So ein Yama(ha)!

Schon seit Tagen vergesse ich regelmäßig mich um das defekte Sustain Pedal des Keyboards zu kümmern. Es fehlt eine Schraube. Futsch, verschwunden in den Untiefen des Musikraumes. (Wer den charakteristisch gepunkteten PVC-Bodenbelag kennt, der gerne in öffentlichen Gebäuden verlegt wird, wird mir zustimmen, dass es relativ aussichtslos ist, dort etwas wiederzufinden, was nicht über eine gewisse Größe verfügt.) Mit nur einer Schraube macht das Pedal, was es will. Das fällt sogar den Chorkindern auf. Sind sie doch ansonsten Wohlklang gewöhnt.

Fachmännisch kümmert sich nun Frank aus der 4b darum. Zunächst dreht er die verbleibende Schraube aus, begutachtet sie und vermisst Länge und Durchmesser mit seinem Geodreieck. Mit dem Füller macht er sich Notizen auf seinem linken Arm. Kein Problem, sagt er, so eine finde er bestimmt im Werkzeuglager seines Vaters. Dort würde er am Wochenende bereits für Frau Schmitz-Hahnenkamp auf die Jagd gehen. Die habe nämlich ebenfalls eine Schraube locker.

Vielen Dank, Frank.

dickes B

In einem unbemerkten Moment rutschte das große B hinter den Materialschrank. Ärgerlich. Den rückt mir ja keiner weg. Auch nicht der ausgeliehene Hausmeister, der heute ziemlich genau 43 Minuten Zeit hatte, um die nötigsten Dinge zu erledigen. Ich konnte das beobachten, ich habe währenddessen das Alphabet laminiert. In Schreibschrift. Die Druckschriftvariante hängt bereits mit Magnetklebeband versehen an der Tafel. Natürlich durcheinander, da können die Zweitklässler direkt mal zeigen, ob sie früher bei der Sesamstraße aufgepasst haben.

Aber heute gab es nicht nur einen geliehenen Hausmeister. Nein, es war auch eine geborgte Putzkolonne vor Ort. Jetzt ist es fast wieder sauber. Papierhandtücher gibt es allerdings keine. Naja, schütteln die Kinder halt die Hände so lange durch die Luft. Oder waschen sie einfach gar nicht. Das empfinden viele Kinder sowieso als Zeitverschwendung. Ah, ich sollte vorsichtshalber morgen eine Rolle Klopapier mitnehmen, falls es da auch Engpässe geben sollte.

Der Musikraum ist fast wieder leer. Nur der Plastiktannenbaum steht noch drin. Der geliehene Hausmeister hat einfach alles wieder in den Raum mit dem Wasserschaden zurückgeräumt. Auch ein paar frisch angeschimmelte Bretter. Die müssen dann morgen vermutlich wieder ausgeräumt werden. Aber Hauptsache, ich komme ans Klavier. Ein bisschen Sorge bereitet mir die Tatsache, dass die ganze Wand dahinter feucht war. Hoffentlich ist das nicht in den Korpus gezogen. Ein neues Klavier würden wir ja im Leben nicht mehr finanziert bekommen. Genau, Haushaltssperre.

Am letzten Sommerferientag habe ich immer Bauchschmerzen. Ich bin dann aufgeregt. Weil man ja nie so weiß, was da kommt. Heute geht es aber noch, ich habe noch einiges zu erledigen. Wahrscheinlich liege ich dann heute Abend im Bett und kann nicht einschlafen. Das findet der Herr Weh dann immer furchtbar. Aber ich kann da gar nichts für, am Schulanfangsvorabend ist einfach zu viel los in meinem scolar-vegetativen Nervensystem.

Ich geh dann jetzt mal backen.

 

Noch vier Tage

Hals und Kopf sind ein bisschen besser. Der Tag war auch gar nicht gemein zu mir, sondern im Gegenteil recht nett. Die vier Stunden bei meinen Erstklässlern gingen erstaunlicherweise ohne größere Krafteinsätze vorbei. Sie haben eine ganze Stunde relativ still an ihren Zoobüchern gearbeitet, einen passablen Montagskreis hinbekommen, eine Pause fast ohne Streit geschafft und dann noch einmal eine Zeitstunde wahlweise an Mathe oder der Schreibschrift gesessen.

Still! Richtig still!

So still, dass ich 10 Schulwochen in meinem Klassenbuch ausfüllen konnte. Wahnsinn, sie werden groß 🙂

In den letzten beiden Stunden hatte das Schulorchester Probe in der Kirche. Und was soll ich sagen, sie haben zwischendurch so schön gespielt, dass ich richtig gerührt war. Natürlich waren die Trommeln zu laut, die Geigen haben zwischendurch gequatscht und das Glockenspiel hat wie immer den Einsatz verpasst. Aber für eine Generalprobe war es wirklich nicht schlecht. Wer jemals auf die tollkühne Idee kommt, mit Grundschülern ein Orchester zu bilden, sollte den folgenden Leitsatz beherzigen: Keep it simple! Lieber was Kleines ganz schick, als was zu Großes verhauen. Gerne mit vier Akkorden a, e, F, G. Die kann jeder. Also fast. Magnus kann noch kein F-Dur auf der Gitarre, da schlägt er dann einfach zweimal in die Luft. Das fällt gar nicht weiter auf.

