Die Chefin schließt die Türe hinter mir und weist auf einen Stuhl. Im gleichen Moment taucht eine Erinnerung in meinem Kopf auf: Ich muss fünf oder sechs Jahre gewesen sein, als ich den ersten von vielen folgenden öffentlichen Auftritten hatte. Der Bürgermeister lud zum Empfang und ich umklammerte tapfer meine Blockflöte. Ob ich wegen des zweifelsohne vorhandenen Talentes oder einfach nur der niedlichen Zöpfe wegen auf die Bühne durfte, kann ich rückblickend nicht mehr beantworten. Meine Blockflötenlehrerin – wie immer stylisch in Leopardenleggings, es waren die 80er – bemerkte meine Nervosität, beugte sich zu mir herunter und raunte „Kopf nach oben, Blick geradeaus und lächeln, lächeln, lächeln!“. Dann schubste sie mich auf das Podest. An das Vorspiel selber habe ich keine Erinnerung mehr. Seltsam, dass mir das gerade jetzt einfällt, aber ich straffe automatisch die Schultern und hebe den Blick. „Was ist der Gesprächsanlass?“, frage ich und schaue der Chefin in die Augen.
„Ich hatte eine Unterhaltung mit Frau Tipps.“, erwidert die Chefin kühl. „Darin teilte sie mir mit, du hättest ein Problem mit deinem Team und dies sei ausschlaggebend für deinen Versetzungsantrag?“
„Wenn du mit meinem Team Frau Schmitz-Hahnenkamp und mich meinst, dann habe ich kein Problem. Es existiert nämlich nicht. Weder ein Team, noch ein Problem.“ Ich zucke die Achseln. Die Chefin schaut missbilligend und räuspert sich. Beides kann sie sehr überzeugend. Sie möchte die Gründe dargelegt bekommen. Ich habe das Bedürfnis etwas weiter auszuholen.
„Wir arbeiten jetzt seit mehr als 10 Jahren zusammen. Du kennst mich als engagierte und vor allem loyale Kollegin. Ich habe nie zu denen gehört, die alles abgenickt und hinter deinem Rücken zerrissen haben. Im Gegenteil habe ich Schwierigkeiten immer direkt angesprochen und nach geeigneten Lösungen gesucht.“
Die Chefin nickt und bestätigt dies.
„Auch als Lehrerrat habe ich mich, egal wie verfahren sich eine Situation dargestellt hat, immer um eine objektive Sicht und vor allem um eine gute Gesprächskultur bemüht.“ Obwohl ich das Gefühl habe, mich wie eine Milchkuh anzupreisen, fahre ich fort. „Kommunikationsprozesse, ja, auch schwierige, liegen mir und ich habe eine gute Menschenkenntnis. Ich bin in hohem Maße teamfähig und arbeite gerne mit den Kolleginnen zusammen.“
Der Chefin wird es langsam unbehaglich ob meines Redeschwalls. Sie lenkt ein: „Ja, das weiß ich doch und dafür schätze ich dich sehr!“
„Es liegt mir fern, negativ über eine Kollegin zu reden, die nicht anwesend ist. Ich werde das auch in diesem Falle nicht tun und hätte dieses Gespräch von mir aus nicht gesucht. Die Gründe für meinen Versetzungsantrag kennst du. Wir haben darüber gesprochen, dass ich aus familiären Gründen wohnortnah versetzt werden möchte und dass es an der Zeit für neue Erfahrungen und ein neues Schulumfeld ist. Tatsächlich – und auch das weißt du – trage ich den Gedanken an eine Versetzung schon ein paar Jahre mit mir herum.“
Auch an dieser Stelle nickt die Chefin wieder, möchte aber jetzt konkret wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Teamkonstellation und meiner Entscheidung gebe. Ich wähle meine Worte mit Bedacht.
