Sportunfall

Zwischen der letzten Unterrichtsstunde und dem Kindergartenende fliege ich gerne im Fitnessstudio vorbei. Was für den Rücken tun. Und die Arme. Den Bauch! Ach, eine Rundumpackung. Es ist ein kleines Studio, sehr familiär geführt und nur für Damen. Ich bin – zumindest sportlich gesehen – jetzt bei den Damen angesiedelt. Im Gegensatz zu den jungen Hüpfern, die enge Sportkleidung und deutlich mehr BummBumm-Kurse bevorzugen, fühle ich mich in diesem etwas gediegeneren Etablissement sehr wohl. Das Training dauert immer 30 Minuten (oder bei akuter Zeitnot gar nur 20) und deckt alle Problemzonen Hauptmuskelgruppen ab. Außerdem gibt es immer frisches Wasser und den ein oder anderen netten Schwatz. Das mag ich. Es findet sich sogar eine Aufhübschstation in der Umkleide, die mit Tüchlein, Deo- und Haarspray und dem ein oder anderen Schnickschnack ausgestattet ist. Reicht die Zeit zwischen zwei Tagespunkten mal nicht, um zu duschen, kann man sich zumindest schnell duftigfrisch sprühen. Das ist total Rokoko (und ein bisschen pfui, ich weiß), aber ehrlich, ich mach das nur ganz selten so!

Sport ist ja enorm wichtig! Physisch wie psychisch. Und überhaupt lassen sich – ist der Widerstand nur groß genug – viele negative Schwingungen ganz einfach wegpressen. Oder wegrudern. Meinetwegen auch wegbutterflyen. Wobei das jetzt im geschriebenen Zustand doch komisch aussieht. Ihr wisst, was ich meine. So langsam komme ich in ein Alter, in dem die verspannten Nackenmuskeln nicht mehr als Zeichen von Tüchtigkeit durchgehen, sondern langfristig zum Problem werden können. Und in diesem Bereich bin ich ja Minimalist: Bitte kein Problem mehr als unbedingt nötig, wir sind bereits gut ausgestattet! Also rudere ich und presse, ziehe und drücke, um das Gesamtpaket Weh möglichst ohne Ach zu behalten.

Heute ist nun aber einer der Tage, an denen die Zeit tatsächlich knapp bemessen ist. Ich habe ein Luftloch zwischen einer Musikstunde bei den Viertklässlern und einem Elterngespräch, das gerade so einen kurzen Besuch des Fitnessstudios zulässt, aber nicht für einen Heimflug reicht. Natürlich könnte ich mich auch mit einer Packung Kekse ins Lehrerzimmer setzen, keine Frage. Aber … nein, da gibt es kein Aber, ich greife mir die Tasche, die allzeit bereit im Auto liegt, und jogge ins Studio. Ich kann dann ja nachher ausnahmsweise mal ordentlich drübersprühen, das passt schon. Allzu nah wollte ich den Eltern sowieso nicht kommen. Beschwingt absolviere ich meine Runden, drücke, presse, ziehe und fege wieder in die Umkleide. Raus aus den Plünnen, rein in die Plünnen … ach, vergessen, der Sprühnebel! Den Kopf schon im Pulli, greife ich blind nach der Flasche, schüttle selbige und …

ZISCHSCHSCHSCH … eiße!

Oh Gott, diese Schmerzen! Völlig orientierungslos hüpfe ich jaulend durch den Raum, stoße mich an offenen Spindtüren und verstehe die Welt nicht mehr. Habt ihr euch schonmal Haarspray in frisch enthaarte Achseln gesprüht? Alles klebt, alles schmerzt. Das kann nicht gesund sein. Mit rotem Kopf und schmerzverzerrtem Blick tauche ich aus meinem Pullover auf und schaue auf das Etikett der Flasche. Extra strong. Für die Dauerwellendamenstudio-Fraktion, der ich mich eben noch so fröhlich anzuschließen bereit war. Wie doof darf man eigentlich sein, wenn man Kinder unterrichten will?

Reichlich derangiert sitze ich wenig später dem Vater von Mia gegenüber. „Ist Ihnen nicht gut?“, fragt er besorgt, als ich entschuldigend seine zur Begrüßung ausgestreckte Hand ablehne. „Ach“, sage ich und bemühe mich, nicht allzu leidend zu klingen, „kleiner Sportunfall.“

Exitus

„Boah, Herr Weh, so einen Ömmes hatte ich noch nie!“, fassungslos stehe ich vor dem Badezimmerspiegel und betrachte meinen Megapickel. „Ach, das ist doch gar nix!“, antwortet Herr Weh etwas herablassend, weil in der eigenen Jugend mit Talgterror ganz anderen Kalibers konfrontiert. Er rät zur Öffnung. Auch ich möchte nach über einer Woche qualvollen Wachstums dem Trauerspiel ein Ende bereiten und setze wildentschlossen meine Daumennägel links und rechts neben dem Monstrum an. Mit einem satten büddddsch bricht die Oberfläche auf und sorgt für sofortigen Druckausgleich.

