Stadtgespräch

Die Streicher schnurren wie Kätzchen, die sich an die Beine schmiegen, während die Bläser lasziv herantapsen, das Bild von Fingerkuppen auf nackten Schultern heraufbeschwörend. Ein paar Lagen tiefer schmaucht der Bass in bester Slowfox-Manier. Über allem die scheinbar naivgefärbte Stimme von Eartha Kitt: „Birds do it, bees do it“ – man meint den unschuldigen Augenaufschlag durch jede Note zu hören, während sie ganz sanft und überrascht davon erzählt, dass es in Boston sogar Bohnen tun! Gab es je eine hübschere Umschreibung von Sex? Denn man lasse sich nicht täuschen – auch wenn hier ganz untadelig davon gesungen wird, sich zu verlieben, geht es in diesem reizenden Cole Porter Song doch um das Eine. Und das tun neben romantischen Schwämmen, faulen Quallen und wohlerzogenen Flöhen eben alle. Also sollten wir es dann nicht einfach auch tun? Das hat Klasse. Da kann sich Lady Gaga gerne noch ein paar Pfund Gehacktes um die Hüfte werfen. Geh heim, Mädchen, und lerne von den großen Diven!

Ich habe mit dem Soundtrack von „Stadtgespräch“ die erste April-CD im CD-Player und freue mich die ganze Fahrt über den Zufallstreffer. Da hört man Hüften zur Rumba schwingen und es wird fleißig ge-cha-cha-chat. Dean Martin und Della Reese raunen mir an der Ampel ins Ohr, woraufhin ich dem Fahrer im Lieferwagen neben mir neckisch zuzwinkere. Zwar ignoriert er dies beflissentlich, aber das trübt meine Laune kein Stück. Auch nach fast 20 Jahren (holla!) begeistert mich die Zusammenstellung der Stücke auf dem Soundtrack und ich singe fleißig mit, wohingegen ich den Inhalt des Filmes nicht mehr ganz so präsent habe. Es war eine der in den 90ern wie am Fließband produzierten deutschen Beziehungskomödien und mit Katja Riemann, Kai Wiesinger, Martina Gedeck und Moritz Bleibtreu topp besetzt. Ich weiß, ich hatte Spaß an dem Film und tatsächlich erinnere ich an der nächsten Ampel sogar noch ein Zitat. Der von Moritz Bleibtreu gespielte tumbe, aber gut gebaute Bodybuilder wird gefragt, warum auf seiner Brust keine Haare wären. Seine trockene Antwort: „Weil auf Stahl keine wachsen!“ Wir Mädels haben gebrüllt im Kino. Ach ja… wir waren jung! Es war mein letztes Schuljahr, man durfte endlich Auto fahren und Kinobesuche waren montags abends mit 5,- DM Eintritt und einem im Preis inbegriffenen Bacardi Breezer Pflichprogramm.

Schöne Zeit, schöne CD.

 

Ballettschuhe

Als sich die Ladentür hinter mir schließt, ist es, als beträte ich mit dem Klingeln des Glöckchens eine andere Welt. In dem winzigen, nur schummrig erleuchteten Raum lässt sich keine freie Wandfläche ausmachen. Überall hängen Bühnenkostüme und Bilderrahmen mit Fotos und vergilbten Zeitungsausschnitten. An der linken Wand befindet sich ein Regal, angefüllt mit kleinen Schachteln, daneben eine Kleiderstange voller Tüllträume. Rechterhand steht ein kleiner Tresen, auf dem eine Registrierkasse prangt, die entweder aus dem Museum stammt, oder aber ihren Weg dorthin zweifelsohne bald antreten wird. Hinter dem Tresen ein Stühlchen, von dem nun eilfertig ein kleines, verhutzeltes Männlein aufspringt und mich nach meinen Wünschen fragt. Seine Stimme knistert wie das Seidenpapier, in das die Spitzenschuhe auf der Ladentheke eingewickelt sind.

