Kinderkacke, Teil 1

„Sag mal Bolimeeeedu!“

Die kleine Denise würdigt mich keines Blickes. Stattdessen beschäftigt sie sich viel lieber mit dem mitgebrachten Stoffpony, das sie über den vor ihr ausgebreiteten Spielplan hüpfen lässt. Es zeigt ein Haus mit mehreren Zimmern und in all diesen Zimmern warten lustige Aufgaben auf Denise, die leider den darin versteckten großen Spielspaß noch nicht entdecken konnte.

„Knegiiiba? Jakeeedu?“

Keine Reaktion.

Es ist ja nicht so, dass ich die Dreieinhalbjährige nicht verstehen würde. Blöd genug, dass es bis jetzt keinen Kindergartenplatz für sie gibt. Noch blöder, dass sie dadurch nicht an der ersten Stufe der Sprachstandserhebung hat teilnehmen können – die wird nämlich wenigstens in einer kleinen Gruppe und unter Anleitung einer Erzieherin durchgeführt. Am allerblödesten aber, dass sie nun in der Schule sitzen muss, morgens um 8.00 Uhr, einer Zeit, in der sie normalerweise im Schlafanzug Richtung Frühstückstisch schlappt, und sich von einer wildfremden Person (moi!) dämliche Fragen stellen lassen muss. Oder weiß hier jemand, wie die Mehrzahl von Dopf gebildet wird? Ihr wisst gar nicht, was ein Dopf ist? Tja, die kleine Denise auch nicht und vermutlich ist auch das einer der Gründe, warum sie mich bereits in die Kategorie „seltsame Erwachsene“ eingeordnet hat. Für ihre Mutter bin ich (und das gesamte Schulsystem mit mir) sowieso bereits völlig unten durch.

„Wissen Sie eigentlich, was Sie hier den Kindern antun!?“, schmettert sie mir entgegen, als ich sie auf dem Schulhof in Empfang nehme. Ihre orange-roten Nägel klickern auf der Oberseite ihres Smartphones den Bolero von Ravel. (Ich vermute es ist ein Zufall, freue mich aber dennoch darüber. Die kleinen Freuden des Alltags, ihr wisst schon…) Der Lidstrich ist tiefschwarz und bestenfalls unbarmherzig zu nennen, was auf den gesamten Auftritt der auf Krawall gebürsteten Mutter zutrifft. Da nützt es gar nichts, dass Chefin zur Testung der kleinen Kunden von morgen extra mich als Kennerin der Materie Altersstufe ins Rennen schickt. „Da müssen wir hier in die Schule! Wissen Sie eigentlich, wieviel Uhr es ist!? Das Kind schläft ja noch! Ich könnte kotzen, echt!“ Schön, wenn der Morgen direkt mit einer ordentlichen Aufgabe beginnt.

Ich zähle zunächst die Ausrufezeichen in ihrer Rede (mindestens 5), dann langsam im Kopf bis 3 und lächle die Mutter entwaffnend an: „Nicht wahr? Was die sich da wieder ausgedacht haben! Tststs. Aber wir machen uns das jetzt mal ganz nett“, öffne mit großer Geste die Tür zu einem Klassenraum, „und kommen erstmal in Ruhe an.“

„Ja, wie? Soll ich da jetzt etwa mit? Nicht Ihr Ernst!? Ich hab‘ auch noch was zu tun. Echt jetzt, ich warte vor der Tür!“ Sagt’s und lässt mich mit Klein-Denise, Stoffpony und offenem Mund stehen.

Einige Zeit und manch vergeblichen Animationsversuch später wendet Klein-Denise mir dann endlich ihr Gesicht zu und nuschelt etwas ins Ponyfell. Ich fasse augenblicklich die Hoffnung doch noch ein paar Punkte in den Diagnosebogen eintragen zu können und beuge mich ein wenig näher: „Was sagst du?“

„Muss Kacka!“

Na super.

„Komm, Spätzchen, dann gehen wir mal schnell zur Mama.“ Routiniert wuchte ich Denise vom viel zu großen Stuhl und eile mit ihr im Laufschritt zur Türe. Dahinter… keine Mama!

„Muss Kacka!!“

Ich bemerke, dass der Tonfall von Klein-Denise eine gewisse Dringlichkeit angenommen hat, vergleiche mit ähnlichen Situationen aus dem Hause Weh, füge eine Portion Unwohlsein ob der fremden Umgebung hinzu, multipliziere mit der Abwesenheit der Mutter und komme zum Schluss, dass uns nur noch wenige Momente von einer Katastrophe trennen. Also klemme ich mir Klein-Denise fluchend unter den Arm und eile im Stechschritt zur Lehrertoilette, drehe nach ein paar Metern wieder um (kein Kindersitz!) und laufe nun schon schneller Richtung Schülertoilette, den Blick nach allen Seiten wendend – wo zum… befindet sich die Mutter!? Wäre mein Leben ein Comic, dann schwebte jetzt gerade eine Gewitterwolke voller schlimmer Zeichen über meinem Kopf.

