Liebe Frau Weh

Jetzt trudeln sie ein, die Briefe der Fünftklässler. Es ist eine nette Geste, dass die Deutschkollegen der weiterführenden Schulen zu Beginn des 5. Schuljahrs an die Grundschullehrerin schreiben lassen. Natürlich ist es reguläres Thema und selbstverständlich wissen sie um die hohe Schreibmotivation der meisten Kinder. Aber dies schmälert nicht im Geringsten die Freude, diese Briefe zu bekommen.

Liebe Frau Weh, lese ich da, es geht mir so gut in der neuen Schule. Ich lese von Neuorientierung, Stolz auf Leistungen, von neuen und alten Freunden. Manchmal lese ich auch noch ein wenig Ängstlicheit aus den Zeilen und oft Unmut über so viele Stunden, schwere Rucksäcke und lange Tage. Aber immer erkenne ich Entwicklung und Wachstum in dem, was die Kinder mir schreiben. Und eines noch: Erinnerung.

Wissen Sie noch, unsere Klassenfahrt?

Es war so schön im vierten Schuljahr.

Hoffentlich sind Ihre neuen Schüler so toll wie wir!

Ich denke gerne an Sie zurück.

Es ist schön, solche Briefe zu bekommen und sie einzuordnen in den Lauf unserer Arbeit, der von Ankunft bis Abschied reicht. Ich wünschte mir mehr davon. Einen zum Schulabschluss, egal welchem. Einem bei Berufsantritt. Vielleicht auch zu Hochzeit, Geburt und hoffentlich niemals eine Todesanzeige. Die Gedanken an die Grundschulzeit werden verblassen. Erinnerungen an so viele gemeinsame Stunden werden verdrängt von neueren Eindrücken. Das ist richtig so! Dennoch wünsche ich mir, dass ein Stück dieser umsorgten Zeit sich tief ins Lebensbild meiner Schüler legt und sie irgendwann rückblickend lächeln lässt.

Weißt du noch, damals?

19 Kommentare zu „Liebe Frau Weh

  1. Das ist aber eine schöne Geste! An meiner Schule gab es das nicht, ich hätte meiner Grundschullehrerin gerne geschrieben. Sie war wirklich eine tolle Lehrerin, an die ich mich sehr gerne erinnere.

  2. Tolle Idee der Lehrerin. Haben wir nicht gemacht in der 5.
    Aber ich habe bis heute (Ich bin 33 Jahre alt) noch sporadischen Kontakt zu meinem Klassenlehrer der Grundschule. Er war sogar auf meiner Hochzeit als Gast!
    Das tollste: „Weist du noch“ war sein Hochzeitsgeschenk. Er schenkte mir ein geramtes Bild.
    Dieses Bild war ein Portait von ihm selbst, von mir gemalt als ich in der ersten Klasse war!!!
    Er fand es damals so toll das er es aufbewahrt hatte und mir zur Trauung zurückschenkte.
    Und es hängt heute in meiner Küche 😉

    1. Geht mir auch so.
      Ich denke an meine Grundschullehrerin, die mich trotz meiner nicht einfach zu führenden Persönlichkeit (Traumatisierung – Gewalt – durch meine behinderte Schwester) annahm und mich in allen Bereichen stärkte. So habe ich Mut und Vertrauen in mir wachsen lassen können, Kraft zum Wechsel von biografischen Wegen in mir entdecken können – zuletzt wurde ich Grundschullehrerin.
      Sie war bei meiner Hochzeit und ich stand später an ihrem Grab. So schloss sich der Kreis, aber der Satz stimmt: In der Erinnerung lebt ein Mensch weiter. Sie lebt in mir.
      Das wünsche ich jedem Menschen, dass er durch sein „Sein“ positive Spuren im Leben der anderen hinterlassen darf.

  3. Die Idee mit den Briefen finde ich so schön, dass ich überlege, ob ich sie in meiner Klasse auch ausprobieren sollte – das könnte das Verhältnis zu den Grundschullehrerinnen etwas aufmöbeln. Danke!

    Grundschullehrer bekommen ja von den Kindern viel mehr persönliche Rückmeldungen von den Kindern, da bin ich schon manchmal etwas neidisch. Am Gymnasium schreibt selten mal ein Schüler an seinen Lehrer noch was Persönliches. Wir würden aus auch darüber freuen. Aber die Grundschullehrer müssen dafür damit klar kommen, dass die Eindrücke von den weiterführenden Schulen überlagert werden. Was ja auch schade ist.
    Deshalb habe ich für meine Toche einen einfachen Leitzordner angelegt. Dort ist alles aus der Grundschule abgeheftet, was eine Erinnerung sein könnte – kleine Briefchen der Lehrerin, Programmhefte von Chorauftritten, Klassenfotos, Geburtstageinladungen von Klassenkameradinnen usw. Damit diese Erinnerungen auch wach bleiben.

  4. Oh, und liebe Frau Weh: ich weiß nicht, wie alt du bist, aber wenn du erst einmal über 25 Jahre im Dienst bist (so wie ich :-P), dann wird es dir passieren, dass eine junge Dame / ein junger Mann (von MEINER Sicht aus, Anfang 30) auf dich zukommt und sagt: Kennen Sie mich noch? Nein? Ich bin doch der / die xy! Wissen Sie noch? Und eines wollte ich Ihnen noch sagen: DANKE!
    Dann werdet ihr über den Beruf, die Familie des Schülers reden und du wirst staunen, wie die Zeit vergeht…

    Wenn du darüber hinaus so „stationär“ an einer Schule bleibst wie ich, wirst du irgendwann einmal stolz strahlende Ex-Schüler treffen, die dir ihr Kind in der Schule anvertrauen und sich freuen, dass es in bekannte gute Hände kommt.

