Es fällt mir nicht leicht, das Gefühl einzuordnen, das mich überkommt, als ich den Schulhof meines eigenen alten Gymnasiums betrete, um an der Erprobungsstufenkonferenz für meine letzten Viertklässler teilzunehmen. Vieles ist wie früher, sogar der Geruch in der Aula des Hauptgebäudes. Ich sehe die Schaukästen mit den ausgestellten Ergebnissen der Kunstkurse und erinnere mich an eine meiner Collagen, die dort hing. War das im siebten Schuljahr oder im achten? Später kann es nicht gewesen sein, denn recht schnell musste ich mich damals zwischen Kunst und Musik entscheiden. Eine Entscheidung, die ich bis heute bedaure, hätte ich doch beides gerne fortgeführt.
Ich gehe an der Mensa vorbei, die es damals noch nicht gab. Ein Zugeständnis an das G8. Mir begegnen Schüler, die mich mehr oder weniger neugierig anschauen. Einer winkt in Richtung Nebengebäude, ich scheine nicht die erste Grundschullehrerin zu sein, die ihm heute begegnet ist. Dann treffe ich im Konferenzraum ein. Die Tische sind zusammengeschoben, neben den Namensschildchen stehen Blumen. Alles ist freundlich und offen. Grundschulkolleginnen, die ich von Fortbildungen kenne, winken mich zu sich an ihren Tisch. Es fühlt sich fremd an und dennoch vertraut. Es fällt mir schwer die Schülerin abzuschütteln, die ich hier neun Jahre lang war. Doch ich kann nicht lange darüber nachgrübeln, denn pünktlich geht es mit der Begrüßung der Unterstufenkoordinatorin los. Unter den Gymnasialkollegen, die nun den Raum betreten, befindet sich ein ehemaliger Lateinlehrer. Er erkennt mich auf der Stelle und ungeachtet der noch andauernden freundlichen Begrüßung, kommt er mit großen Schritten auf unseren Tisch zu und schließt mich in eine Umarmung, die überraschend wohl wirkt.
„Ist das schön, dich zu sehen!“, sagt er, „Und wir sind Kollegen? Das freut mich sehr, dann sind wir jetzt beim Du!“
Er rückt einen Stuhl neben meinen und es dauert keinen Moment bis wir in eine Unterhaltung finden, die sofort ebenbürtig ist, was mich ganz kurz nur überrascht. Meine Klasse gehörte zu seinen ersten, da setzen sich Erinnerungen leichter fest als im späteren Kommen und Gehen. Dennoch … es müssen fast 20 Jahre sein. Wir erzählen über das Lehrersein, über Ansprüche, Forderungen und Berufungen. Aber auch über Vergangenes, gemeinsame Momente. Wo waren wir damals auf Klassenfahrt? War das diese furchtbare Jugendherberge? Und wie war diese Zeit damals? Es sind wertschätzende Worte, die fallen. Und auf einmal kann ich mein Gefühl einordnen: Es ist bittersüß und dem Verrinnen der Zeit geschuldet. Wo ist sie hin? Ich hatte wohl Glück in meiner Schulzeit. Viele meiner Lehrer waren Persönlichkeiten, die ich respektieren konnte und deren Freude am Unterrichten ansteckend war. „Ja“, nickt der Kollege, „wir waren ein ganzer Schwung enthusiastischer Junglehrer.“ Er lächelt ein klein wenig wehmütig. „Jetzt sind wir ein bisschen älter geworden. Es ist nicht mehr alles wie früher.“
Meine ehemaligen Schüler haben einen anderen Klassenlehrer, daher trennen wir uns nach einer Weile. Die Verabschiedung ist herzlich und ich habe noch ein Lächeln im Gesicht, als ich mich an den Tisch der neuen Klassenlehrerin setze. Sie ist sehr jung, wir kennen uns noch nicht, sind uns aber schnell einig. Sie bedankt sich für die gute Arbeit. Wieder bin ich überrascht. Hatte ich es anders erwartet? Vermutlich. Doch hier ist nichts zu spüren von Standesdünkel. Die Gespräche zeugen von Interesse und gemeinsamer Verantwortung. Die ganze Veranstaltung ist liebevoll geplant und verdient die Bezeichnung Konferenz nicht. Es gibt einen kleinen Imbiss und eine Vielzahl zwangloser Zusammenkünfte. Mittendrin kommt die Direktorin vorbei und dankt für unser Kommen. „Bitte haben Sie keine Scheu sich an uns zu wenden mit Ihren Fragen oder Anregungen. Wir wissen um Ihren Einsatz. Danke, dass Sie hier sind!“
Nach zwei Stunden verlasse ich die Schule. Im Gepäck eine große Portion beidseitiger Anerkennung und die Einladung auf ein Bier beim nächsten Ehemaligentreffen. Von meinem Lateinlehrer. Also hätte mir das einer vor 20 Jahren gesagt …!
