar einen Chopin Walzer, zu dem wir lustige kleine Hüpfer machen sollen. Quiiiietsch-boing, quiiiiiietsch-boing macht der Schwingboden.
Wenn nur das mit dem Französisch nicht wäre! Plié, Demi-Plié, Attitude, Jeté, ich komme da gar nicht mit. Ich hatte auch gar nicht so lange Französisch in der Schule. Zwar war ich nicht direkt schlecht, aber definitiv auch kein Überflieger. Mein gut auf dem Zeugnis beruhte wohl mehr auf meinem Mut, im 9.Schuljahr vor dem gesamten Kurs einen Chanson von Jacques Brel vorzusingen. Das brachte mir die Anerkennung meiner Französischlehrern ein, aber der Preis war hoch: Wochenlang hauchten mir meine Mitschüler bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein voulez vous coucher avec moi? ins Ohr. Dabei verhielt es sich zwischen mir und Lady Marmalade ungefähr so wie zwischen einem Fiat Panda und einem Jaguar. Ähnlichkeiten nicht vorhanden. Ganz davon abgesehen hatte ich ne me quitte pas gesungen, da geht es um Obsession, nicht um Sex! Aber Heranwachsende können bekanntermaßen grausam sein.
Spiegel übrigens auch. „Frau Weh, dreh dich doch mal seitwärts“, seufzt die Tanzlehrerin. Irgendetwas scheint ihr bei meinen Kniebeugen nicht zu gefallen, dabei strenge ich mich doch unglaublich an! Ich drehe mich brav so, dass ich mein Profil im Spiegel sehen kann, und gehe auf 2-3 in die Hocke. Meine Knie beugen sich, meine Fersen lösen sich vom Boden (beim Grand-plié dürfen sie das, aber nur, wenn die Füße nicht in der 2.Position sind, so viel weiß ich schon) und mein Po… verdammt, was macht mein Hintern denn da!? Er schiebt sich hinaus – weit hinaus – definitiv weiter als mein Schwerpunkt sich befinden dürfte. Ich sehe aus wie eine Ente! Eine mit empörtem Bürzel. Ich hauche meinem Spiegelbild ein stummes Oh entgegen und ziehe auf der Stelle meinen verlängerten Rücken ein. „Viel besser“, lobt die Tanzlehrerin und wendet sich einer anderen Teilnehmerin zu.
Am Ende der Stunde bin ich wundervoll müde, meine Muskeln fühlen sich angenehm gedehnt an und die Musik hat mich entspannt. Beschwingt und Chopin summend fahre ich nach Hause. Wie schön, dass ich mich getraut habe!