    Dann wird ein Elternabend sein, an dem du leicht irritiert bist, weil du glaubst, ein deja vu zu haben, und in Gefahr bist, die Eltern aus Versehen wieder zu duzen, so wie vor langer Zeit…
    Oder ist dir all das vielleicht schon geschehen? 😉

  5. Ich kann diese Empfindungen gut nachvollziehen.

    Vor 2 Jahren bekam ich kurz vor den Sommerferien um 8 Uhr morgens Besuch von Ehemaligen.
    Es waren 6 junge Menschen aus meiner allerersten eigenen Klasse. Es waren die 6 Schüler, die ich zum Gymnasium empfohlen hatte.
    Alle 6 hatten in dem Jahr ihr Abitur gemacht. Ich hatte sie 9 Jahre lang nicht gesehen.
    Sie kamen vorbei und brachten mir ein Geschenk: einen Bilderrahmen mit einem Foto von ihrem Abiball. Alle 6 zusammen auf einem Foto, herausgeputzt und mit strahlendem Lächeln.
    Dazu eine Karte, auf der sie sich dafür bedankten, dass ich ihnen ein so gutes Grundgerüst mit auf den Schulweg gegeben hatte. „Ohne Sie hätten wir sicher kein Abitur“, stand darauf.
    Sie betonten, sie hätten eine schöne und in Erinnerung bleibende Grundschulzeit gehabt und würden immer noch gerne an die gemeinsame Zeit zurückdenken.
    Sie blieben den ganzen Schultag über da und fühlten sich immer noch pudelwohl.

    Ein schöneres Kompliment hätten sie mir nicht machen können!

  6. Liebe Frau Weh,
    dieser Post berührt mich, habe ich doch schon oft überlegt, zweien meiner damaligen Lehrern (vom Gymnasium allerdings) zu schreiben. Und es dann doch wieder gelassen, da ich dachte, sie würden sich bei den Unmengen an Schülern wahrscheinlich ohnehin nicht wirklich an mich erinnern…Ob das falsch ist und sie sich vielleicht doch über einen Brief freuen würden?

    Herzlich
    Stefanie

  7. In meinem allerersten Dienstjahr hatte ich eine Kollegin, die hat das umgekehrt gemacht. Immer wenn sie in der Lokazeitunng die Maturafotos (Abitur), Hochzeitsanzeigen,…erblickt hat, dann hat sie den ehemaligen Schülern geschrieben. Oft an die Adresse der Eltern. Es war eine Kleinstadt – irgendeine Adresse gabs immer. Schön, nicht?

  8. Hach. Damals, in der 5. und 6. sind wir an schulfreien Tagen immer in unsere alte Grundschule gegangen und haben die Lehrer dort besucht.
    Später, als meine kleinen Geschwister (7 bzw. 9 Jahre jünger) dann in der gleichen Grundschule waren, bin ich immer noch mit zum Adventsbasar gegangen. Manchmal habe ich da auch noch mit meinen alten Lehrern (also denen, die noch nicht in Rente waren…) geschnackt.
    „Aaaaach, ihr wart doch die Chaosklasse!“ bekam ich da beispielsweise zu hören. Mit meiner absoluten Lieblingslehrerin damals (die uns dann aber wegen Schwangerschaft und Elternzeit abgeben musste) habe ich auch ein bisschen in Erinnerungen geschwelgt…
    Ich bin aber auch so eine, die auch – zumindest teilweise – ab und zu mal ihren ehemaligen Gymnasiallehrern schreibt, auch wenn ich nicht immer eine Antwort bekomme… und auch, wenn ich mir da manchmal doof vorkomme.

  9. Das ist ja schön! Ich erinnere mich auch noch gerne an die Grundschulzeit zurück und schaue noch öfters mal vorbei. Ich war in der ersten eigenen Klasse der Lehrerin und somit gehöre ich auch zu den ersten, die sie so groß werden sieht. Auch im Gymnasium schaue ich jedes Jahr am Tag der offenen Tür vorbei. Die Besuche werden leider immer kürzer, da bereits viele in Pension gegangen sind.

  10. Hallo Frau Weh! Ich bin bisher eine stille Leserin gewesen. Ich lese Ihr Blog sehr gerne und danke Ihnen für diesen Eintrag. Ich habe gerade einen Brief an meinen ersten Grundschullehrer geschrieben. Er war ein sehr, sehr toller Lehrer. Er hat leider (!!!) zum 3. Schuljahr eine andere berufliche Aufgabe übernommen und hat die Schule verlassen. Viele Grüße und ein schönes Wochenende!

  11. Solche Briefe sind wirklich einfach schön – auch wenn sie „gezwungenermaßen“ geschrieben wurden. Es ist einfach eine Wertschätzung, die man so gerne aufsaugt. Außerdem gibt dieser Brief vielleicht den Anstups zu gelegentlichen Kontakt… so eine Geschichte wie Herr S. sie beschreibt, würde ich auch gerne irgendwann erleben. Das klingt nach einem kostbaren Moment.

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