Omnia tempus habent.
Ich ziehe das Tor hinter mir zu. Es quietscht. Aha, denke ich, wie früher.
Ein Treffen wie dieses (hauptsächlich das mit der neuen Klassenlehrerin meiner Viertklässler) finde ich großartig und hätte ich auch sehr gerne! In Österreich wird viel Wert auf die Schuleingangsphase gelegt (die auch absolut wichtig ist!), dabei – habe ich oft das Gefühl – wird aber der Übergang in die neue Schule etwas stillgeschwiegen. In unserem Schulhaus gäbe es sogar fünf verschieden Schultypen (plus Kindergarten), somit wäre eine gemeinsame Konferenz in die Richtung ein Leichtes! Aber es wollen nunmal viele lieber eine Konferenz, die er nur die Anderen reden…
Danke für deinen toll verfassten Beitrag – ich war vor einiger Zeit in meinem ehemaligen Gymnasium zu Besuch und fühlte mich genauso! Dieses bittersüße Gefühl….und das, obwohl meine Matura erst 5 Jahre zurückliegt. Die Zeit vergeht mir jetzt schon viel zu schnell.
Und was noch viel „lustiger“ ist – ab kommenden Jahr werde ich als Lehrerin an meiner alten Grundschule beginnen. Mit meiner ehemaligen Grundschullehrerin im Kollegium. Das kann interessant werden…
Liebe Grüße!
Ach, das ist wirklich sehr schön – und sehr schön geschrieben!
Ich mag diese Momente, diese Begebenheiten. Sie lassen einen Menschen intensiv wahrnehmen, was aus ihm geworden ist, lassen ihn Revue passieren. Und sie gehören nur ihm allein…
Sehr schön in Worte gekleidet!
Wir haben vor einer Woche unseren alten Klassenlehrer des Gymnasium, von Klasse 1 (=5) bis 9 (=13) in Deutsch, Englisch, Geschichte und manchmal Latein, besucht, und es war schön. Er ist 84.
Liebe Frau Weh,
vielen Dank für den schönen Artikel. Als wir das letzte Kooperationstreffen geplant haben, haben wir uns sehr viele Gedanken gemacht, wie wir genau eine solche Atmosphäre hinbekommen, die den Dünkel mal vor der Tür stehen lässt. Es ist uns hoffentlich ein wenig gelungen, aber es ist sicher ausbaufähig. Was waren also für dich die drei wichtigsten Punkte bei dieser „Konferenz“, die dich überzeugt haben?
liebe Grüße von Frau Henner
Liebe Frau Henner,
entscheidend waren die Kombination aus zwangloser Atmosphäre und nett vorbereiteter Umgebung. Wir haben uns erwartet und – wichtiger noch – willkommen gefühlt.
Als wir ankamen, stand bereits ein kleines Minibuffet aus Salaten, Nachtisch, Keksen und Getränken bereit. Die Tische waren in Gruppen gestellt, darauf Schilder mit den Klassen (5a, 5b, …) und Blumen. Für jede Kollegin war ein Namensschild vorbereitet. Die Gymnasialkollegen haben mitgegessen und so entstanden bereits zu diesem Zeitpunkt lockere Gespräche. Nach dem Essen wurde Kaffee angereicht und in die Einzelgespräche gestartet. Die Kollegen hatten für jedes Kind eine Notenliste vorbereitet mit den Zeugnisnoten des Halbjahres sowie dem aktuellen Leistungsstand. In den Gesprächen selber ging es hauptsächlich um Arbeits- und Sozialverhalten, aber auch um die Erfahrung mit den Grundschulempfehlungen.