Wie ich im Laufe unserer seltsamen Unterhaltung erfahre, ist der ganze Laden eine Hommage an seine Ehefrau, die vor vielen Jahren auf den Bühnen, den großen, getanzt hat und nach dem Rückzug aus der Öffentlichkeit eine Ballettschule betreibt. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich nun auch, dass auf allen Fotos immer die selbe Frau abgebildet ist. Der alte Mann spricht ehrfurchtsvoll von ihr, der Ballerina, und vom Tanz, der großen Kunst.

Nach meiner Frage nach Ballettschuhen drängt er mich auf einen Stuhl und bedeutet mir, Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Dann begutachtet der Alte meine Füße. Ich meine zu erkennen, dass er die Stirn leicht runzelt, sicher kann ich allerdings nicht sein, da alles an ihm in Altersfalten gelegt scheint. Wie alt er wohl sein mag? Seine aufrechte Haltung und der makellose Anzug können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er die 70 wohl schon lange hinter sich gelassen hat. Vielleicht auch die 80.

Seine Frage, ob ich schon lange tanze, reißt mich aus meinen Überlegungen. Mir ist klar, dass es sich nach seinem Blick auf meine ungeschundenen Füße lediglich um eine rhetorische Frage handelt und so beantworte ich sie ehrlich und lasse ihn wissen, dass ich gerade erst am Anfang stünde.

„In Tanz, Sie müssen wissen, man befindet sich immer an Anfang!“, nickt er mir zu. „Es ist gut, dass Sie beginnen. Tanz ist Arbeit an Körper und Seele!“ Er reicht mir ein Paar schwarzer Schläppchen, die ich über die bloßen Füße ziehen muss. Ich versuche alle Gedanken an Fußpilz zu verdrängen. „Die ersten Ballettschuhe“, sinniert er, „bleiben immer in Erinnerung.“

Ich zweifle etwas. „Die sitzen sehr eng.“, wage ich zu äußern. „Haben Sie die vielleicht noch eine Nummer größer?“ Er schüttelt den Kopf milden Tadel im Blick. „Nein, die müssen sitzen so, damit Sie, wenn Sie machen Sprünge und Pirouettes, den Boden wieder spüren.“ Bei all den Weisheiten, derer ich teilhaft werde, werde ich das Gefühl nicht los, in einer Parallelwelt gelandet zu sein. Fast habe ich etwas Angst, ich könne beim Verlassen des Ladens feststellen, dass 100 Jahre ins Land gezogen seien. Man weiß ja, ein Moment im Feenland entspricht Jahrzehnten in der realen Welt. Ich nicke verstehend und möchte die Schuhe wieder ausziehen, als der Mann erneut den Kopf schüttelt. „Kommen Sie, kommen Sie an Stange und probieren Sie Tendus und Pliés!“ Er drängt mich mit väterlicher Strenge an einen Spiegel, vor dem eine kleine Ballettstange befestigt ist. „Kommen Sie, machen Sie!“

Schüchtern folge ich seiner Anweisung und beuge die Knie. „Ahhh, Sie müssen gehen tiefer. Noch tiefer! Arbeiten Sie an Körper, übertreten Sie Grenzen, Rücken gerade!“ Ich bin für den Augnblick sprachlos, strecke aber augenblicklich den Rücken und wiederhole die Übung. „Besser!“, lobt mich das Männlein. Dennoch muss ich noch einige Tendus durchführen, bevor ich mich wieder setzen darf, um die Schuhe, die wirklich sehr eng sitzen, wieder auszuziehen. Auf meinem Spann prangen rote Striemen, wo das Gummi straff auf dem Fleisch saß. Der Alte nickt befriedigt: „Muss so!“

Wie in die Jahre gekommen Laden, Inventar und Besitzer sein müssen, zeigt sich, als er die Schuhe in die Plastiktüte einer längst insolventen Drogeriemarktkette steckt, die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Der alte Mann verabschiedet mich freundlich und geleitet mich noch zur Türe. Fast klopft mir etwas das Herz, als ich die Klinke drücke. Erleichtert und ein wenig über mich selber lächelnd trete ich in den hellen Sonnenschein hinaus. Ein kleines Hochgefühl lässt mich den Blick heben, ich habe meine ersten Ballettschuhe gekauft.