„Waaaaah!“, schreie ich auf, „Guck dir DAS mal an!“ „Tja, sofort kleiner!“, meint Herr Weh mit Kennermiene. Ich staune, er hat recht: Aus der Traum vom zweiten Gehirn. Lediglich eine kleine rote Stelle kündet noch vom letztwöchigen Leiden der (nicht mehr ganz so) jungen W. (Erwähnte ich, dass ich mich in meiner Jugend nie, niemals mit Auswüchsen solcher Größe plagen musste? Offensichtlich sind meine Talgdrüsen Spätzünder oder an der Sache mit dem Entschlacken ist doch mehr dran, als ich vormals dachte.)

„Ich wusste es“, teile ich Herrn Weh mit, „das Ding steckte voller Bosheit. Mein Karma“, und ich blicke verklärt zur Badezimmerlampe auf, „ist nun wieder so rein wie die Heftseite eines Erstklässlers.“ Vorsichtig tupfe ich die Überreste mit einem Stück Klopapier ab und tippe einen Stips Penatencreme auf mein Gesicht. So, denke ich befriedigt, das hätten wir.

Leicht und beschwingt – mindestens um 85g verstopfter Pore leichter – tänzle ich aus dem Bad und packe meine ABS-Socken und eine Flasche Wasser in die Sporttasche. Das mit dem fit und fröhlich… also Hammer!

 

Immer schön bei der Stange bleiben!

Es ist Dienstagabend und ich befinde mich zum allerersten Mal in meinem Leben in einer Ballettschule. Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber auch vorfreudig.

Wir sind nur zu dritt, was schlecht ist, da der Kurs mindestens fünf Teilnehmer benötigt. Umso deutlicher fällt nun auch auf, dass die beiden anderen Damen – obwohl es sich um einen ausgeschriebenen Anfängerkurs handelt – bereits einiges an Erfahrung mitbringen. Während ich noch meine Extremitäten zähle, flutschen sie nur so durch die verschiedenen Positionen, die mir allesamt neu sind und teilweise Angst einjagen. Besonders die, wo die Füße so… quer voreinander sind, holla!

Die Tanzlehrerin sieht natürlich unglaublich gut aus, ist jung und hübsch und durchtrainiert, hat aber einen ordentlich sächsischen Zungenschlag, der ihrer Gesamterscheinung exakt das Maß an Derbheit verleiht, das mich bei der Stange hält. Und das ist gut so, denn die Stange, pardonnez-moi, la Barre natürlich – wir sprechen hier ja Fronsösisch! – ist das zentrale Arbeitsgerät aller Primaballerinen und auch solcher, die es sicherlich niemals werden. Hier biegt man sich und dehnt sich, beugt demütig Haupt und Büste und guckt sich dabei im Spiegel an (oder lässt es lieber bleiben). Tatsächlich finde ich es ganz schön hier, die Musik ist hübsch, es gibt sogar einen Chopin Walzer, zu dem wir lustige kleine Hüpfer machen sollen. Quiiiietsch-boing, quiiiiiietsch-boing macht der Schwingboden.

Wenn nur das mit dem Französisch nicht wäre! Plié, Demi-Plié, Attitude, Jeté, ich komme da gar nicht mit. Ich hatte auch gar nicht so lange Französisch in der Schule. Zwar war ich nicht direkt schlecht, aber definitiv auch kein Überflieger. Mein gut auf dem Zeugnis beruhte wohl mehr auf meinem Mut, im 9.Schuljahr vor dem gesamten Kurs einen Chanson von Jacques Brel vorzusingen. Das brachte mir die Anerkennung meiner Französischlehrern ein, aber der Preis war hoch: Wochenlang hauchten mir meine Mitschüler bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein voulez vous coucher avec moi? ins Ohr. Dabei verhielt es sich zwischen mir und Lady Marmalade ungefähr so wie zwischen einem Fiat Panda und einem Jaguar. Ähnlichkeiten nicht vorhanden. Ganz davon abgesehen hatte ich ne me quitte pas gesungen, da geht es um Obsession, nicht um Sex! Aber Heranwachsende können bekanntermaßen grausam sein.

Spiegel übrigens auch. „Frau Weh, dreh dich doch mal seitwärts“, seufzt die Tanzlehrerin. Irgendetwas scheint ihr bei meinen Kniebeugen nicht zu gefallen, dabei strenge ich mich doch unglaublich an! Ich drehe mich brav so, dass ich mein Profil im Spiegel sehen kann, und gehe auf 2-3 in die Hocke. Meine Knie beugen sich, meine Fersen lösen sich vom Boden (beim Grand-plié dürfen sie das, aber nur, wenn die Füße nicht in der 2.Position sind, so viel weiß ich schon) und mein Po… verdammt, was macht mein Hintern denn da!? Er schiebt sich hinaus – weit hinaus – definitiv weiter als mein Schwerpunkt sich befinden dürfte. Ich sehe aus wie eine Ente! Eine mit empörtem Bürzel. Ich hauche meinem Spiegelbild ein stummes Oh entgegen und ziehe auf der Stelle meinen verlängerten Rücken ein. „Viel besser“, lobt die Tanzlehrerin und wendet sich einer anderen Teilnehmerin zu.

Am Ende der Stunde bin ich wundervoll müde, meine Muskeln fühlen sich angenehm gedehnt an und die Musik hat mich entspannt. Beschwingt und Chopin summend fahre ich nach Hause. Wie schön, dass ich mich getraut habe!