(fast) eine Heldin

Es gibt Dinge, die müssen nicht sein. Regenpausen zum Beispiel. Zwei Konferenzen pro Woche. Und Arachnida im Musikraum.

6.Stunde, viertes Schuljahr, Musik. Ich habe bereits vier Stunden Musikunterricht hinter mir, außerdem eine verkorkste Stunde Mathematik bei den Drittklässlern. Meine Laune könnte besser sein, die der Viertklässler auch. Dennoch machen wir das Beste aus der Situation. Ich spiele das unsägliche Nossa, nossa auf dem Klavier und die Viertklässler tun das, was sie am besten können: sie sind laut. Nachdem wir uns noch durch Call My Name (der Zweck heiligt die Mittel!) und Hollywood Hills gesungen haben, ertönt ein markgefrierender Schrei:

„Eine Spinne! Frau Weh! Da, hinter dem Klavier!“

Ich schaue auf und erstarre. Schwarz. Behaart. Groß! Ein Monster von einer Spinne starrt zurück. Ich lasse langsam etwas Atemluft entweichen, während die Klasse in panisches Gebrüll verfällt. (Nur die ganz Coolen lassen ein „oh, süß!“ fallen wie ein Sprayer eine leere Dose.) Eine solche Kreatur sollte von Steven Spielberg gecastet werden. Sie sollte in Hollywood Karriere machen, aber sie sollte ganz sicher nicht auf meiner Wand hinter meinem Klavier in meinem Musikraum lauern. Denn das tut sie eindeutig. Sie lauert und wartet darauf, dass ich einen Fehler mache.

Die Viertklässler sind mittlerweile in Schockstarre gefallen (eine ganz ungewohnte akustische Erfahrung). Lediglich die Kinder, die sich bis eben noch nahe am Klavier drängten, sind aufgesprungen und haben das Weite gesucht. Das würde ich jetzt ebenfalls gerne. Aber dummerweise hockt plötzlich die pädagogische Vorbildfunktion auf meiner Schulter und schüttelt milde den Kopf: Immer dran denken, Spinnen sind Nutztiere! Die Angst vor Spinnen ist völlig unbegründet. Zeige deinen Schülern, dass man auch eine solche Situation gelassen lösen kann! Blöde Kuh, die meldet sich auch immer nur, wenn es ihr passt!

Im Geiste suche ich verzweifelt nach einem Gefäß, welches geeignet ist, dieses Prachtexemplar einer Großen Winkelspinne an die Luft zu befördern. Denn auch wenn alles in mir KLATSCH EIN BUCH DRAUF!!! schreit, den Fleck kriegt man ja nie wieder von der Wand. Und den Ärger mit dem Hausmeister erspare ich mir lieber. Dummerweise gibt es nichts, was ich nehmen könnte. Die Handtrommeln sind zu groß, aus einer Guiro kriege ich das Vieh nie wieder raus und die Donnertrommel habe ich an eine Kollegin aus dem ersten Schuljahr verliehen. Ich verfalle in leichte Panik, bleibe aber äußerlich gelassen: „Ach, so groß ist die doch gar nicht!“ Doch, ist sie wohl! „Die setzen wir mal schnell an die Luft. Wer möchte denn?“

Mit einer Mischung aus Herausforderung und stummer Bitte schaue ich zu den Coolen hinüber. Aber erwartungsgemäß ist plötzlich niemand mehr sonderlich gelassen und eine Mutprobe dieser Größenordnung möchte schon mal gar keiner antreten. Verdammt! Was tun? Ignorieren geht nicht. Laufen lassen… oh nein! Draufhauen – siehe oben. Verdammtverdammtverdammt!  Ich atme tief durch. Schlucke. Bitte einen Schüler das nächstgelegene Fenster zu öffnen..

… und umfasse die Spinne mit beiden Händen.

Die Kinder schreien wieder auf und öffnen augenblicklich den Sitzkreis, damit ich mit meiner Last zum Fenster komme. Noch drei Meter. Meine Gesichtszüge sind erstarrt. Durchhalten! Zwei Meter. Das Dinge krabbelt wie wild in meinen Händen herum. Hiiiiiilfeeeeee! Fiiiiieeeees! Ein Meter. Schweiß rinnt mir den Rücken herunter. Mein ganzer Körper ist fluchtbereit. Ich hasse Spinnen! 30 Zentimeter, schon reichen meine Hände aus dem Fenster heraus. Gleich geschafft!!! Die Kinder halten den Atem an. Frau Weh, superhart! Da…

AARRRGGGHHWÖÖÖÄÄÄÄÄÄHHH!!!

Mit einem Schrei werfe ich das Biest nach draußen, schmeiße das Fenster zu und verfalle in unkontrollierte Zuckungen.

Fast eine Heldin.