 

 

Zwischenstand

Ich sitze im Warteraum der Autowerkstatt und beobachte durch die Scheibe den Ölwechsel meines Wagens. Auf dem Tisch vor mir steht eine Tasse Kaffee und dampft fröhlich vor sich hin. Ich puste hinein und bemerke halb belustigt, halb irritiert, dass der Dampf sich in Form eines Herzens verflüchtigt. Überall Liebe. Sogar das Klopapier auf der Lehrertoilette trägt derzeit Herzchen. (Angeblich duftet es auch nach Rosen, aber das kann ich nicht bestätigen.)

Was aber ist mit mir und meinem Vorhaben?

Wie vorausgesehen ist es alles andere als einfach. Vielleicht habe ich mir zu viel vorgenommen. Wer krempelt schon innerhalb eines Monats sein Familienleben um? Immer wieder bin ich gereizt und genervt, besonders mit dem größeren Wehwehchen. Längst ist das keine Mutter-Sohn-Sache mehr, die Pubertät hat ihre tentakelhaften Widrigkeiten ins Familienleben eingeschleust. Plötzlich gibt es Widerworte, Nullbockphasen und Schulterzucken. Ach ja, einen neuen Mitbewohner haben wir auch, das mir doch egal! ist eingezogen. Es ist ein wenig wie bei Hase und Igel; wann immer ich einen Raum betrete, das mir doch egal! ist schon dort und hat wahlweise seinen Teller stehen gelassen, seine Wäsche vergessen oder seinen Ranzen auf den Boden geschleudert. Freunde hat es übrigens auch. Das ich hab keinen Hunger! beispielsweise sitzt regelmäßig übellaunig mit am Tisch und hat das heute mach ich keine Hausaufgaben! mitgebracht.

Das wäre ja vielleicht mit Humor noch zu ertragen, wenn da nicht noch mein eigenes Problem wäre: Ich komme schlecht aus meiner Lehrerrolle heraus. Es ist wie ein enges Kostümchen, in das ich mich morgens hineinschlängele, das aber spätestens nach dem Mittagessen spack auf den Hüften sitzt und mich (aber vor allem meine Familie) nicht mehr gut atmen lässt. Eine Brille, die ich vergesse abzulegen und die mich zwingt, meine Kinder mit Lehrerinnenblick anzusehen, wo eigentlich Verständnis, wenigstens aber ein freundlicher Rüffel angebracht wäre. Stattdessen takte ich den Tag durch, um eine Lücke zu finden, in die eine Extraportion Vokabeln, Grammatik, wasauchimmer hineingestopft werden könnte. Zu meiner Verteidigung muss ich anbringen, dass Schule nicht mehr so ist, wie früher. Ist das ein G8-Problem? Häufig kommt das Wehwehchen nach Hause und bringt Inhalte mit, die in der Schule lediglich angerissen, aber nicht vertieft wurden. Bitte gehen Sie das mit Ihrem Kind noch einmal in Ruhe durch und unterstützen sie es! Schreibt die Klassenlehrerin in einer E-Mail. Was aber ist mit Eltern, die sich weder zeitlich, noch intellektuell in der Lage sehen, die Schulbildung ihrer Kinder mit Kenntnissen in lateinischer Grammatik, Algebra oder der Verdauung der Kuh zu unterfüttern? Nicht jeder ist in der komfortablen Lage, sein Kind so zu begleiten. Gehen die dann einfach unter?

Kopfschüttelnd nehme ich einen Schluck Kaffee und lasse meinen Blick durch den Wartebereich schweifen. Die Kaffeemaschine blubbert beruhigend, als wolle sie mir zuraunen, mich endlich zu entspannen.