„Ich habe in den letzten 1,5 Jahren viel gelernt. Über mich, über dynamische Prozesse und über die Schwierigkeit menschlicher Kommunikation. Vielleicht habe ich sogar“, überlege ich, „in den letzten Jahren mehr darüber gelernt, als in den ganzen Jahren zuvor. Ganz sicher bin ich mir aber darin, dass ich mehr darüber erfahren habe, als ich je wollte. Und darin“, jetzt kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen, „dass die letzten Jahre auch für Frau Schmitz-Hahnenkamp nicht ganz so wie erwartet verliefen. Das werte ich durchaus positiv im Sinne der Schulentwicklung.“
Auch die Chefin kann ein Schmunzeln nicht verbergen. „Eigentlich“, räumt sie ein, „wollte ich dich nur fragen, ob es ein Problem gibt, bei dem ich dich unterstützen kann. Aber ich sehe, dass du die Situation gut im Griff hast.“ Sie entlässt mich seufzend. „Und danke für die überzeugende Darstellung deiner verbalen Fähigkeiten. Jetzt weiß ich wieder, warum ich dich so überaus ungerne gehen lasse.“
🙂
Wenn ich mich richtig an frühere Beiträge zum Thema Schulleitung und Frau Schm.-H. erinnere, mir die gestrige Beschreibung der Schleimspurgesamtsituation vor Augen rufe, dann war meine Spontanreaktion: „Wie ist das Gespräch denn nun wirklich verlaufen?“ – Liege ich falsch, dann freue ich mich ganz herzlich mit über die erfahrenen Wertschätzung!
Hah, da spricht die Schulleitungserfahrung! 🙂
Ich habe den Teil mit den zusätzlichen Arbeitsaufträgen weggelassen – einen Zeitungsartikel schreiben, zwei Elternbriefe Korrektur lesen, eine kollegiumsinterne Fortbildung aussuchen und organisieren.
Gespräche mit der Chefin sind bei uns immer ergebnisoffen. Nächste Woche kann es dann wieder ganz anders laufen. Vielleicht habe ich auch einfach Glück gehabt.
Ihhhh, wie gemein! 😉 Nicht die Schulleitungserfahrung, sondern eigene (Junglehrer-)Erlebnisse am Beginn eines Schultages wie „Bösermann, es gibt da ein Problem, über das wir heute Mittag noch zu reden haben!“ , die mich zu dieser krassen Fehleinschätzung verleitet haben. Ich selbst verscuhe (unterstrichen!) das anders zu machen. Aber wen kümmerts, was nächste Woche ist, heute wurden Sie gewertschätzt!!!
Huiuiui, unglaublich gut!!
Wow! (In Gedanken mache ich die vielen Ausrufezeichen, die du so wenig leiden magst, liebe Frau Weh, die mir aber, nach dieser großartigen Geschichte im Hinterkopf dröhnen)
Und jetzt muss ich die Fische rechts im Bildschirm füttern, um mich zu beruhigen ;-).
Und baaaaam! Jawoll! *tosender Applaus*
Standing…äh blogging ovations!!!!
Bei uns daheim würde man sagen: Wer kohn, der kohn!
Das heißt soviel wie: Du hasts einfach drauf, liebe Frau Weh. Sehr souverän.
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ganz koscher ist die Chefin nicht, sonst würde sie das Gespräch nicht so einleiten wie beschrieben.
Das stimmt. Manchmal ist es so, dass man einfach schneller sein muss. In diesem Fall hatte ich Glück und wurde bereits vor Frau Schmitz-H. zum Gespräch zitiert. Aber das rettet mich nicht vor noch einem und noch einem eventuellen Gespräch zum Thema.
Schlechte Erfahrungen sind prägend und Vorsicht ist besser als Ärger hinterher… ;-).
Ach, wie sind mir solche Gespräche doch auch vertraut… :-(.
Diese Lebenserfahrung ist hilfreich – ich lese zwischen den Zeilen… 🙂 – und bin nicht allein mit diesem Wissen = Verbündete, so fühlt sich das an für mich, lese ich das Gespräch.
Danke vielmals für soviel Offenheit und Ehrlichkeit.
Ein schönes Wochenende an Sie und Ihre Famiilie.
Vielen Dank für die guten Wünsche, Renate!