Wechselbad

Oh, es wird Zeit für Ferien!

Ich rotiere zwischen gepackten und zu packenden Kisten, überschnappenden Viertklässlern und dem ganz normalen Schuljahresendwahnsinn. Da werden noch schnell Ausflüge gemacht, Abschlussfeiern sowieso und da war doch noch was? Ach ja, die Zeugnisse! Den Kolleginnen fällt ein, dass ich noch schnell, bevor ich weg bin, ihre Klassenbücher ausfüllen muss (womit sie recht haben…) und das größere Wehwehchen erwähnt beim Abendessen ähnlich spontan, dass es für das gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen Tomate-Mozzarella-Spießchen zugesagt hat. Das Miniweh hat als Blume beim Kindergartenfest brilliert und beim Singen nur ganz kurz, aber hingebungsvoll, in der Nase gebohrt. Die Hauskatze würgt derweil Haarbällchen hervor und maunzt beleidigt, weil ich sie nicht dafür lobe, aber ich habe gerade wenig Zeit dafür.

Den Musikraum habe ich besenrein hinterlassen und dabei, ja, ein ganz kleines bisschen mit den Tränen gekämpft, denn die neue Schule – so schön sie auch sein mag – verfügt nur über einen einzigen Schrank für alle Musikalien, die sie so besitzt. Ich verkleinere meinen Unterricht und mich also von 140 qm auf 0,8 qm. Oder muss ich das in Kubik angeben? Egal, ich trauere. Und das nicht allein. Mittlerweile wissen es alle Schüler und Eltern, die Putzfrau und die Pfarrerin. Alle wünschen Glück und drücken ihr Bedauern aus, so dass auch ich ganz flatterig werde ob der getroffenen Entscheidung. Aber wohnt nicht jedem Neuanfang ein Zauber inne? Und ist ein solcher Abschied nicht deutlich besser, als wenn alle froh über meinen Fortgang wären? Die Chefin fasst mich mit Samthandschuhen an und siegelt sogar selber meine Zeugnisse, die weltbeste Sekretärin drückt mich fest und weint ein leises Tränchen. Einzig Frau Schmitz-Hahnenkamp verhält sich normal und beschwert sich lautstark über Sinan und Nino, die ich immer noch nicht im Griff hätte. Dennoch haben sie mir einen Abschiedsbrief geschrieben, darunter eine krakelig gemalte Blume „Ihre Glücksblume, Frau Weh, für die Zukunft“. Ich schlucke und wünsche, dass die nächsten Tage an mir vorbeifliegen mögen. Leider tun sie dies auch, obwohl ich die Momente festhalten will, denn manche sind kostbar.

„Wenn Sie auch gehen, dann haben wir keinen Grund zurückzukehren“, sagen die Viertklässler traurig und recht haben sie. Ein Stück Kindheit ist vorbei.

„Aber das, was kommt, ist neu und aufregend!“, will ich sie trösten und bekomme doch selber eine scheußlich-schöne Gänsehaut, wenn wir Möge die Straße uns zusammenführen singen und alle gekonnt, weil lange geübt, vom pianissimo ins forte wechseln und sogar der Hausmeister in der Türe stehen bleibt um zu lauschen. Wechselbad aus Abschiedskummer und Vorfreude.

Bald sind Ferien!

Metarmorphosen

Es ist ein bisschen wie Achterbahnfahren, dieses Abschiednehmen von den Viertklässlern. Nur mit weniger Übelkeit, dafür deutlich emotionaler. Ich hätte es nicht unbedingt erwartet, habe ich die Bindung zu meinen letzten Klassen doch immer für stärker gehalten, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Am Vorabend war unser Abschiedsfest, das wir für die Eltern gegeben haben und nun sitzen die Viertklässler mit müden, aber leuchtenden Augen an ihren Tischen.

„Mein Vater hat geheult!“, posaunt Schmitti mit einer Mischung aus Stolz und leichter Peinlichkeit heraus.

„Ja“, stimmt Nino ihm zu, „meine Mutter auch, als ich ihr das Herz gegeben habe und wir dabei noch das Lied weitergesummt haben.“

„Ich fand alles toll!“, schwärmt Friederike, deren Oma mir am Ende unseres Bühnenprogramms stumm vor Ergriffenheit die Hand geschüttelt hat und gar nicht mehr loslassen wollte. „Und Sie?“

Ich überlege. Tatsächlich war der ganze Abend eine runde Sache. Die Kinder haben sich ins Zeug gelegt. Alle konnten ihre Texte und Lieder auswendig, niemand hat sich bei den Instrumentalstücken verspielt. Nicht nur ich habe an vielen Stellen eine ordentliche Gänsehaut vor Rührung bekommen.

„Für mich war am schönsten, als wir mit den Eltern gemeinsam das Schlusslied gesungen haben.“ Viele Kinder nicken, auch ihnen hat der leise Abschluss des Festes gefallen.

Alle sind sich einig, dass sie eine Superleistung auf die Bühne gebracht haben und ich stimme ihnen zu, es war ein großartiger Abend und eine tolle Show. Deine letzte hier, schleicht sich ein Gedanke in meinen Kopf, aber ich will ihn noch nicht weiterdenken, fühle doch auch ich mich genau wie meine Klasse irgendwie dazwischen. Jetzt sind es noch zwei Wochen, die aber randvoll mit Aktivitäten, Ausflügen, Aufräumen und Abschiednehmen sind. Eine seltsame Zeit. Und genau so seltsam fühle ich mich. Unausgeglichen, reizbar. Neben den Zeugnissen für die Viertklässler liegen die ersten Planungsbögen für die Neuen. Parallel dazu wächst der Altpapierstapel in der Kiste unter meinem Schreibtisch. Elf Jahre an einer Schule machen eine ganze Menge Papier! Alles will durchgesehen werden nach dem Aschenputtelprinzip: Die Guten ins Töpfchen, die schlechten…

Wo  ich meine ganzen Materialien lagern will, die sich jetzt noch in der alten Schule (oh, ich nenne sie jetzt schon die alte Schule!) befinden, weiß ich noch nicht. Vielleicht sollte ich einen Container mieten? Einen genauen Überblick habe ich noch gar nicht, verteilt sich doch alles schön auf mehrere Räume, einschließlich des Dachbodens. Ehrlich, Schuldachböden sollten abgeschafft oder zumindest versiegelt werden!

Ich gehe dann mal wieder räumen..