Will ich ja auch wirklich, mich entspannen. Aber oft genug macht mir die Schule Sorgen. Lustig eigentlich, nicht wahr? Wo ich doch zumindest ansatzweise vom Fach bin. Aber es scheint, als wäre das Gymnasium ein ganz anderer Kosmos, zumindest die Verantwortlichkeiten sind klar: Eltern, ran an die Arbeit! Ich rechne kurz durch und stelle fest, dass wenn das Wehwehchen Abi machen sollte und ich mein Verhalten nicht ändere, wenigstens einer von uns beiden zwangsläufig bis dahin irre werden wird.

Bevor ich mich in weiteren düsteren Prognosen ergehen kann, bringt mir der freundliche Monteur sowohl die Autoschlüssel als auch die frohe Kunde, ich hätte die nächsten 20.000 Kilometer Ruhe. „Oh, das wäre wirklich wunderbar!“, strahle ich ihn an. Die Aussicht 20.000 Kilometer lang nur Ruhe zu haben, hat etwas extrem Tröstliches! Wie weit käme ich, wenn ich jetzt einsteigen und einfach immer weiter fahren würde? Hätten wir dann wohl schon Abitur?

Ich winke dem verdutzten Monteur fröhlich zu, als ich vom Hof fahre. Heute machen wir keine Vokabeln mehr, beschließe ich, heute spielen wir Tischtennis!

Exitus

„Boah, Herr Weh, so einen Ömmes hatte ich noch nie!“, fassungslos stehe ich vor dem Badezimmerspiegel und betrachte meinen Megapickel. „Ach, das ist doch gar nix!“, antwortet Herr Weh etwas herablassend, weil in der eigenen Jugend mit Talgterror ganz anderen Kalibers konfrontiert. Er rät zur Öffnung. Auch ich möchte nach über einer Woche qualvollen Wachstums dem Trauerspiel ein Ende bereiten und setze wildentschlossen meine Daumennägel links und rechts neben dem Monstrum an. Mit einem satten büddddsch bricht die Oberfläche auf und sorgt für sofortigen Druckausgleich.

„Waaaaah!“, schreie ich auf, „Guck dir DAS mal an!“ „Tja, sofort kleiner!“, meint Herr Weh mit Kennermiene. Ich staune, er hat recht: Aus der Traum vom zweiten Gehirn. Lediglich eine kleine rote Stelle kündet noch vom letztwöchigen Leiden der (nicht mehr ganz so) jungen W. (Erwähnte ich, dass ich mich in meiner Jugend nie, niemals mit Auswüchsen solcher Größe plagen musste? Offensichtlich sind meine Talgdrüsen Spätzünder oder an der Sache mit dem Entschlacken ist doch mehr dran, als ich vormals dachte.)

„Ich wusste es“, teile ich Herrn Weh mit, „das Ding steckte voller Bosheit. Mein Karma“, und ich blicke verklärt zur Badezimmerlampe auf, „ist nun wieder so rein wie die Heftseite eines Erstklässlers.“ Vorsichtig tupfe ich die Überreste mit einem Stück Klopapier ab und tippe einen Stips Penatencreme auf mein Gesicht. So, denke ich befriedigt, das hätten wir.

Leicht und beschwingt – mindestens um 85g verstopfter Pore leichter – tänzle ich aus dem Bad und packe meine ABS-Socken und eine Flasche Wasser in die Sporttasche. Das mit dem fit und fröhlich… also Hammer!

 

Immer schön bei der Stange bleiben!

Es ist Dienstagabend und ich befinde mich zum allerersten Mal in meinem Leben in einer Ballettschule. Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber auch vorfreudig.

Wir sind nur zu dritt, was schlecht ist, da der Kurs mindestens fünf Teilnehmer benötigt. Umso deutlicher fällt nun auch auf, dass die beiden anderen Damen – obwohl es sich um einen ausgeschriebenen Anfängerkurs handelt – bereits einiges an Erfahrung mitbringen. Während ich noch meine Extremitäten zähle, flutschen sie nur so durch die verschiedenen Positionen, die mir allesamt neu sind und teilweise Angst einjagen. Besonders die, wo die Füße so… quer voreinander sind, holla!