Sie sind ein bisschen nervös und fragen mich dauernd, was sie denn anziehen sollen. Aykut hat sich noch nicht entschieden ob Fliege oder Krawatte. Rufus möchte beim Trommeln nur ungerne auf seine glückbringende Kappe verzichten und die Holzbläserfraktion wird im Kleid auftreten. Allerdings nicht im Kommunionkleid. Das habe ich untersagt.

Meine Güte. Noch vier Tage, dann sind Ferien. Ich kann es gar nicht fassen. Ich glaube, das war das längste Halbjahr meines Lebens.

Vorfreude

Morgen ist Freitag und dann noch ein besonderer. Ich treffe mich nach der Schule mit meinem guten Freund Marten. Marten ist ein richtig toller Grundschullehrer und wir kennen uns aus den Anfangstagen meines Musikstudiums. Von ihm habe ich den Tipp, brülllaute Pausenaufsichten durch den Einsatz von Ohrstöpseln erträglicher zu gestalten. Unbezahlbar!

Rückblick:

Ein hässlicher Flur, ein schäbiger Stuhl und darauf die noch sehr junge Frau Weh mit Herzklopfen. Ich wusste nicht, was mich erwartete und war nervös. Da ging die Tür auf und ein gut aussehender, braun gelockter junger Mann trat auf den Flur. Er sah mich interessiert an, fragte, ob ich die neue Schülerin von Frau König sei und auf mein erwartungsvolles Nicken schüttelte er bedauernd den Kopf und meinte „mein Beileid!“. Hmm.

45 Minuten später war mir alles klar.

Frau König – russischer Albdruck. Wöchentlich wiederkehrender Schmerz, Elend und Tränen.

„Guttten Tack“ und „Auff Wiederrrsehen!“ und „Übben Sie!“waren die einzigen Worte, die sie mit mir im ersten Semester wechselte. Die restliche Kommunikation erfolgte ausschließlich über das Heben und Senken ihrer dunklen unheilverkündenden Augenbrauen. An die Uni kam ich mit Gershwin und Prokofiev. Sie ließ mich Clementi und Bartoks Mikrokosmos spielen. (Für die Nichtmusiker unter uns: das ist wie wenn man Jets fliegt und dann einen Heliumballon am Schnürchen halten darf. Also nichts gegen Bartok. Aber…naja…)

Außerdem schlug sie mir mit dem Bleistift auf die Fingerknöchel. Meine Handhaltung war offensichtlich eine so große Katastrophe, dass sie zu besonderen Methoden greifen musste.

Dienstagsabends bekam ich regelmäßig Bauchschmerzen, die sich bis Mittwochsmittags um 14.00 Uhr extrem steigerten. Ich hatte furchtbare Angst vor ihr. Dabei war sie ungefähr nur 1,50m groß. Aber ich schwöre, sie sah viel größer aus!

So etwas schweißt zusammen. Seit dieser Zeit sind Marten und ich befreundet in guten wie in schlechten Zeiten. Wir treffen uns regelmäßig und erzählen wie schlimm es uns gerade geht. Das ist ok. Andere zeigen stolz Operationsnarben oder Schwangerschaftsstreifen. Bei uns geht es mehr um seelische Katscher.

Manchmal tauschen wir auch gelungene Unterrichtsvorschläge aus. Und morgen ist es wieder soweit. Klasse Sache!

Diese Vorfreude stimmt mich heute milde, wenn Cengiz  im Musikunterricht neben dem Klavier sitzt und wieder hingebungsvoll die ganze Zeit Popel rollt und verspeist. (Seine Füße haben auch irgendwie komisch gerochen.) Der Gedanke an morgen trägt mich durch die Dienstbesprechung und eine weitere E-Mail von Supermom („Bitte um Bekanntgabe der Punkteverteilung im letzten Sachunterrichtstest. Mia-Sophie scheint mir eine bessere Benotung verdient zu haben!“).

Es ist wichtig, Freunde zu haben! Gerade als Lehrer. Lehrer haben irgendwann sowieso nur noch Lehrer als Freunde. Oder gar keine mehr. Dann muss man ständig alleine ins Museum gehen oder Bildungsreisen mitmachen und alles besser wissen als die arme Dame mit dem Schirm.

Warum nicht also schon die besten im Studium heraussuchen, ehe man sich dann den übriggebliebenen Rest aus dem Kollegium zusammenkratzen muss? Mit Marten jedenfalls habe ich da alles richtig gemacht. Und was ich ja noch gar nicht erwähnt habe: Er ist auch noch kultiviert! Und gebildet! Und kann kochen! Hammer!

Frau König wechselte übrigens ein Semester vor meinem Abschluss auf eine andere Uni und Ivan aus Ungarn wurde mein Lehrer. Von da an wurde mein Leben entspannter. Ich spielte wieder Gershwin und Ivan rauchte derweil verträumt eine Zigarette am offenen Fenster. Die Prüfung war dann übrigens ein Klacks.