zurückgekehrt

Nein, nicht das Kranksein ist das Problem am Kranksein.

Auch nicht der morgendliche zerknirschte Anruf bei der Konrektorin am Tage des Ausbruchs. Nein, das wirklich Schlimme am Kranksein ist das Wiederkommen. Die ersten Schritte in den bis dato ordentlich strukturierten eigenen Klassenraum lassen jede gerade Genesende wanken. Trostlos schweift der Blick über die Ruinen struktureller Arbeit und landet am Ankerplatz pädagogischer Hoffnungen. Doch nirgendwo sonst kommt das Chaos, das jedes schulische Krisenmanagement unweigerlich mit sich bringt, schmerzhafter zum Vorschein als auf dem Schreibtisch. So gleicht die Rückgewinnung des liebgewonnenen Lehrerpultes der Wiedereroberung einer Stadt nach der feindlichen Übernahme barbarischer Volksstämme. Hier wurde aufs übelste geberserkert. Grundlegende Ordnungssysteme wurden von einem eilig durchgeführten Vertretungskonzept martialisch in Schutt und Asche gelegt. Einst heilige Flächen des Freiraumes zeigen sich geschändet und zerstört. Nun liegen sie da unter unordentlich zusammengefegten Notizen und Zetteln kryptischen Inhaltes. Ein kleiner Schokoladenkäfer – noch letzte Woche freudige Liebesgabe einer Zweitklässlerin – lugt traurig unter einem Papierstapel hervor, plattgedrückt vom Gewicht in Überzahl kopierter Arbeitsblätter.

Ähnlich den Anzeichen äußerlicher Zerrüttung stellt sich auch das Seelenleben der durch den Vertretungsunterricht der letzten Tage arg gebeutelten Zweitklässler dar. Es fehlt ihnen an vielem: An Hausaufgaben, Handschuhen und Herzlichkeit.

„Dass du endlich wieder da bist, Frau Weh!“, schnieft Nick in genau der richtigen Mischung aus Kummer und gelbgrünem Rotz und hinterlässt beides in einer ungestümen Umarmung auf meinem Pullover. „Dass du ENDLICH wieder da bist!“

(Als hätte ich Schiffbruch erlitten und wäre monatelang auf See verschollen und nicht ein paar Tage mit Wärmflasche im Bett gewesen.)

„Auch Lehrer werden manchmal krank“, sage ich entschuldigend und wische mit einem Papiertuch an meinem Pulli herum. Vergeblich übrigens, Kinderrotz hat die Konsistenz von industriellem Kraftkleber. Aber der Blick in Dutzende bekümmerter Welpenaugen zeigt mir, dass ich moralisch ganz daneben liege mit dieser Einschätzung, weil nicht ist, was nicht sein darf. In ihrer Unfehlbarkeit (sic!) liegt die durchschnittliche Grundschullehrerin schließlich nur knapp hinterm lieben Gott. Und hat man je gehört, dass der sich wegen eines Schnupfens von der Arbeit fernhielte? Na, eben!

Ganz eindeutig haben die Zweitklässler also nicht nur mehr gelitten als ich, sondern mich auch mehr vermisst als ich sie. Krakelige Genesungswünsche auf herzenumrankten Zetteln zeugen davon.

„Ich vermise dich so ser! Du bist einfach gut und schön und nett und schümpfst viel weniger als die Frau Dingens. Und obwol du nicht gar nicht schümpfst kannst du uns was beibringen und tust das ja auch. Das zeigt das du Herz hast und Köpfchen auch. Es ist würklich schreklich das du jetzt zu krank bist um zu uns zu kommen.“

lese ich auf einem von ihnen und fühle mich gleich ein wenig besser mit meiner roten Nase, den Ringen unter den Augen und der nach wie vor zu Hustenattacken neigenden Stimme. Wir sollten dringend was zur Lautunterscheidung I – Ü machen, denke ich, und daran merkt man ja auch, dass ich eigentlich schon wieder total gesund und unterrichtsreif bin.

„Dann fangen wir mal an, Ihr Lieben!“, rufe ich, greife mir einen der zahlreichen unsortierten Blätterstapel vom Schreibtisch und angele mit dem Fuß nach der Papiertonne. „Holt alle losen Blätter aus eurem Ranzen, wir machen mal Klarschiff!“

Und das klingt jetzt doch wieder ein bisschen wie nach glücklich überstandenem Schiffbruch. Ahoi, Matrosen!

Wennsde Mittwoch überlebst, dann is Donnerstach!

Schreibt man grö(h)len wirklich ohne h? Wie peinlich ist mir das denn? (Naja, nicht so sehr…)

Tja, da kann man mal sehen, was der ganze Rotz mit meinem Gehirn anstellt. Vermutlich löse ich mich schon eine ganze Weile innerlich auf und merke es noch nicht einmal! Aber hier wird nicht geschwächelt! Heute habe ich mit 65 Kindern (in Buchstaben: fünfundsechzig, deutlich mehr Popos als Stühle) lustig ums Klavier gesessen und „Im Frühtau zu Berge“ geschmettert. Und weil es so schön war, haben wir gleich noch „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“ und die ganzen anderen alten Schinken hinterhergeschoben. „I like the flowers“ im Kaninchenkanon* und „Puck, die Stubenfliege“ und dann noch dies und dann noch das. Was soll ich sagen? Es war die schönste Stunde des Tages**.

Wie der Rest des Tages so lief, verschweige ich gnädigerweise und streiche ihn einfach aus meinem Gedächtnis. (Aber ich glaube nicht, dass ich noch einmal den Fehler begehe und mit drei Klassen gleichzeitig Völkerball spielen werde! Hah, wieder was gelernt, wie großartig.) Pädagogische Sternstunden werden für die nächste Zeit auf Eis gelegt, Hauptsache durch ist die Devise. Aber jetzt ist ja der Frühling da, so mit Sonne und Licht und zwitschernden Vögeln; ab Morgen wird bestimmt alles wieder gut, nicht wahr? 😉

Herzlichst, Frau Weh

*Kaninchenkanon: Wir starten puschelig mit dem Kanon, alles ist gut, alles ist schön und auf einmal rasen alle wie verrückt durch das Lied auf der Suche nach… ja, nach was eigentlich?

**Lieber Herr A., ich weiß, ich war sicher nicht immer die allereinfachste Klavierschülerin, die man sich vorstellen kann. Und geübt habe ich auch nicht immer so… aber danke, danke, DANKE! ♥