Die Tanzlehrerin sieht natürlich unglaublich gut aus, ist jung und hübsch und durchtrainiert, hat aber einen ordentlich sächsischen Zungenschlag, der ihrer Gesamterscheinung exakt das Maß an Derbheit verleiht, das mich bei der Stange hält. Und das ist gut so, denn die Stange, pardonnez-moi, la Barre natürlich – wir sprechen hier ja Fronsösisch! – ist das zentrale Arbeitsgerät aller Primaballerinen und auch solcher, die es sicherlich niemals werden. Hier biegt man sich und dehnt sich, beugt demütig Haupt und Büste und guckt sich dabei im Spiegel an (oder lässt es lieber bleiben). Tatsächlich finde ich es ganz schön hier, die Musik ist hübsch, es gibt sogar einen Chopin Walzer, zu dem wir lustige kleine Hüpfer machen sollen. Quiiiietsch-boing, quiiiiiietsch-boing macht der Schwingboden.

Wenn nur das mit dem Französisch nicht wäre! Plié, Demi-Plié, Attitude, Jeté, ich komme da gar nicht mit. Ich hatte auch gar nicht so lange Französisch in der Schule. Zwar war ich nicht direkt schlecht, aber definitiv auch kein Überflieger. Mein gut auf dem Zeugnis beruhte wohl mehr auf meinem Mut, im 9.Schuljahr vor dem gesamten Kurs einen Chanson von Jacques Brel vorzusingen. Das brachte mir die Anerkennung meiner Französischlehrern ein, aber der Preis war hoch: Wochenlang hauchten mir meine Mitschüler bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein voulez vous coucher avec moi? ins Ohr. Dabei verhielt es sich zwischen mir und Lady Marmalade ungefähr so wie zwischen einem Fiat Panda und einem Jaguar. Ähnlichkeiten nicht vorhanden. Ganz davon abgesehen hatte ich ne me quitte pas gesungen, da geht es um Obsession, nicht um Sex! Aber Heranwachsende können bekanntermaßen grausam sein.

Spiegel übrigens auch. „Frau Weh, dreh dich doch mal seitwärts“, seufzt die Tanzlehrerin. Irgendetwas scheint ihr bei meinen Kniebeugen nicht zu gefallen, dabei strenge ich mich doch unglaublich an! Ich drehe mich brav so, dass ich mein Profil im Spiegel sehen kann, und gehe auf 2-3 in die Hocke. Meine Knie beugen sich, meine Fersen lösen sich vom Boden (beim Grand-plié dürfen sie das, aber nur, wenn die Füße nicht in der 2.Position sind, so viel weiß ich schon) und mein Po… verdammt, was macht mein Hintern denn da!? Er schiebt sich hinaus – weit hinaus – definitiv weiter als mein Schwerpunkt sich befinden dürfte. Ich sehe aus wie eine Ente! Eine mit empörtem Bürzel. Ich hauche meinem Spiegelbild ein stummes Oh entgegen und ziehe auf der Stelle meinen verlängerten Rücken ein. „Viel besser“, lobt die Tanzlehrerin und wendet sich einer anderen Teilnehmerin zu.

Am Ende der Stunde bin ich wundervoll müde, meine Muskeln fühlen sich angenehm gedehnt an und die Musik hat mich entspannt. Beschwingt und Chopin summend fahre ich nach Hause. Wie schön, dass ich mich getraut habe!

kleine Horrorstunde

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass mein Körper ein undankbarer Sack ist!

Da presse ich frischen Saft, schütte statt herrlich krümeliger Zimt-Zucker-Mischung einen Schwapps Agavendicksaft über mein Müsli, springe motiviert aus dem Bett, um meinen Körper mit Sauerstoff und Serotoninen zu fluten und statt, dass er mich im Gefühl des wahren Glücks schwelgen lässt, zickt er nur rum. Gestern zog es in der linken Wade, vorgestern zwickte die rechte Schulter, heute schmerzt der Kopf. Mein Körper benimmt sich wie ein mäkeliges Kleinkind, dem man nichts recht machen kann. Ständig mault er: Lass mich liegen! Gib mir Schokolade! Ich will keinen Tee, ich will… Cocktails! Und Schirmchen! Kirschen!