Es war genug Zeit vorhanden und keiner der Gymnasialkollegen machte einen gehetzten Eindruck.
Schön, dass Bewegung ins Miteinander kommt und der Übertritt auch als eine wichtige Sache gesehen wird. Schließlich sind die Schüler keine tabula rasa, wenn sie im Gymnasium starten. Wie habt ihr eure Konferenz gestaltet?
Liebe Grüße zurück 🙂
Vielen Dank für die Beschreibung.
Wir haben es im Prinzip ähnlich gestaltet, hatten in einem schön hergerichteten Klassenzimmer einer fünften ein Buffet mit Kaffee und Kuchen hergerichtet, einen Tisch mit Exemplaren unserer Lehrbücher der fünften Klasse (wir dachten, dass das vielleicht die Grundschullehrer interessieren könnte, welche Lehrwerke dann was verlangen, aber dieser Tisch wurde kaum frequentiert) und eine große Brainstormingtafel bereit gestellt mit vielen bunten Kärtchen. Auf der Tafel waren bereits ein paar Ideen und Fragen, die uns sehr interessiert haben, es wurde vor der Tafel auch diskutiert, aber bis auf eine Realschulkollegin und natürlich uns hat sich niemand getraut, da was anzupinnen. Das war ein bisschen enttäuschend.
Die GrundschullehrerInnen haben dann jeweils ein anderen Klassenzimmer zugewiesen bekommen, wo Bänke zu einem kleinen Diskussionstisch gestellt waren, an der Tür stand die jeweilige Grundschule dran. Und die Lehrer der weiterführenden Schulen sind dann so von Tür zu Tür mit ihren Notenlisten und haben ein Gespräch gesucht. Die Gespräche, die ich selbst erlebt habe, waren freundlich und interessiert. Man hat sich viel über das Lern- und Sozialverhalten, aber auch über die Familienverhältnisse ausgetauscht, das war zum Teil sehr erhellend. Wir haben die Lehrer auch expliziert eingeladen, bei uns einmal zu hospitieren, es wurde genickt und gelächelt, aber das war es dann. Auch ich habe genickt und gelächelt, als mir ein Grundschullehrer erst einmal erklärte, dass unsere Räumlichkeiten überhaupt nicht den kindlichen Persönlichkeiten entsprechen, das Linoleum, das gehe gar nicht… und dass wir keine Freiarbeit und keinen Wochenplan haben, sei heutzutage eigentlich auch nicht mehr vertretbar… Wir haben die Mail-Adressen getauscht und ich habe auch schon angefragt, wann ich einmal hospitieren kann, aber es hat sich noch kein Termin ergeben 😉
Du siehst, wir bemühen uns, aber der Funke springt noch nicht über. Das nächste Mal besorge ich dann noch Blumen, vielleicht hilft das?
Oje 😉
Ob die Blumen es richten werden?
Brainstorming, Plakate, Gruppenarbeiten usw. finde ich persönlich furchtbar. Da mache ich auch sehr selten nur mit.
Für Hospitationen fehlt vielen Grundschulen die Zeit. Wenn ich hospitieren gehe, fällt mein Unterricht aus oder die Schüler werden auf die anderen Kolleginnen verteilt. Das ist nicht optimal, daher verkneife ich mir diese Option, auch wenn es mich sehr interessieren würde.
Vielleicht wäre es wirklich eine Möglichkeit, die Besucher nicht pro Grundschule in einen Raum zu setzen, sondern direkt in die entsprechenden Klassen? Wenn es denn so viele Kolleginnen sind. Bei meinem Besuch befanden wir uns alle in einem Raum, das war sehr aufgelockert.
An Kaffee und Kuchen scheiterte es sicher nicht – das geht immer! 🙂
Ja, wir werden darüber nachdenken, wie wir es weiter machen. Mit Klassenräumen ist es schwierig, weil dann doch recht viele in einem Raum sind, aber ich greife die Idee gerne mal auf… muss noch bisschen überlegen.
Die Pinnwand war dazu gedacht, weil wir verbal einfach schlecht an die Grundschulen rankommen. Da hätte man dann anonym was anpinnen können. Wir kommen einfach schlecht ins Gespräch, es gibt da schon Gräben.