Der erste richtige Schultag mit den neuen Erstklässlern liegt hinter mir und schon am frühen Nachmittag bin ich so müde, dass ich auf der Stelle einschlafen könnte. Holla, die Waldfee!
Auch die Kinder sind am Ende geschafft, absolvieren sie heute doch bereits fünf Stunden Unterricht und meistern dabei bereits den ersten Quantensprung ins Schulleben. Es ist schon unglaublich, welche Informationsflut auf die Erstklässler einprasselt. Ein paar Schüchterne müssen noch ermutigt werden, während doch so viele schon um 7.30 Uhr fröhlich ins Klassenzimmer wirbeln: „Ich habe ein Bild für dich gemalt!“, „Guck mal, mein Ranzen!“, „Wo muss der Becher hin?“, „Meine Mama wollte mit, aber ich hab gesagt, sie darf nicht, hast du gehört, Frau Weh?“ Ich stelle meinen Kaffeebecher auf meinem Schreibtisch ab und wende mich der aufgeregten Schar zu.
Plötzlich dann mittendrin ein polternder Vater, der sich kämpferisch vor mir aufbaut und mit drohendem Unterton mitteilt, dass er gegen diese neuen Methoden mit dem Lesen und Schreiben und dem ganzen Quatsch sei. „Und wie wollen Sie das denn überhaupt so machen?“
Ich schlucke meinen aufkommenden Ärger herunter und wende mich ihm zu: „Wie schön, dass Sie sich für das Lernen ihres Kindes interessieren! Kommen Sie doch gerne zum nächsten Elternabend, da werde ich genau dazu etwas sagen.“
„Nein“, antwortet er, „da werde ich ganz sicher nicht hingehen. Solche Freizeitaktivitäten überlasse ich meiner Frau.“
Ich fasse es nicht. Ein Macho auf meinem Zahlenteppich. „Tja“, entgegne ich eine Spur kühler, „dann werden Sie sich wohl überraschen lassen müssen, denn Tür- und Angelgespräche gibt es hier nicht. Hier gibt es nur Unterricht. Tschüss dann!“ Ich schaue ihm scharf in die Augen (my room, my rules!) und drehe mich um, denn da zupft es bereits wieder seit einer geraumen Weile an meinem Ärmel. Zwar schneien im Laufe der ersten 20 Minuten noch ein paar Eltern herein, weil sie dieses oder jenes vergessen haben, doch tun sie dies leise und ohne größeren Aufruhr, wofür ich dankbar bin, denn tatsächlich arbeiten irgendwann alle 29 Kinder an den aufgebauten Stationen. Ich atme durch und versuche, die vielen Namen den ersten Gesichtern zuzuordnen. Doch nicht lange.
„Spielst du heute wieder Gitarre?“
„Singen wir endlich?“
„Wann ist Pause?“
„Ich muss mal.“
Mehrfach an diesem Schulvormittag muss ich innerlich lachen und mich zur Ruhe mahnen. Es sind Erstklässler und alle Vorgänge, alle Regeln und Verhaltensweisen, die im 4.Schuljahr so selbstverständlich waren, müssen neu gelernt werden. Eigentlich ist das der Wahnsinn, wenn man mal genau drüber nachdenkt. Aber der Kreis klappt und wir singen mit einer solchen Inbrunst, dass selbst der Schwimmbusfahrer kurz seinen Kopf durch die Tür stecken und glücklich hereinwinken muss. Überhaupt Musik, das funktioniert immer. Und das ist ein Glück, denn in der 5.Stunde steht JeKi auf dem Programm und obwohl eigentlich alle erledigt sind, lernen die Kinder in Rekordzeit das erste Lied in relativer Solmisation. Dann am Ende eines aufregenden und langen ersten Schultages begleite ich die Klasse noch zur OGS, bringe eine Handvoll Kinder zum Bus, umarme, winke, ermutige und greife nach 5 Stunden zum ersten Mal zum Kaffee auf meinem Schreibtisch.
Kalt.
Willkommen im 1. Schuljahr, Frau Weh!