Fortsetzung folgt

0 Kommentare zu „Kinderkacke, Teil 1

      1. Mist. Das dachte ich auch beim schreiben des Kommentars. Ertappt. Trotzdem würde ich gerne wissen wie es weiterging. Aber jetzt lese ich eben die anderen Bolgeinträge mit Genuß, da ich ja erst bei „vegan for fit“ eingestiegen bin.

  1. Manche Eltern … haben einen derben Knall. Ehrlich. Ich hoffe, es kommt nicht zur Katastrophe … Und dass Sie der Mutter auch nochmal ein paar Takte gesagt haben!

  2. Ja ich bin auch schon in freudiger Erwartung im Hinblick auf das tolle Diagnoseverfahren. Ich fürchte die meisten Kinder werden mich mit einem Stirnrunzeln anschauen und sich fragen was das ganze soll. Mir wäre es auch ziemlich egal wie der blöde Hund heißt und würde mich auch weigern ihm irgendwelche Kunstnamen entgegenzurufen!! Aber da müssen wir jetzt durch! !

  3. Grundgesetz Art. 6 (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende PFLICHT. – – – wie halt Teil 2 von manchen Eltern immer gern vergessen wird….

  4. Was manche Eltern sich so rausnehmen…ich weiß ehrlich nicht woher das kommt, dass man Lehrer so behandelt. Na das klingt jetzt auch übertrieben. Was ich damit meine: Was nimmt die Alte sich denn raus?! Hat die noch alle Latten am Zaun!?

  5. Delfin4 ist der letzte Kack. ganz im Ernst. Da hätt ich auch müssen. Und meine Kinder haben bereits beide die Mitarbeit beim Spiel im Kindergarten verweigert. Das Pfiffikushaus (was du da ja grad machen musst) haben beide mit Bravour bestanden. Bei meiner Großen hat die Lehrerin zuallererst ne Riesengroße Dose Gummizeugs rausgekramt und gemeint, so, wir beide frühstücken jetzt erstmal, die Mama muss zugucken. Da war der Bann bei meiner damals auch dreieinhalb jährigen (Augustgeboren) gebrochen. Mein Sohn (zu dem Zeitpunkt fast 4, da Märzgeborener) wiederum fühlte sich sicher auf meinem Schoß und quatschte, was die Zunge hergab. Schlusswort der Lehrerin: Warum nochmal sollte der das hier machen? der hat ja nen enormen Wortschatz…

    bin ich froh, dass ich nu erstmal nicht mehr hinmuss, bis vielleicht irgendwann mal Nr 3 kommen mag. Hoffentlich ist der Quatsch bis dahin abgeschafft.

    1. Ich finde die Idee der Sprachstandserhebung total gut und richtig! Aber sowas kann nur funktionieren, wenn die Situation nicht dermaßen gestellt ist. Da erzählt man den Kindern wunderweißwas von einem tollen Spiel und was tun sie dann? Alles, aber nicht spielen. Ist doch doof! Die Aufgaben selber halte ich durchaus für fundiert und aussagekräftig, nur an dem Drumherum müsste nochmal gearbeitet werden.

  6. Ich lache mich scheckig….
    Ich hatte auch mal einen Erstklässler, der sich erst beruhigen konnte, als ich mit auf die Toilette ging und persönlich den Po abwischte. – Dass in der Zeit die stolze Zahl von 29 Erstklässlern unbeaufsichtigt war, verschweige ich mal lieber…

    Jedenfalls war es der Mutter extrem peinlich, als sie davon erfuhr. – Ich fürchte, der Mutter von Denise wird es am A… vorbeigehen…. – Um in der Materie zu bleiben…

    Wir dürfen gespannt sein, …. 🙂

    1. Ich hatte mal ein Zwillingspärchen im 1. Schuljahr, die beide jeweils 20-30 Minuten pro Tag auf dem Klo verweilten. Backpflaumen halfen… 😉

  7. Es soll auch ziemlich durchgeknallte Eltern geben, die für Ihre durchgeknallte Handlungen ziemlich undurchgeknallte Begründungen haben.
    Nichtsdesotrotz. Toll geschrieben. Bin gespannt wie es weitergeht.

  8. Das nenne ich mal einen Cliffhanger.
    Ab und an gibt es einen großen Jungen (Oberstufe), der manchmal einfach nur „ich geh kacken“ sagt, wenn er mal kurz auf die Toilette muss. Da schaudert es mich jedes Mal.

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