Die Kinder merken sofort, dass etwas anders ist als sonst. Obwohl zwei Klassen anwesend sind, ist es erstaunlich ruhig. Ich lasse mich vorsichtig auf dem Stuhl nieder und noch bevor ich die Schüler begrüßen kann, platzt es aus Laura heraus: „Was ist mit Ihnen, Frau Weh? Sie sehen schlecht aus.“ Ich kann es ihr nicht verübeln. Herr Weh, der mich heute um 6.00 Uhr frierend unter der dicken Decke auf dem Wohnzimmersofa angetroffen hat, war der gleichen Meinung. Tatsächlich habe ich es nach der zu lange herausgezögerten Einnahme einer Kopfschmerztablette nicht mehr ins Bett zurück geschafft und nahm dankbar den Zuckerwürfel mit den Kreislauftropfen an.
Hinter mir liegt eine unruhige Nacht angefüllt mit Kopfschmerzen, Traumfetzen und Gedankenspiralen. Es passiert so viel im Moment, in der Klasse, in der Schule. Alle gehen permanent über ihre Grenzen. Aber wie lange geht das (noch) gut? Der hohe Krankenstand zur Zeit scheint jedenfalls nur in Teilen der Grippewelle geschuldet, zu blank liegen die Nerven der Kolleginnen. Mein Wunsch, in eine größere Schule versetzt zu werden, nimmt immer größere Gestalt an. Dies teile ich der weltbesten Sekretärin (um deren Verlust es mir wirklich am allermeisten leid täte) in einer der selten gewordenen ruhigen Minuten mit. „Nein“, sagt sie und reicht mir ein Stück Schokolade mit genau dem wohltuenden Maß an Aufmerksamkeit, welches sie in langen Sekretariatsjahren perfektioniert hat, „ich habe ganz andere Pläne für dich. Du hältst das jetzt noch zwei, drei Jahre aus und dann machst du hier die Schulleitung. Ich überlege das schon seit ein paar Wochen und bin immer mehr davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Schulen brauchen Leute wie dich!“
„Ach“, entgegne ich, zu müde um geschmeichelt zu sein, „es ist nicht gut, als Schulleitung aus den eigenen Reihen zu kommen. Stell dir doch mal Frau Schmitz-Hahnenkamp vor!“ Beim Gedanken an eine hierarchische Neuordnung muss ich lächeln.
„Ha, die geht dann ganz schnell. Wer ist denn dann überhaupt noch hier?“ Sie zählt an der Hand die Kolleginnen ab, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand versetzt werden, und kommt auf das beruhigend-beunruhigende Ergebnis, dass außer uns beiden vermutlich sowieso keiner mehr da sein wird. „Wir zwei, Tür an Tür! Überleg dir das gut, ich würde dich total gerne unterstützen.“ „Aber das tust du doch schon!“, antworte ich mit einem Lächeln und nehme dankbar ein weiteres Stück Schokolade entgegen. Kaffeesahne. Gut, dass es Sekretärinnen gibt!