Wenn er sich ja wenigstens etwas minimalistischer aufführen und überflüssigen Ballast abwerfen würde. Aber nein. Während ich mich innerlich schon richtig sportlich fühle (und morgens überhaupt kein bisschen mehr laut jammere), gerät mein Körper in Panik und legt erstmal ein Kilo zu. Ob das wohl schon Muskeln sind? Möglicherweise lagert sich aber auch nur das Kokosöl ab, das mir gelegentlich noch den Schlund runterrutscht während ich tapfer damit schmurgele. Immerhin ist das ja reinstes Fett! Und wenn ich davon jeden Morgen so – sagen wir mal – einen üppigen Löffel zu mir nehme, dann ist die Gewichtszunahme doch schon vorprogrammiert. Da nützt es auch nichts, dass ich mir abends dann den ganzen Schnodder aus dem Gehirn rausspüle, Schnodder wiegt ja nichts. Weiß doch jeder.

Zu allem Überfluss wächst mir seit drei Tagen auch noch ein zweiter Kopf. Nein, das KANN kein Pickel mehr sein! Das hat schon richtig Persönlichkeit und wirft einen Schatten, an dem der Kundige die Uhrzeit ablesen könnte. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so ein Monstrum ausgebrütet. Bestimmt ist das Ding randvoll mit Giftstoffen und Schlacken und schlechter Laune. Vielleicht habe ich es aber auch endlich geschafft und es handelt sich dabei um ein zweites Gehirn, so wie es die zamonischen Eydeeten serienmäßig besitzen. Das wäre praktisch, eine Art körpereigenes Backup, in das ich Informationen zur Zwischenablage einspeisen könnte. Ich beobachte das Wachstum weiterhin gespannt.

Das tun die Viertklässler übrigens auch, haben wir doch gerade die Pubertät mit all ihren unerfreulichen Nebenwirkungen als Thema abgehakt.

„Frau Wehee? Was ist das da in ihrem Gesicht?“

„Das“, und ich blitze Nino böse an, „ist die zweite Frau Weh. Diejenige, die nicht mehr lächelt, wenn du deine Hausaufgaben zum dritten Mal hintereinander vergessen hast. Die“, und ich nehme den nächsten kichernden Schüler ins Visier, „die Frau Weh, die nicht mehr in den Raum schaut, bevor sie die Türe abschließt und nach Hause fährt.“ Meine Stimme hebt sich gleichzeitig mit meinen Händen und ich blicke theatralisch an die Decke. „Die Frau Weh, die euch nicht mehr vor Frau Schmitz-Hahnenkamp in Schutz nimmt, sondern sich mit Popcorn in die erste Reihe setzt und zuschaut!“ Ich komme so langsam in Fahrt. Die Viertklässler glucksen vor Vergnügen und machen ihrerseits nun eifrig Vorschläge:

„Vielleicht die Frau Weh, die beim Fahrradtraining nicht die Klötzchen aufhebt, sondern den Kindern hinterherschmeißt?“

„Oder die Frau Weh, die beim Waffelmachen den Kindern die Hand im Waffeleisen einquetscht, um die Temperatur zu testen?“

„Nein, nein, die Frau Weh, die kein halbes Hähnchen isst, sondern lieber einen halben Erstklässler!“

„Die Frau Weh, die beim Hausmeister die Kettensäge holt…!“

Sprachlos höre ich mir die Horrorvorstellungen an, die die mir anvertrauen Kinder mühelos mit einer zweiten Version meiner selbst zu verknüpfen im Stande sind.

„Danke!“, sage ich pikiert, „Das Prinzip habt ihr offensichtlich verstanden… weiterarbeiten!“